Die Hände zittrig, das Herz pocht, und im schlimmsten Fall ist der Text plötzlich weg. Vor Menschen zu sprechen, macht viele Leute ganz schön nervös. Auf einer Bühne wird man von Blicken taxiert, und keine Bewegung bleibt ungesehen. Wie man dabei die Ruhe bewahrt und überzeugt, hat Onlinepraktikantin Olivia Sasse einen Profi gefragt.
Voll, stark und gleichzeitig sinnlich füllt Milena Hallers Stimme den ganzen Raum. Sie lächelt mich mit ihren magentafarbenen Lippen freundlich an. Ich sitze ihr gegenüber und sehe überall Farbe. Hallers feuerrote Haare, ihre geblümte Bluse, das knallpinke Bühnenoutfit, das an der Kleiderstange hängt, der violette Stuhl, auf dem ich sitze und die goldene Kaffeetasse, an der ich mich festhalte. Auf das Coaching hatte ich mich gefreut, ein klein bisschen nervös bin ich trotzdem.
«Authentisch wäre, auf die Bühne zu kommen, sich zu übergeben und wieder hinter die Bühne zu gehen.» Haller zitiert den Rhetorik-Experten René Borbonus und greift dabei eine meiner grössten Frage auf. Wie bleibt man authentisch auf einer Bühne, wenn man sich plötzlich über jede Bewegung Gedanken macht? – Gar nicht, ist Hallers Antwort. Gerade als Anfänger wäre authentisch zu sein utopisch, man muss sich in eine Rolle begeben.
Wer bin ich also, wenn ich die paar Stufen bis zur Bühne hinaufgehe?
Vorbereitung: Ich, die Nicht-Spirituelle
Die Augen geschlossen, presse ich zwei gefaltete Zettel nacheinander gegen meine Brust. Ich horche in mich herein und versuche herauszufinden, bei welchem der beiden Papiere ich mich besser fühle. Mein Magen zieht sich bei beiden leicht zusammen. Ich bin mir nicht sicher, was genau ich fühlen sollte – das ist nicht die Art von Übung, die ich mir unter einem Auftrittscoaching vorgestellt hatte. Haller arbeitet mit drei Standbeinen, die auf der Bühne Erfolg bringen sollen: Herz, Sicherheit und Publikum (Empathie). Die Übung, das Herz entscheiden zu lassen, stammt aus dem Buch «Herzverstand» von Rüdiger Schache. Ebenfalls für das Standbein «Herz», stellt mich Haller vor die Aufgabe, kurz vor dem Betreten der Bühne meine Herzensenergie auf die Bühne zu schicken – bei ihr eine rosarote Wolke. Ich entscheide mich für die Form von dunkelblauem Wasser, in das ich geistig hineinwaten kann. (Wahrscheinlich sagt es schon viel aus, dass ich mir etwas aussuche, in dem ich potenziell ertrinken könnte).
Überrascht von der spirituellen Einleitung – ich hatte mehr eine Art vorsprechen erwartet – versuche ich mich darauf einzulassen, aber es fällt mir schwer. Das bleibt den wachsamen Augen meines Gegenübers natürlich nicht verborgen.
«Bevor du auf die Bühne gehst, musst du dein Herz öffnen. Es ist zwar gross, aber du hast auch ein grosses Bedürfnis, es zu schützen», sagt Haller.
Übung: Ich, die mit der Rüstung
Auf der Bühne zu stehen, und niemand hört zu. Oder, noch viel schlimmer, auf der Bühne stehen, alle hören zu, aber finden mich richtig schlecht. Das ist wohl meine grösste Angst bei Auftritten. Dann entwickelt sich unter meiner Brust ein Unwohlsein. Dort sässen in der Regel Wut und alte Verletzungen – ob ich einen strengen Vater hatte, fragt mich Haller. Freud würde es freuen, und ich muss ein wenig schmunzeln, aber nein, ich hatte die besten Eltern überhaupt. Dennoch: Ich bin vorsichtig – diese Einschätzung stimmt. Haller ist der festen Überzeugung, dass was man im normalen Leben macht, auf der Bühne wie unter einer Lupe ist. Was man also im echten Leben nicht kann, wird als Sprecherin nicht besser, sondern schlimmer. Wenn ich also im Alltag Zeit brauche, um aufzutauen, dann werde ich auf der Bühne nicht von einem Moment auf den nächsten zur Rampensau.
Wir öffne ich also mein Herz, im echten Leben und auf der Bühne? Tipps von Haller:
Jeden Morgen 10 Dinge aufschreiben, für die ich dankbar bin. Diese laut vorlesen und «Danke, Danke, Danke» sagen.
Habe ich ausprobiert, macht tatsächlich Spass, und ein wenig mehr Dankbarkeit im Alltag kann nicht schaden. Ob es tatsächlich für Auftritte hilft, kann ich nicht beurteilen.
Komplimente machen, anderen und sich selbst.
Wenn man in der Schweiz auf offener Strasse Komplimente verteilt, wird man schon mal komisch angesehen. Die Schweiz ist ein zurückhaltendes Publikum, ob man auf der Bühne steht oder nicht – da kann man schon mal einen kleinen Tod sterben. Aber wenn man es hier schaft … Komplimente an andere mache ich wahnsinnig gern, bei denen an mich selbst hapert es eher noch. Morgens nackt vor den Spiegel stehen und «Hey Sexy» sagen – dafür bin ich einfach zu sehr Schweizerin.
Schritt für Schritt: An ein Publikum muss man sich langsam gewöhnen und sachte mit sich umgehen.
Bühne: Ich, die Rampensau
«An einem Auftritt zu arbeiten, ist immer auch arbeiten am eigenen Leben» , sagt Haller.
Nachdem wir ausgiebig über meine Stärken und auch Schwächen gesprochen haben, geht es auf die Bühne. Ich laufe also hinauf, und wieder runter, hinauf und wieder runter, hinauf und wieder runter. Jedes Mal werde ich ein wenig sicherer. Haller korrigiert mich dabei und gibt Tipps:
Die Bühne mit dem Bein betreten, das nicht zum Publikum zeigt. Das generiert eine offene Körpersprache zum Publikum.
Vom ersten Moment an strahlend lachen.
Die Füsse hüftbreit platzieren.
Vor dem Sprechen eine ruhige Handhaltung vor dem Körper einnehmen.
Beim Sprechen Hände zwischen Hüfte und Hals bewegen.
Blick ins Publikum, aber niemanden fixieren.
Üben üben üben: die Bewegungen, die Haltung, die Sprechweise.
Mein Fazit: Verschiedene Rollen und Charaktereigenschaften zu erforschen war zwar spannend, aber ich würde persönlich einen weniger spirituellen Weg wählen. Am meisten wird ein Training bringen, wenn Sie einen bestimmten Auftritt haben, den Sie üben können. Dort helfen die Tipps vom Profi, sowohl zum Auftreten wie auch zur Rhetorik. Wenn Sie nur einen Einblick in die Grundlagen der Körpersprache bekommen wollen, müssen Sie nicht in ein Coaching gehen. Es gibt unzählige Bücher, Youtube-Videos und Ted-Talks, die sich dem Thema widmen. Schauen Sie sich grosse Rednerinnen an und wie sie wirken. Sie werden schnell Muster herausfiltern können, sowohl in den Bewegungen wie auch in der Rhetorik.
Am Ende meines Coachings möchte ich noch wissen, wie meine Stimme wirkt, denn Haller ist nicht nur Auftrittscoach, sondern auch Sängerin. Noch ein wenig mädchenhaft, lautet ihre Einschätzung. Ich spreche noch nicht richtig aus dem Bauch heraus, deshalb ist meine Stimme nicht so voluminös, wie sie sein könne. Neben verschiedenen Stimmübungen gibt mir Haller den Ratschlag, beim Sex richtig tief aus dem Bauch raus zu stöhnen – das trainiert nicht nur die Stimmbänder, sondern sorge auch für ein intensiveres Erlebnis. Dazu noch ein Tipp meinerseits: Warnen Sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin vor.
Das Coaching war ein Auszug aus Milena Hallers Programm «Präsenz direkt ins Herz». Seit zwölf Jahren gibt sie ihre eigenen Bühnenerfahrungen in Coachings weiter, ihren Schwerpunkt hat sie dabei auf die Arbeit mit Frauen gelegt. Mehr auf milenahaller.ch