Mit ihren liebenswürdigen Filmen und Büchern bezaubert die US-Künstlerin Miranda July das Publikum – und provoziert gleichzeitig heftige Reaktionen, etwa den Blog «I hate Miranda July».
Mit ihren liebenswürdigen Filmen und Büchern bezaubert die US-Künstlerin Miranda July das Publikum – und provoziert gleichzeitig heftige Reaktionen, etwa den Blog «I hate Miranda July». Wir haben die Frau der Stunde in Los Angeles kennen gelernt. Und wir mögen sie.
Niemand hat sie kommen gehört. Am Nachmittag des Fotoshootings steht sie plötzlich mitten im Raum. Man will nicht gleich von einem Geist sprechen, aber das Bild geht einem durch den Kopf. Miranda July reicht mir höflich ihre kalte Kinderhand. Doch es sind diese energischen Diamantenaugen, die einem sofort auffallen. Ihre Strahlkraft ist gigantisch. Sie könnte mit diesen
Augen Armeen befehligen.
Ansonsten könnte sie als Lehrerin an einer Steinerschule durchgehen. Dunkelgrüne Stoffhose, Stofftasche, kein Make-up, weisses Blüschen, eine brüchige Stimme, als würde sie gleich von einem Weinkrampf erfasst. In den nächsten Stunden wird sich herausstellen, dass das nichts zu bedeuten hat. Dass Miranda Julys Stimme einfach nur zum Heulen klingt. Und dass diese Stimme dem Fotografen mit Bestimmtheit sagen wird, wie ihre Besitzerin bitte auszusehen hat. Kein Strich der Puderquaste entgeht ihren blitzenden Augen. Sie bestimmt, wie sie aussieht, wie sie wirkt, wie sie lächelt, wie die Haarlocke in die Stirn zu fallen, die Frisur zu sitzen hat. Miranda July darf das.
Die US-Künstlerin, Schriftstellerin und Filmemacherin ist 37 Jahre alt und auf dem Weg nach ganz oben. Ihr Kreativimperium boomt. Das Magazin der «New York Times» widmete ihr kürzlich die Titelgeschichte, das Schweizer Kulturmagazin «Du» die November-Ausgabe. Ihre Kurzgeschichtensammlung «Zehn Wahrheiten» (Diogenes) war in den USA ein Bestseller. Derzeit arbeitet sie an ihrem ersten Roman. Ihre Kunst ist in den wichtigsten Sammlungen der Welt vertreten, sie stellte auf der Biennale in Venedig aus. Und in ihrem erfrischend schrulligen Filmdebüt «Me and You and Everyone We Know» spielte sie die Hauptrolle, führte Regie und schrieb das Drehbuch. Genau wie in ihrem neuen Film «The Future».
Warum fliegen plötzlich alle auf Miranda July?
Eine Möglichkeit wäre: Sie stülpt ihre inneren Monologe, die wir alle kennen und täglich mit uns herumtragen, nach aussen. Das Selbstgespräch als Ausdruck und Informationsquelle unserer Befindlichkeit. Das macht ihre Arbeiten zugänglich. «Mich interessiert, wie man mit sich selbst spricht. Die innere Welt, nicht die direkte Kommunikation zwischen den Leuten. Die intimen Momente, in denen wir das, was uns peinlich ist, allein vor uns hinsagen. Damit arbeite ich», sagt July und setzt sich auf den Schminkstuhl. Sie rutscht darauf herum wie ein Kind, das mit den Füssen nicht auf den Boden kommt, weil der Stuhl so hoch ist.
Miranda Julys Ausstellung im Moca Pacific Design Center in Los Angeles funktionierte genau nach diesem Muster. Bei der Eröffnung im vergangenen Juli stellte sie einen Eiscrèmewagen zwischen ihre Installationen. Er war die Attraktion des Abends: Die meisten Besucher kannten an diesem Abend kein anderes Thema als die köstliche Zimtglace mit Waffeln. «Erwachsene erlauben sich keine Eiscrème mehr, umso mehr in Los Angeles allein das Wort Zucker auf einer schwarzen Liste steht. Aber auf einer Kunsteröffnung ist das was anders. Da denkt man, ach, es gehört ja zur Kunst», sagt Miranda July und lächelt ihr Puppenlächeln. Sie freut sich, denn sie hat ihren Gästen den ewigen inneren Monolog um Schuld und Sühne abgerungen, indem sie ihnen erlaubte, im geschützten Umfeld der Kunst für eine Stunde unvernünftig zu sein. Sie durften sich sogar auf weisse Steinblöcke stellen, auf die sie «Die Schuldige», «Der Schuldigere» und «Die Schuldigste» gepinselt hatte.
ANNABELLE: Miranda July, das Wort Schuld kommt bei Ihnen oft vor. Warum?
MIRANDA JULY: Es beschäftigt mich einfach enorm. Ich war in Berlin, um an meinem Film zu arbeiten. Ich fuhr jeden Tag mit dem Velo an ein paar Drogendealern vorbei. Ich fühlte mich irgendwann schuldig, dass ich ihnen nichts abkaufte. Ich erinnere mich aber, dass ich mich im Jahr 2009 am schuldigsten fühlte.
Warum das?
Ich habe in diesem Jahr geheiratet. Ich fühlte mich schuldig, weil ich glücklich war. Und ich war gleichzeitig erschrocken, wie sehr ich mir diese Art von Liebe immer gewünscht hatte.
Miranda July hat jetzt Hunger. Dazu hat sie ihr eigenes Joghurt und ihren eigenen Löffel mitgebracht. Doch sie will nicht, dass ihr jemand beim Essen zusieht. Auch das darf sie.
«Ich bin immer noch unabhängig, trotz Ehe», sagt sie später. Sie ist mit dem Regisseur Mike Mills verheiratet, «und das glücklich». Trotzdem stellt sie sich in ihrer Kunst den Schwierigkeiten des Zusammenlebens. So auch in ihrem neuen Spielfilm «The Future»: Ein junges, kinderloses Hipsterpaar aus Silverlake, einem angesagten Szenequartier in Los Angeles, ist auf dem besten Weg, in eine frühe Midlife-Crisis zu rutschen. Die beiden adoptieren eine Katze, die bald sterben wird. Die Katze Paw Paw spricht im Film mit Miranda Julys brüchiger Stimme, so als ob sie gleich heulen würde. Paw Paw stellt ihren Pflegeeltern entscheidende Fragen zu ihrem Leben und baldigen Ableben. Die beiden kündigen ihre Jobs und konzentrieren sich ganz auf ihre Katze, eine Art Kinderersatz. Dann beginnt die Frau (auch die wird von Miranda July gespielt) eine Affäre mit einem älteren Mann. Alles droht zu zerfallen. Wieder die Frage: Wer hat Schuld, wenn eine lange Beziehung zerbricht?
Vom Make-up-Sessel aus verteidigt Miranda July die Position der weiblichen Hauptrolle. «Sie beginnt die Affäre nicht aus Leidenschaft. Sie steckt in ihrem Leben fest. Sie will fliehen, aus allem. Sie stellt sich die Frage: Kann ich mein Leben und meine Ehe so weit ruinieren, dass ich nicht mehr zurück kann?»
Miranda July weiss jetzt, was ihr nicht gefällt
Der Puder unter den Augen ist zu hell. Sie sagt, das mache sie alt. Der Lippenstift ist ihr zu pink. Sie betrachtet sich. Die ganze Zeit. Bei allem, was sie sagt und was sie anzieht. Sie verliert sich keine Sekunde, in keinem Moment. Gleichzeitig erzählt sie. «Privates» bringt sie in Stimmung: Beziehungen, Verhältnisse, Freundschaften. Das ist Julys Futter, der Stoff, aus dem ihre Kunst besteht. Um dieses Material zu gewinnen, muss sie selbst privat werden, damit es auch andere Leute für sie tun und ihre inneren Monologe nach aussen stülpen. Sie erzählt von ihrer Ehe, wie man es sonst nur mit Freunden tut. Dabei kennen wir uns erst seit dreissig Minuten. Sogar ihre Stimme verändert sich, wenn sie über all das spricht. Sie wird fester, bestimmter. Miranda erzählt, wie ihr Mike seinen Heiratsantrag gemacht hatte. «Er hat alles, was ich je für ihn gebastelt habe, ins Schlafzimmer gebracht und mir dann den Ring gezeigt. Ich war kaum in der Lage zu reagieren. Es war alles sehr aufreibend.» Und sie erzählt, wie sie heulend in seinen Armen zusammenbrach. Erstaunlich: Je intimer ihre Anekdoten, umso mehr kommt Miranda July in Schwung. Ihre Stimme hellt sich auf, verliert das Weinerliche. So muss sie sich fühlen, wenn sie arbeitet.
Überraschend wenig fällt ihr zu Fragen ein, die nichts mit ihrem persönlichen Leben zu tun haben. Fragen über das Land, in dem sie lebt. Fragen zur Politik. Zu Obama. Zu den Wallstreetprotesten. Fühlt sie sich einer Gegenkultur zugehörig? «Meine Sachen sind bestimmt nicht Mainstream», sagt sie. «Trotzdem hatte ich nie den Ehrgeiz, Revolutionen anzuzetteln.» Und ihre Stimme steht wieder kurz vor dem Heulen. Dabei gehört July durchaus einer künstlerischen Bewegung an. Einer Bewegung ohne Slogans, die sich mit kreativer Versponnenheit US-Normalitäten wie falschen Brüsten, Realityshows und Hollywood entgegenstemmt.
Woher kommt das, Ihr Andersseinwollen?
Nicht von zuhause! Meine Familie ist sehr normal, und meine Persönlichkeit hat sich ganz organisch entwickelt.
Sie wuchsen immerhin in der kalifornischen Hippiebastion Berkeley auf.
Ja, aber nicht im Umfeld der Universität. Meine Eltern waren beide Schriftsteller, bevor sie einen New-Age-Verlag gründeten. Eine typische Do-it-yourself-Familie. Ich lernte früh, über mein eigenes Leben zu bestimmen, alles selbst zu machen, eine eigene Marke zu werden. Künstlerinnen fällt das ja oft schwerer als Männern.
Mit 23 konnte Miranda July von der Kunst leben. Sie ging nach Portland, wo sie sich der feministischen Riot-Grrrl-Bewegung anschloss, die von Frauenpunkbands wie Bikini Kill, Hole und Sleater Skinny angeführt wurde. Sie spielte in Bands, schrieb Kurzgeschichten und gab Gastauftritte als Schauspielerin. Mit ihrem Filmdebüt «Me and You and Everyone We Know» gewann sie 2005 die Camera d’Or in Cannes und den Preis der Jury beim Sundance-Festival. Der Film kostete sie ein Vermögen, und darum war sie «erst mal so richtig unangenehm arm». Eines Morgens lag ein Check von 25 000 Dollar im Briefkasten. July hatte bei einem Coca-Cola-Wettbewerb in Portland mitgemacht, bei dem neue Namen für Cola-Produkte gesucht wurden. Sie schlug Coke2 vor und – wurde nun dafür bezahlt. Exakt die Summe, die sie für die Fertigstellung ihres Bestsellers «Zehn Wahrheiten» brauchte. Bis heute ist das Buch ihr wichtigstes
finanzielles Standbein.
Vor einigen Jahren zog Miranda July dann in den Vorhof zur Hölle der Filmindustrie: Nach Silverlake in Los Angeles. Hier sieht man jede Menge schwarze Acne-Jeans, wirres, unfrisiertes Haar, keine einzige Chanel-Tasche weit und breit. Man trifft sich auf einen Latte oder einen Gemüsesaft im Intelligentsia Coffee, wo Menschen noch Gedrucktes lesen und nicht auf einen Touchscreen starren. Miranda July lebt gleich um die Ecke, und ja, wenn sie zu Trader Joe’s, dem Öko-Aldi von Los Angeles, einkaufen geht, blogt garantiert jemand aus dem Quartier, was sie gerade in den Einkaufswagen wirft. Und wenn sie im Nachbarschaftyoga bei einer Yogaübung etwas falsch macht, steht auch das drin. Aber Miranda July weiss: Wer in Los Angeles lebt und halbwegs bekannt ist, muss halt damit rechnen. So schlimm findet sie es nun auch wieder nicht. «Ich gebe zu, ich habe eine kleine Schwäche für Ruhm.» Ihr Erfolg löst nicht überall helle Begeisterung aus. Der Blog «I Hate Miranda July» bezichtigt sie des «prätentiösen Hiperster-Unsinns». Ein Eintrag lautet: «Ich hasse July, weil sie für alles verantwortlich ist, was ich hasse. Eine Künstlerin aus Brooklyn kommentiert: «Ich hasse sie, weil sie mein persönliches Traumleben lebt.» Die Miranda-Fan-Fraktion hält sie freilich für «den coolsten Menschen auf diesem Planeten». Sie hat ein ganzes Zimmer voller Fangeschenke, bei Filmpremieren umringen Bewunderer ihre Heldin und bombardieren sie mit Fragen. Wie hast du das und dies gemeint? Wie bist du auf diese oder jene Figur gekommen? Was hast du dir da und dort gedacht? Sie sind von ihrer verschrobenen Komik angetan, und von ihrer Fähigkeit, nicht aggressiv, zynisch oder wertend auf ihre Umgebung einzugehen. Sie ist eine von ihnen.
Für den ersten Teil der Fotosession führt Miranda July eine Art Hipsterballett in einem hochgeschlossenen Kleid vor. Das Ganze sieht fast schon schmerzhaft komisch aus. Man will hingehen und ihr sagen: Hör auf damit! Doch natürlich würde July nicht zuhören. Dann zwängt sie sich in ein sehr kompliziertes, hellblaues Kleid mit einem steifen Kragen. Es verleiht ihr trotz Porzellanpuppenlächeln etwas Mächtiges, fast Militärisches. Und das ist der Grund, warum sie ihrem Gatten, Mike Mills, damals bei einem Interview in Sundance überhaupt aufgefallen war. «Sie war so ernsthaft und erklärte alles so exakt», erzählt er einmal. «Ich war sofort verliebt.»
Und es stimmt: Miranda July ist eine präzise, unironische Erzählerin. Sie sagt, dass sich niemand schämen muss, dass in Wahrheit niemand wirklich cool ist. Selbst sie nicht, Miranda July, «der coolste Mensch auf diesem Planeten». Das macht diese Frau so menschlich.
Miranda Julys Film: Zaudernde Mittdreissiger
Der neue Film von Miranda July handelt von zwei Mittdreissigern (Miranda July, Hamish Linklater), die sich vor der drohenden Routine ihrer Beziehung fürchten. Sie reagieren, indem sie Jobs und Internetzugang kündigen und einen Monat lang nur ihren spontanen Neigungen folgen. Melancholisches Porträt einer zaudernden Generation.
—Ab 15. 12.: «The Future» von Miranda July. Mit einer sprechenden Katze und einem T-Shirt, das ein bizarres Eigenleben führt.
Nächsten Februar erscheint im Diogenes-Verlag Miranda Julys neues Buch «Es findet dich», eine Sammlung von Interviews, in denen July ebenso viel über sich selbst verrät wie über ihre Gesprächspartner.
Zur Person Miranda July: Fantasie der Macht
Die US-Künstlerin, Schriftstellerin und Filmemacherin Miranda July kam 1974 als Miranda Jennifer Grossinger in Vermont zur Welt. Sie schreibt skurrile Kurzgeschichten über die Banalitäten des Alltags, stellt in den wichtigsten Museen der Welt aus und eroberte mit ihrem Spielfilm «Me and You and Everyone We Know» auch die Herzen europäischer Filmfans. Sie ist mit dem Videoclip-Regisseur Mike Mills verheiratet. Achtung: Wenn Sie Julys Website besuchen möchten, ist Ihre Fantasie gefordert. Versuchen Sie es trotzdem – oder gerade deshalb.
— www.mirandajuly.com
1.
Ich tanze. «Mich interessiert, wie man mit sich selber spricht. Die innere Welt, nicht die direkte Kommunikation zwischen den Leuten»: Hipsterballett im hochgeschlossenen Kleid
2.
Ich bin der Boss. Das komplizierte Kleid mit steifem Kragen verleiht Miranda July etwas Mächtiges, fast Militärisches
3.
Ganz privat. Je intimer ihre Anekdoten, umso mehr kommt Miranda July in Schwung