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Ein Leben lang in der Tierwelt

Leben

Ein Leben lang in der Tierwelt

  • Aufgezeichnet von Stephanie Hess; Foto: Pexels.com/Paula

Ewald Isenbügel (80) ist langjähriger Tierarzt im Zoo Zürich. Was er an seiner Arbeit besonders liebt, ist die Unvorhersehbarkeit – beispielsweise als die Vogelspinne an Haarausfall litt.

Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere – was für ein unsinniger Spruch! Mein grosses Anliegen ist es vielmehr, Mensch und Tier zusammenzubringen. Darum mache ich auch heute noch so viele Zooführungen, obwohl ich bereits vor Jahren als Tierarzt des Zoos Zürich pensioniert wurde. Wie wichtig Tiere für den Menschen sein können, erlebte ich früh: Ohne meinen Dackel Purzel hätte ich als Bub die Bombennächte in meiner Heimatstadt Essen nicht ausgehalten. Ebenso wichtig waren für mich die Geschichten meines Vaters. In den Stunden im Keller berichtete er von seinen Reisen in die Wildnis, von einer idyllischen Welt – ein verlockendes Gegenbild zur damaligen Realität.

Als Schüler arbeitete ich auf mehreren ostfriesischen Inseln als Vogelwart und half im kleinen Zoo meiner Heimatstadt aus. Dort zog ich mir im Umgang mit Tieren meine einzige Verletzung zu: Der kleine Seehund Toni, den ich selber aufgezogen hatte, biss mir in den Handteller.

Die Philosophie des Handkontakts und des Streichelns im Zoo hat sich über die Jahre stark gewandelt. Früher haben wir viele Jungtiere von Hand aufgezogen. So auch die jungen Schneeleoparden, die ich noch als erwachsene Katzen durchs Gitter streicheln und impfen konnte. Sie waren zahm, aber auch fehlgeprägt – beispielsweise in der Partnerfindung. Heute gilt die Hands-off-Methode. Tierärztinnen und Pfleger sind nicht mehr Teil der Herde. Man versucht, die Tiere in ihrer realen sozialen Struktur zu halten, sie zu beschäftigen, beispielsweise mit Nahrungssuche im Gehege.

Neben der Nähe zu den Tieren liebte ich an meiner Arbeit im Zoo auch die Unvorhersehbarkeit. Ich wusste nie, was ich antreffe: Gebärt heute die Elefantenkuh, oder hat die Vogelspinne Haarausfall? Letzteres passierte tatsächlich. Ich überprüfte dann erst mal die Haltung und das Terrarium der Vogelspinne. Dann untersuchte ich, was sie gefressen hatte. Wie sich schliesslich herausstellte, hatte die Spinne Pilz an den Haarwurzeln. Ich therapierte sie über ein Medikament im Futter – und die Haare begannen wieder zu spriessen.

Neben meiner Arbeit im Zoo habe ich dokumentarische Tierfilme gedreht, Reisen in die Wildnis geführt und zahlreiche Bücher und Artikel geschrieben. Wie viele es waren, kann ich nicht mal mehr genau sagen. Ausserdem forschte und dozierte ich an der Universität Zürich. Die Theorie lag dabei durchaus nahe bei der Praxis; kam es doch manchmal vor, dass ich zu spät und leicht müffelnd in die Vorlesung kam, weil die kleinen Seehunde im Zoo Zürich die Fische immer wieder ausspuckten.

Ich liebe Tiere – und doch bin ich kein Vegetarier. Meine Frau und meine drei Töchter hingegen schon. Dadurch hat sich auch mein Verhältnis zu Fleisch verändert, ich koche heute oft vegetarisch. Ich weiss auch, dass ich bestimmt grosse Mühe hätte, eines meiner Zwerghühner zu schlachten. Ich liebe sie sehr, genauso wie meine zwei Hunde und meine Breitrandschildkröten.

Tiere zu streicheln, ist für Kinder ein archaisches Bedürfnis. Daher empfehle ich Familien auch ein Haustier, aber natürlich muss das die Wohnsituation zulassen, genauso wie die Familienstruktur. Welches die geeignetsten Haustiere sind? Das ist nicht ganz einfach. Denn das Hochheben von am Boden lebenden Tieren wie dem Chinchilla oder dem Meerschweinchen gemahnt sie an den Beutegriff des Adlers und macht ihnen Angst. Natürlich gewöhnen sich die Tiere daran. Ideal als Haustiere sind aber eigentlich nur Hunde und Katzen.

Dass ich heute mit achtzig Jahren immer noch mit den Tieren im Zoo in Kontakt sein kann, ist eine Gnade. Und viele, viele Tiere kennen mich. Beispielsweise rennt der Gorillamann N’Gola auf mich zu, reisst dann einen fulminanten Stopp, macht sich gross und grunzt. In selteneren Fällen trommelt er sich auf die Brust. Ich muss mich dann bücken, darf ihn nicht ansehen und ziehe mich zurück. Dann ist für ihn die Welt wieder in Ordnung.