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Ein Händchen für Heavymetal

Leben

Ein Händchen für Heavymetal

  • Text: Franziska K. Müller; Fotos: Mirjam Kluka

Die Produkt-Designerin Bertille Laguet ist eine der wenigen Schmiedinnen der Schweiz. Im Winzerdorf Chexbres VD verbindet sie uralte Handwerkskunst mit zeitgenössischem Esprit –und bringt frischen Wind in beide Disziplinen.

Der Fussweg führt an Reben, einer Bäckerei und einem Bistro vorbei. Kunstvolle Aushängeschilder schaukeln im Wind; sie machen auf jene Weinkellereien aufmerksam, die das im Waadtland gelegene Dorf Chexbres seit jeher auszeichnen.

Die aufwendigen Metallarbeiten entstehen in einer über 100-jährigen Schmiede, die seit vier Generationen in Familienhand liegt. An anderen Tagen wärmt ein monumentales Feuer die verwinkelte Werkstatt und am Amboss stünde eine zierliche Frau mit Lockenkopf und grünen Augen. Doch heute ist alles anders: Der Schmied ist gestürzt, musste vorübergehend in Spitalpflege. Jetzt steht er mit weiss bandagiertem Kopf neben seinem Schützling: Bertille Laguet.

Eine schwere Schürze schützt ihren Körper, die Haare sind zusammengebunden. Trotz Schmerzen lächelt Monsieur Naegele. Zwei Töchter wollten vom Familienbetrieb nichts wissen, doch dann tauchte diese junge Frau aus Lausanne auf, die sich zum Glücksfall entwickelt hat. Für ihn. Für die Kunst-Schmiede. Ach was, für das ganze Dorf.

«EINE SCHMIEDE IST DIE
WIEGE VON PRODUKTEN,
DIE SCHON IMMER ZUM LEBEN
DER MENSCHEN GEHÖRTEN»
 

Als die Produkt-Designerin den Betrieb vor drei Jahren am Tag der offenen Tür – und in der Absicht, gratis ein paar Gläser Weisswein zu trinken – zum ersten Mal betrat, war es Liebe auf den ersten Blick. Das bläulich schimmernde Universum mit metallischen Gerätschaften und ebensolchen Materialien bezeichnet die 31-Jährige als «Wiege von Produkten, die schon immer zum Leben und den Menschen gehörten». Zudem: Vorhängeschlösser, Hufeisen, Räder, Maschinenteile, Gartenzäune, Treppengeländer und Fenstergitter aus Stahl und Eisen bleiben immer reparierbar, vieles ist für die Ewigkeit bestimmt. Auch dieser Aspekt der Arbeit entspreche ihrer auf Nachhaltigkeit beruhender Philosophie; mit Resultaten, die lokal produziert werden und sich auch vom anwachsenden Wust an Artikeln aus Kunststoff abheben. Sie hält dem Besuch ihre eigenen Werkzeuge – darunter Hammer und diverse Zangen – entgegen. Es handelt sich um handgefertigte Massarbeiten, die auf jene zarten Hände angepasst wurden, die sie zu verwenden wissen. Denn in der Zwischenzeit hat Bertille Laguet das Schmiedehandwerk erlernt und ist mit allen Herstellungsverfahren und Materialien vertraut. Den Betrieb wird sie – auch in der Überzeugung, ein Kunsthandwerk vor dem Untergang zu bewahren – in absehbarer Zeit übernehmen. Noch lebt sie in der Stadt, in Lausanne, doch spätestens in einigen Jahren will sie ins Winzerdorf ziehen. Die Kinder, die sie irgendwann möchte, sollen hier aufwachsen.

NOCH LEBT SIE IN LAUSANNE,
WILL ABER INS WINZERDORF
ZIEHE. DIE KINDER,
DIE SIE IRGENDWANN MÖCHTE,
SOLLEN HIER AUFWACHSEN
 

Sie selbst stammt aus dem französischen Jura, und die Liebe zum Design wurde ihr praktisch in die Wiege gelegt. Die Eltern, Besitzer einer Giesserei, sammelten entsprechende Klassiker, und wenn das Mädchen ein Zelt haben oder Verkaufsladen spielen wollte, schob sie Stühle von Marcel Breuer und die Leuchte Tizio von Artemide zusammen. Gleichzeitig sei in ihrem Umfeld wenig konsumiert, dafür viel mit den Händen gearbeitet worden. Der Grossvater war Patissier, backte Brot und Kuchen. Seine Enkelin beobachtete interessiert, wie die einzelnen Zutaten durch die umliegenden Bauern angeliefert, durch den Grossvater gewogen und verarbeitet wurden und nach dem Backen ein Wunderwerk auf dem Tisch stand. Das Bedürfnis, Entstehungsprozesse nicht nur theoretisch zu verstehen, sondern diese zu erfahren, habe sie nie mehr verlassen, sagt Bertille Laguet.

Erstmals auf sich aufmerksam machte die Absolventin der kantonalen Kunstschule Lausanne ECAL jedoch bereits im Jahr 2013. Für die berühmte Wiener Kristallmanufaktur J & L Lobmeyr realisierte sie ein Projekt, das die unterschiedlichsten Menschen für das alte Kunsthandwerk interessieren sollte – und letztlich Experten wie Publikum gleichermassen begeisterte: eine Kollektion von handgegossenen, glasklaren Zucker-Lollies – als Gussformen dienten die berühmtesten Lobmeyr-Designs, darunter solche von Adolf Loos.

«Ich verspürte kein Bedürfnis, neumodische Produkte zu designen, obwohl das vordergründig sicher mehr Sexappeal gehabt hätte», erklärt sie den späteren Vorstoss in eine Domäne, die durch das zeitgenössische Design bis dahin weitestgehend ignoriert worden war. Ihr Plan, einen Radiator zu realisieren, der optisch an eine konventionelle Wärmequelle erinnert und gleichzeitig beinahe futuristisch wirkt, setzte die Auseinandersetzung mit schweren Materialien und den damit verbundenen Herstellungstechniken voraus. Ein gusseiserner Koloss entstand, schwerfällig und elegant zugleich, ein elefantengraues Objekt in fünf verschiedenen Grössen, das multifunktional und saisonunabhängig auch als Bank oder Stauraum verwendet werden kann. Diese Arbeit brachte Bertille Laguet im Jahr 2017 den Swiss Design Award ein. Die Auseinandersetzung mit einem uralten Herstellungsverfahren, dem Grauguss, und die daraus resultierenden Resultate hatten die Eidgenössische Designkommission überzeugt.

Fast sofort zog der Radiator B&M auch die Aufmerksamkeit einer grossen New Yorker Galerie auf sich, für die Laguet später ähnliche Objekte entwarf. Manche wurden ab Bild verkauft, die beleuchtete Wandskulptur Caleo nach Miami. Bertille Laguet, die neun Monate ihres Lebens mit der Entwicklung und Realisation der dafür benötigten, handgefertigten Mulden beschäftigt gewesen war, fragte nach, ob sie den Käufer kennenlernen dürfe. Dieser lehnte ab. Er wolle anonym bleiben. Es ist eine Episode, die sie bis heute sprachlos macht – und kritisch: gegenüber dem zeitgenössischen Kunstbetrieb und dessen Bedürfnissen, Befindlichkeiten und Reaktionen, die sie nicht alle verstehen will. Der Alltag in der Schmiede hingegen ist geprägt durch den tagtäglichen Kontakt mit den – meist männlichen – Kunden. Mussten Teile von landwirtschaftlichen Maschinen erneuert oder ein zwei Tonnen schweres Gartentor repariert werden, betrachteten manche Einheimische die junge Frau anfänglich etwas skeptisch. Seit sie auch weiss, wie das Innenleben eines komplizierten Schlosses funktioniert und wie die zu ersetzenden Teile geschmiedet werden, nennt man sie im Dorf respektvoll «la forgeronne», die Schmiedin. Diese liebt ihre Arbeit. Eisen und Stahl bezeichnet sie als sanft, warm, anpassungsfähig. Bei der Bearbeitung müssen die wechselnden Farben des Materials im Feuer interpretiert und verstanden werden, die Formgebung geschieht oft nach Augenmass, und Korrekturen sind nach dem Erkalten des Materials nicht mehr oder nur schwierig möglich.

“LA FORGERONNE”,
DIE SCHMIEDIN, LIEBT
IHRE ARBEIT. EISEN UND
STAHL BEZEICHNET SIE
ALS SANFT, WARM,
ANPASSUNGSFÄHIG
 

Ihr Anspruch, nicht nur alte Techniken in die Moderne zu überführen, sondern auch über das Traditionshandwerk nachzudenken und neue Lösungen für Althergebrachtes zu finden, sieht der weltoffene Monsieur Naegele als Gewinn für die Zukunft.

Die Disziplinen vermischt Bertille Laguet unbeschwert; sie sieht sich nicht als Künstlerin, hinterfragt manche Aspekte des zeitgenössischen Designs, stellt die Glaubenssätze eines über hundertjährigen Betriebes auf den Prüfstand und involviert auch andere Kunsthandwerksbetriebe in die Produktion von aktuellen Aufträgen und Entwürfen: Ein neu designtes Zaunsystem, grafisch, elegant, modern, soll künftig die Anwesen und Gärten von Chexbres verschönern und wird in einer uralten französischen Torbau-Firma produziert. Für die diesjährige Mailänder Möbelmesse tüftelte sie wochenlang an einer dünnen Metallplatte, die – mit einer biegsamen Steinfolie laminiert und mit handgeschmiedeten Nieten verziert – zwar schwer erscheint, jedoch ein federleichter Tisch ist. Kuro, ein dreidimensionales Spiegelobjekt aus Eisen und Stahl, das der Farbe Schwarz gewidmet ist und in sich unzählige Schmiedetechniken vereint, wird dieses Jahr an einer Kunstmesse in Brüssel zu sehen sein.

Ihr grösster Stolz liegt jedoch gerade auf der Werkbank. Ein Auftrag, der eine besondere Ehre ist: jene Kronen anzufertigen, die am 18. Juli den besten Winzern während des alle 25 Jahre stattfindenden Grossereignisses, der Fête des Vignerons, verliehen werden. Bertille Laguet hält Pinzetten und Punzier-Eisen in die Luft, einen Ziselierhammer, ein Umschlageisen. Weinblätter, Ranken und Arabesken. Allein für die Fertigung der Trauben kommen acht verschiedene Instrumente zum Einsatz: «Alle selbst entworfen und angefertigt», sagt Bertille Laguet. Ach ja: Bisher wurde für die Weinblätter Kupfer aus Italien verwendet. Seit die Nachfolgerin des Schmieds am Ruder ist, kommt ein Produzent aus dem Schweizer Jura zum Zug.

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An der Werkbank (links) fliegen die Funken und die Esse (rechts) ist das Herzstück der Schmiede

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«Ich verspürte kein Bedürfnis, neumodische Produkte zu designen»: Schmiedin Bertille Laguet an ihrem Arbeitsplatz

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Links: Für den futuristischen guss-eisernen Radiator B&M erhielt Bertille Laguet den Swiss Design Award

Rechts: Lollies für die Wiener Kristallmanu- faktur Lobmeyr

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