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Eine traurige Wahrheit

Leben

Eine traurige Wahrheit

  • Foto: Joan Minder

Chefredaktorin Silvia Binggeli über schöne und traurige Geschichten in der aktuellen annabelle-Ausgabe. 

87 Jahre und kein bisschen leise. «Na, müssen Sie noch meine Geschichte erzählen, bevor ich abkratze?», warf Barbara Mullen meiner Kollegin Jacqueline Krause-Blouin beim Interview zur Begrüssung keck entgegen. Das ehemalige amerikanische Topmodel landete aus der Unterschicht eher ungewollt in einem glamourösen Leben, zelebrierte dieses mit ebenso viel Lust wie Selbstironie, bevor sie sich in der Schweiz in einen Skilehrer verliebte und blieb. An ihrem erfrischenden Trotz und Optimismus hält sie bis heute fest. «Ich möchte für immer bleiben», sagt sie. Ihre Geschichte zu lesen, macht Freude.

Ganz anders die Geschichten der Frauen, die Helene Aecherli besucht hat. Über Wochen tastete sich unsere Autorin in Winterthur an ihre Protagonistinnen heran, in ihrem Zuhause auf Zeit. Es ist eines von 18 Frauenhäusern in der Schweiz, wo Verzweifelte Zuflucht suchen und gewissenhaft nach aussen abgeschirmt werden. Frauenhäuser sind Mahnmale einer traurigen gesellschaftlichen Konstante: häuslicher Gewalt – so das Fazit von Helene Aecherli.

Traurige Tatsache ist leider auch, dass die Schutzsuchenden fast alle Migrantinnen sind. Verständlicherweise sind die Verantwortlichen beim Formulieren dieser Wahrheit gern übervorsichtig. Auch wir haben in der Redaktion darüber diskutiert, ob wir das lieber leise festhalten möchten, um nicht am Ende rechtspopulistische Tendenzen zu beflügeln. Doch das wäre falsch! Auch wenn man weltoffen ist und bleiben will, muss man solche Missstände laut anklagen: Häusliche Gewalt (auch gegenüber Männern übrigens) muss dezidiert bekämpft werden. Patriarchale Strukturen, die diese erlauben, müssen in allen Kulturen unbedingt der Vergangenheit angehören.

Bei allem Respekt, aber in dieser Hinsicht gilt es, die Entschiedenheit zu pflegen, die dem ehemaligen Topmodel Barbara Mullen ein Leben lang nachgesagt wird: «Sie war alles andere als gut erzogen und fluchte sehr viel.»