Eine Feministin, die alle kennen sollten: Kamla Bhasin
- Text: Jana Schibli
- Bild: Wikipedia; Bildbearbeitung: Grafik annabelle
In unserer Rubrik «Die Feministin» stellen wir Frauen vor, die wir alle kennen sollten – weil sie aus dem Kampf um Gleichstellung nicht wegzudenken sind. Heute mit Kamla Bhasin.
Zwei Finger in den Mund. Ein Pfiff. So schrill wie möglich. Kamla Bhasin –Aktivistin, Autorin und eine in ganz Südasien bekannte Feministin – mochte diese Geste. Von Männern oft zur weiblichen Belästigung eingesetzt war es für die Inderin ein patriarchisches Symbol, das es sich anzueignen galt. Bhasin pfiff bei ihren Reden zur Frauensolidarität, machte es zum Teil ihrer Workshops und veröffentlichte online ein Pfeif-Tutorial. Sie sagte: «Kultur macht nicht Menschen, sondern Menschen machen Kultur.»
Die einfache Geste ist emblematisch für das breite Wirken von Kamla Bhasin, die Ende September mit 75 Jahren verstarb. «Was für eine unvergleichliche Fähigkeit sie hatte, feministische Politik in einer Sprache auszudrücken, die sogar ein Kind verstehen kann», schrieb die indische Aktivistin Kavita Krishnan zu Bhasins Tod. Das konnte zuweilen simplifizierend wirken: Im Mai 2021 wurde sie stark kritisiert, nachdem sie auf eine Frage über trans Menschen hin den Feminismus als Konflikt zwischen Mann und Frau charakterisierte. Ihr letzter Instagram-Post war eine Entschuldigung und das Versprechen, daraus zu lernen.
Whistleblowing und Songtexte
Bhasins ideologische Erweckung geschah 1980, als zwei indische Polizisten vom Vorwurf der Vergewaltigung eines Mädchens freigesprochen wurden, weil es nicht geschrien hatte und nicht körperlich verletzt worden war. Der «Fall Mathura» setzte die indische Frauenbewegung in Schwung. Mittendrin: Kamla Bhasin.
1946 im heutigen Pakistan geboren, hatte sie in Indien und Deutschland Entwicklungssoziologie und Sozialarbeit studiert. Nach Hilfseinsätzen mit der Uno realisierte Bhasin, dass sie statt akademischer Texte lieber Lehrbücher und Songtexte schreiben und vor Ort mit Frauen sprechen wollte. 1998 gründete sie «Sangat» ein südasiatisches Netzwerk für Feministinnen, das auch ländliche Regionen erreichte. In kleinen Gruppen tauschten sich Frauen aus, knüpften Freundschaften und setzten sich mit den Auswirkungen der fehlenden Gleichberechtigung auseinander.
Mit der Zeit thematisierte Kamla Bhasin auch ihre eigenen Missbrauchserfahrungen. «Als ich vergewaltigt wurde, sagten die Leute, ich hätte meine Ehre verloren», sagte die Frau mit dem grauen Haarschopf und der drahtigen Brille 2014 in einem Interview. «Ich möchte fragen: Warum haben sie die Ehre ihrer Gemeinschaft in der Vagina einer Frau platziert?» Dieselben Erlebnisse beschrieb sie in ihrem Kinderbuch «If Only Someone Had Broken the Silence». Das Fazit: Es braucht keine komplizierten Worte, um das Schweigen zu brechen.