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Einer für die Seele

Einer für die Seele

  • Text: Claudia Senn; Foto: Jaap Buitendijk

Die Vergangenheit sieht verdammt gut aus im Kinofilm über die Crawleys und ihre untergehende Klasse. Warum «Downton Abbey» die Briten tröstet und uns richtig grossen Spass macht.

In England geht ja gerade die Welt unter. Zumindest die Welt, wie sie das überaus höfliche und wohlerzogene Volk der Briten bisher kannte. In den Brexit führen soll das Land ausgerechnet Alexander Boris de Pfeffel Johnson, ein Mann, der mit Donald Trump nicht nur eine Frisur gemeinsam hat, die aussieht wie ein platt gefahrenes Nagetier. Sondern auch dessen Talent, den Rest des Planeten ausufernd und hemmungslos zu beleidigen. Hillary Clinton bezeichnete er einst als «sadistische Krankenschwester in einer Nervenklinik». Die Einwohner von Papua-Neuguinea nannte er «Kannibalen». Als er in London für das Amt des Bürgermeister kandidierte, warb er damit, dass mit seiner Partei «Frauen grössere Brüste bekommen» würden und die Briten ihre Chancen erhöhten, endlich «einen BMW M3 zu besitzen». Und einmal gelang ihm sogar das Kunststück, die Queen und sämtliche Commonwealth-Staaten gleichzeitig gegen sich aufzubringen, indem er pöbelte, die Königin möge die ehemaligen Kolonien ja bloss deshalb so gern, weil die bei ihren Staatsbesuchen stets «eine jubelnde Menge fähnchenschwingender Negerlein» zur Begrüssung der Monarchin abkommandierten. Bloody hell! Die Liste von Johnsons Entgleisungen ist länger als das Alte Testament. Ist es da verwunderlich, wenn man sich ins gute alte Empire zurückträumen möchte?

Denn es ist natürlich kein Zufall, dass der Kinofilm «Downton Abbey» gerade jetzt erscheint. Jetzt, wo in England alles den Bach runtergeht. Der Brexit hat zu einer tiefen Spaltung der britischen Gesellschaft geführt. Eine aktuelle Studie belegt, dass der tägliche Rassismus in der einst so stolzen Einwanderernation signifikant zugenommen hat. Wie man hört, sollen schon die ersten Einwohner die Insel verlassen, weil sie ihre Heimat nicht mehr wiedererkennen.

«Downton Abbey» hingegen. Welche Pracht, welche Grossartigkeit, welch Lichterglanz dem alten Schloss innewohnt! Wie ein linderndes Pflaster legt sich der Film auf die geschundene Briten-Seele. Zwei Stunden in den Gemäuern des herrschaftlichen Landsitzes, und man weiss wieder, warum man mal eine Weltmacht war, damals, als die ehernen Gesetze der britischen Klassengesellschaft noch etwas galten und jeder wusste, wo er hingehörte: upstairs, zur Lordschaft, oder downstairs, zum Gesinde.

Als am 26. September 2010 die erste Folge der Serie anlief, war es, als hätte das englische Fernsehpublikum kollektiv von einer neuen Wunderdroge genascht. Augenblickliche Sucht setzte ein. Die Einschaltquoten brachen durch die Decke. Dasselbe passierte drei Monate später in den USA und in jedem anderen Land, in dem die Serie gezeigt wurde. Ein Teil der Faszination lag darin, dass «Downton Abbey» eine Zeit abbildet, die hundert Jahre zurückliegt – die erste Folge beginnt mit dem Untergang der Titanic 1912 – und vieles einem irgendwie gemütlicher, entschleunigter, weniger hysterisch vorkam als die eigene Lebensrealität.

Zwar haben auch der Earl of Grantham und die seinen mit Unwägbarkeiten zu kämpfen: Mal vernichtet eine Weltwirtschaftskrise einen Teil des Vermögens, mal rafft die spanische Grippe eine Verwandte dahin, mal stirbt eine Tochter im Kindbett. Doch im Unterschied zum Leben im 21. Jahrhundert mit seiner medialen Dauerüberreizung und den beinahe erdrückenden Optionen schien so eine Aristokratenexistenz damals angenehm übersichtlich zu sein: Jede Begegnung folgte einer bis ins Detail festgelegten Choreografie. Heerscharen von Bediensteten sorgten dafür, dass der Kronleuchter stets funkelte und das Tafelsilber niemals anlief. Statt des neusten Shitstorms im Internet gab es Zeitungen, die vor dem Lesen gebügelt wurden. Und tauchte ein Problem jedwelcher Natur auf, wandte man sich einfach an den Butler oder die grundgute Hausdame.

Frauen existierten offenbar hauptsächlich zu Dekorationszwecken, und um den Fortbestand der Dynastie zu sichern. «Du hast keine Meinung zu haben, bis du verheiratet bist. Und dann erklärt dir dein Mann, wie deine Meinung zu sein hat», bläut die von der grossartigen Maggie Smith verkörperte und niemals um ein Bonmot verlegene Grossmutter Violet einmal einer Enkelin ein. Das mag beklemmend gewesen sein – in der Wirklichkeit. Doch aus Fernsehsesselperspektive war es einfach hinreissend unterhaltsam, den Frauen dabei zuzuschauen, wie sie sich im Zeitlupentempo der Geschichte aus dem Korsett der Konventionen befreiten – und sich dabei dreimal täglich umzogen. Man konnte sich kaum sattsehen an den fliessenden Roben und funkelnden Juwelen, die sich die Damen offenbar unmöglich ohne die Hilfe einer Kammerzofe auf den blassen Körper zu drapieren vermochten.

Am interessantesten wurde es stets, wenn Konventionen aufbrachen wie ein lange schwärender Furunkel, Skandale sich nicht mehr unter den Teppich kehren liessen, die Geschichte ihren Lauf nahm und sich selbst das erratische «Downton Abbey» einer längst fälligen Veränderung nicht mehr verweigern konnte: Lady Sybil, die rebellische jüngste Tochter von Lord Grantham, brannte mit dem Chauffeur durch – shocking! Die Männer kehrten aus dem Ersten Weltkrieg heim und fanden dort ihre Frauen als arbeitende und – huch! – emanzipierte Wesen vor. Ja, es knirschte immer mal wieder im morschen Gebälk des Herrenhauses, doch Julian Fellowes, der geniale Autor der Serie, zeichnete seine Figuren stets liebevoll und gönnte seinem Publikum meist den Trost eines versöhnlichen Happy End.

Nun gibt es «Downton Abbey» also auch als Kinofilm. Was dürfen die Fans (denn für sie ist der Film ja gemacht) davon erwarten? Der Film ist vielleicht nicht ganz so raffiniert erzählt wie die Serie, deren Handlungsstränge über ganze Staffeln aufgebaut und ineinander verwoben sind. Auch kommt die Liebe ein bisschen zu kurz, weil in den sechs Staffeln der Serie ja schon fast jedes Töpfchen sein Deckelchen gefunden

hat (ausser Tom Branson, dem Witwer von Lady Sybil). Doch abgesehen davon fühlt der Film sich an wie eine opulente Doppelfolge, mit allem, was man an DA schon immer heiss geliebt hat: die schwelgerische Titelmusik, der wie mit der Nagelschere manikürte Rasen vor dem Herrenhaus, Carson, der treue Butler, Mrs. Patmore, die resolute Köchin, ja, das gesamte Personal der Serie ist wieder da, als wäre es nie weg gewesen. Die kühle Lady Mary, der man immer so gern zugeguckt hat, wie sie lästige Verehrer wegsnobbt, als wische sie sich eine Schuppe von der Schulter, hat eine neue Frisur – und wenn man ganz genau hinschaut, auch ein paar Fältchen. Aber wir sind ja schliesslich auch schon im Jahr 1927 angelangt.

Als Rahmenhandlung hat sich Drehbuchautor Julian Fellowes ein Ereignis ausgesucht, das maximale Aufregung verspricht: Der König und die Königin kommen zu Besuch! Ein royaler Lunch, eine Parade und ein Dinner müssen organisiert werden. Zum Verdruss der Dienerschaft stellt sich jedoch heraus, dass die Majestäten ihren eigenen Hofstaat mitbringen. Alsbald tobt ein erbitterter Machtkampf um die Vorherrschaft in Küche und Gesindekammern. Der nervtötende französische Leibkoch des Königs – «Isch will mein Olivenöl! Jetzt!» – muss mit unkoscheren Methoden ausgeknockt werden, und allerlei Dramen drohen die royale Visite zum Fiasko werden zu lassen. Aber wir wollen nicht allzu viel spoilern, nur neugierig machen: Butler Thomas besucht seinen ersten Schwulenclub. Wer hätte das gedacht! Ja, die Zeiten ändern sich, auch auf Downton Abbey.

In Wirklichkeit ist das Leben in englischen Herrenhäusern heute erschütternd unglamourös. Viele Schlösser gehören längst reichen Hedgefond-Managern oder Oligarchen aus dem Ausland. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Grundstück- und Erbschaftssteuern in England so massiv erhöht, dass die meisten Adligen sich ihre Latifundien gar nicht mehr leisten konnten. Manche öffneten sie, um sie zu erhalten, gegen Eintritt gar dem neugierigen Pöbel und bekommen dafür Steuererleichterungen. Grundgütiger, so weit ist es gekommen!

Aber von den grossen alten Zeiten träumen, das wird man ja wohl noch dürfen. Denn ist die Vergangenheit erst einmal vorbei, sieht sie gleich viel besser aus. Kein Film führt uns das so wunderbar vor Augen wie «Downton Abbey».

 

«Keine Guten, keine Bösen»

Julian Fellowes, der Drehbuchautor und Produzent von «Downton Abbey», über die Hintergründe der Erfolgsserie.

annabelle: Mr. Fellowes, David Cameron hat Ihnen zum Dank für Ihre wunderbaren Drehbücher einen Adelstitel verliehen. Müssen wir Sie mit Eure Lordschaft ansprechen?
Julian Fellowes: Oh, bitte nein, bloss nicht. Nennen Sie mich einfach Julian.
 
Jemand, der sich so gut mit den Unterschieden der englischen Klassengesellschaft auskennt wie Sie, muss sie mit der Muttermilch aufgesogen haben. Sind Sie mit Bediensteten aufgewachsen?
Nein, ich hatte eine ganz gewöhnliche Kindheit. Privilegiert, aber nicht luxuriös. Meine Eltern waren Diplomaten. Doch ich hatte eine Menge Onkel und Tanten, die diese alte Welt noch gekannt hatten, die mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu Ende ging. Sie beschrieben mir ein komplett anderes England als jenes, das ich erlebte. Ich konnte ihnen stundenlang zuhören. Ihre Erzählungen waren der Humus, auf dem später die Drehbücher für «Downton Abbey» gediehen.
 
«Downton Abbey» war eine der erfolgreichsten Fernsehserien überhaupt. Was ist Ihre Erklärung dafür?
Dass wir so tolle Schauspieler hatten, war bestimmt hilfreich. Doch ich glaube, es lag auch daran, dass wir niemals Partei ergriffen für die einen oder die anderen. Wir hätten die Figuren ja auch in Schubladen stecken können – hier die geknechtete Dienerschaft, da der arrogante Adel –, doch es gab keine Guten und Bösen, wir behandelten sie alle als Individuen mit ihren eigenen Geschichten. Das berührte die Leute.
 
War es schwierig, die ganze Truppe für den Film wieder zusammenzubringen?
Allerdings, denn viele von ihnen sind ja inzwischen Stars. Manche spielen in amerikanischen Serien oder Filmen in Hollywood, andere am Broadway oder an englischen Theatern. Die Herausforderung bestand darin, einen Zeitraum von zwölf Wochen zu finden, in dem sie alle zu den Dreharbeiten kommen konnten. Aber das war zum Glück nicht mein Job.
 
Der Besuch von König und Königin bringt im Film ganz Downton Abbey an den Rand des Nervenzusammenbruchs. War das damals normal, dass der König auf seinen Reisen bei anderen Adeligen vorbeischaute?
Ja, das war üblich. King George und Queen Mary mussten die Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg ja festigen. Viele Monarchien waren damals gefallen: Der österreichische Kaiser, der russische Zar, der deutsche Kaiser – alle weg. Um beim Volk gut anzukommen, mussten der König und die Königin gesehen werden. Also reisten sie ziemlich viel im Land herum, nahmen an Truppenschauen und Paraden teil. So bekamen auch die gewöhnlichen Leute eine Chance, einen Blick auf sie zu erhaschen. King George und Queen Mary waren übrigens ziemlich gut darin, sie wurden beim Volk sehr beliebt.
 
Sie sind auch Schauspieler, haben zum Beispiel in «James Bond 007 – Tomorrow Never Dies» den britischen Verteidigungsminister gespielt. Sind Sie bei «Downton Abbey» niemals in Versuchung geraten, eine klitzekleine Extrarolle für sich selbst ins Script einzubauen?
Nein, ich finde es schwierig, auf beiden Seiten der Kamera zu stehen. Das kann nur Clint Eastwood.
 
Aber wenn doch, wo wären Sie zu finden: upstairs oder downstairs?
(lacht) Ich wäre der Besucher, der mal eben vorbeikommt, um eine Tasse Tee zu trinken. Sie haben sich ein altes Herrenhaus aus dem Jahr 1633 in Dorset gekauft.
 
Haben Sie auch einen Diener, der Ihnen morgens die Zeitung bügelt?
Ich wünschte, es gäbe noch Zeitungen, die man bügeln lassen könnte, aber sie sterben uns ja alle weg in England. Es hat sich so vieles verändert. Ich habe zwar eine Putzhilfe und jemanden für den Garten, aber die nennen mich beim Vornamen. Und als Diener würde ich sie niemals bezeichnen. Dieses Wort gehört unwiederbringlich in die Vergangenheit.