Social Media und Fotografie – davon kann man leben? Ja, das kann man, weiss Unternehmerin Franziska Freiermuth, die ihre Festanstellung aufgab, um das Glück in der Selbstständigkeit zu finden.
Am 20. November 2014 kam er, ein Zweizeiler via SMS: «Ich habe gekündigt und mache mich selbstständig!». Begleitet wurde der Satz von drei Smilies und einem Sack Konfetti aus der Emoji-Sammlung. Franziska Freiermuth begann ihre Selbstständigkeit mit einem Paukenschlag via Textnachricht. Eine Botschaft, die so viel Mut und Euphorie enthielt, dass meine Antwort hauptsächlich aus Ausrufezeichen bestand.
Franziska Freiermuth ist das typische Berner Meitschi. Verwurzelt mit der Heimat, die Gemütlichkeit beim Sprechen hörbar, mit Sommersprossen im Gesicht und mit sich selbst im Reinen. Der Liebe wegen zog sie nach Winterthur und arbeitete für eine Agentur – immer schon teilzeit, immer schon mit dem Bedürfnis nach Freiheit. Für ihre Anstellung bei der Restaurantkette Tibits beschrieb die 32-Jährige in ihrer Bewerbung einen Job, den es bis dato im Unternehmen noch nicht gab. Das gefiel. Zwei Jahre kümmerte sie sich als selbsternannte Online-Tante nicht nur um den visuellen und inhaltlichen Tibits-Auftritt im Netz, sondern auch um das Fotografieren von Website-Bildern. Bis zu ihrer Kündigung, die ihr gleichzeitig den ersten neuen Kunden bescherte. Als ihre Stelle auf der Facebook-Seite von Tibits ausgeschrieben wurde, erhielt sie noch am selben Tag ein E-Mail eines italienischen Restaurants, das sich für ihre Arbeit interessierte. Nach einem gemeinsamen Mittagessen hatte sie in ihm ihren ersten Kunden gefunden.
annabelle: Franziska Freiermuth, Sie haben sich Ihre Traumstelle bei Tibits selbst geschaffen und waren bei der Umsetzung sehr frei. Trotzdem haben Sie nach zwei Jahren gekündigt. Weshalb?
FRANZISKA FREIERMUTH: Es fühlte sich einfach richtig an, diesen nächsten Schritt zu tun. Ich bin 32, mein Freund und ich haben noch keine Kinder, und ich habe einiges gelernt. Ich wollte mich schon immer selbstständig machen, und jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, aus meiner Komfortzone herauszutreten und es einfach zu tun!
Heute betreut Franziska Freiermuth Firmen als Einfrauredaktion. Sie fotografiert, bespielt Social-Media-Kanäle in Deutsch oder Englisch, textet für Blogs und Websites. Das Fotografieren hat sie sich selbst beigebracht und mit einem eigenen Blog konnte sie Erfahrung in der digitalen Welt sammeln.
Ihre Selbstständigkeit bietet ihr vor allem Flexibilität. Mit dem Schritt zur eigenen Firma adoptierte sie ein Hundemädchen, das ihrem Tag Struktur gibt. Ein Haustier war wegen ihres Jobs bisher nie möglich. Sich diesen Wunsch zu erfüllen, ist das erste grosse Plus im neuen beruflichen Leben.
Wie hat Ihr Umfeld auf die Kündigung und den Schritt in die Selbstständigkeit reagiert?
Mein Umfeld hat mehrheitlich positiv reagiert. Doch auch kritische Stimmen gab es. Es werde sicher hart werden am Anfang, war eine Meinung. Das empfand ich als spannend und auch als bezeichnend für die Schweiz. Ist etwas neu und entspricht es nicht der Norm, rechnet man mit Schwierigkeiten. Ich dachte immer: Es wird fabelhaft und nicht hart. Bisher ist es tatsächlich ausnahmslos grossartig. Doch auch ich habe meine kleinen Hürden. Denn Selbstständigkeit erfordert viel Disziplin, Organisation und Struktur. In diesen Bereichen muss ich mich noch verbessern, speziell weil ich zuhause arbeite und nicht in einem Büro.
Zu unserem Interview bringt sie Schokolade mit. Das Produkt eines neuen potenziellen Kunden. Liebevoll werden die kleinen Pralinés auf dem Tisch drapiert, und bei jedem Biss muss ich sagen, was ich schmecke. Diese Momentaufnahme ist bezeichnend für sie und ihre Arbeit und vermutlich das Geheimnis ihres Erfolgs: Liebe zum Detail, Leidenschaft und ein Auge für Schönes – passend zu ihrem Motto: See Beauty in Everything.
Welchen Tipp geben Sie Frauen mit auf den Weg, die mit dem Gedanken spielen, sich selbstständig zu machen?
Ich würde Unternehmerinnen raten, sich erst 100% selbstständig zu machen, wenn sie sich finanziell ein Polster geschaffen haben oder teilzeit eine 40%-Stelle annehmen können, bis das Business läuft, damit die Fixkosten gedeckt sind. Ein weiterer Tipp ist das Pflegen von Kontakten. Ich arbeite von zuhause aus und treffe mich deshalb gezielt mit Menschen, mit denen ich mich über die Arbeit austauschen kann, Herausforderungen bespreche und Lösungen suche. Ausserdem habe ich gemerkt, dass man sich die Arbeit richtig einteilen muss. In den ersten Wochen habe ich mich automatisch an die Arbeitszeiten meines alten Büros gehalten. Bis ich gemerkt habe, dass ich viel lieber anders arbeite. Jetzt gönne ich mir einen langen Nachmittagsspaziergang mit meinem Hund. Dafür arbeite ich abends nach dem Nachtessen gern noch an den Social-Media-Profilen meiner Kunden oder bearbeite Bilder. Es ist wichtig zu erkennen, wann man am produktivsten ist und wie man den Tag einteilen muss. Für mich sind To-do-Listen eine gute Möglichkeit, die Arbeit zu strukturieren.
Bei meiner Frage, ob es schon einen Moment des Bereuens gab, der Angst und Zweifel, fängt sie an zu strahlen, bis ihre Mundwinkel beinah die Wangenknochen berühren. «Neei!», höre ich in vertrautem Bärndütsch und bin ziemlich sicher, dass sich das auch nicht ändern wird.