Ab heute ist mit «Sportlerin» das erste Schweizer Magazin erhältlich, das sich rein um Frauensport dreht. Die Gründer: drei Männer. Wir haben mit dem Redaktionsleiter und Sportjournalisten Fabian Ruch gesprochen.
annabelle: Als Sportjournalist haben Sie in Ihrer Zeit bei Tamedia laut eigenen Angaben kaum über Frauen berichtet. Warum?
Fabian Ruch: Ich war auf Fussball spezialisiert – und, so blöd es tönt: Frauenfussball war schlicht nicht Teil meines Arbeitsgebiets. Ich habe zwar selbst immer wieder bemerkt, wie wenig Frauensport in den Redaktionen gefördert wurde, aber so richtig etwas dagegen unternommen habe auch ich nicht. Dass ich das versäumt habe, finde ich rückblickend sehr schade. Ich realisiere immer mehr: Im Sportjournalismus sind viele ziemlich einseitig gewickelt.
Wie meinen Sie das?
Ich schätze, 90 Prozent der Sportjournalisten in der Schweiz sind männlich und so ist die Sportberichterstattung durch männliches Denken geprägt. Zudem spielt das Geschäft mit den Klicks online eine grosse Rolle. Da macht man lieber nochmals eine Geschichte über Neymars Schienbeinschoner statt eine Hintergrundgeschichte über eine spannende Sportlerin, weil Neymar per se mehr Klicks generiert.
Das Gründerteam von «Sportlerin» besteht aus Männern. War nicht das Bestreben da, eine Frau ins Team zu holen?
Das war eigentlich unser Plan. Ich habe viele Sportjournalistinnen, die ich bewundere, angefragt und aus unterschiedlichsten Gründen jedoch Absagen erhalten, etwa weil sie nebst ihren Arbeitgebern nicht noch für andere Medien schreiben dürfen. Diese Frauen haben mich aber zum Teil an Kolleginnen weitergeleitet, mit denen ich jetzt für das Magazin zusammenarbeite und die mir auch neue Themen aufgezeigt haben. Ich habe in den letzten Monaten beruflich mit so vielen Frauen zu tun gehabt wie zuvor in zwanzig Jahren nicht.
Stört es Sie persönlich nicht, dass «Sportlerin» jetzt drei männliche Chefs hat?
Man kann das kritisieren, das ist klar. Doch genau solche Debatten sollten unserer Meinung nach 2020 nicht mehr geführt werden, niemand soll auf sein Geschlecht reduziert werden. Und wir haben beschlossen, eine Art weiblichen Beirat zu gründen, der unser Magazin kritisch anschaut – bestehend aus ganz unterschiedlichen Frauen, von Politikerinnen bis zu Mitgliedern des Unternehmerinnen-Netzwerks Womenbiz. So wollen wir sicherstellen, dass das Magazin auch aus weiblicher Sicht standhält.
Was tun Sie noch, um dem männlichen Blickwinkel entgegenzusteuern?
Als Redaktionsleiter bin ich verantwortlich für den Inhalt und versuche, für jede Geschichte immer zuerst eine Autorin zu finden. Wenn ich keine Frau finde, gebe ich Geschichten auch mal an Autoren, aber natürlich mit der klaren Ansage, dass Sexismus und Diskriminierung in unserem Magazin keinen Platz finden. Ich wollte aber auch eine gewisse Bandbreite an Autorinnen und Autoren haben – von der Genderforscherin bis zum prominenten Sportjournalisten. Der Inhalt besteht zu 100 Prozent aus Frauensport, das ist wichtig. Wer schlussendlich die Geschichte schreibt, macht hoffentlich keinen Unterschied, wenn das Produkt überzeugt.
Sind Sie bei einem Text über eine Sportlerin automatisch vorsichtiger mit Ihren Formulierungen?
Ich habe mir vorgenommen, mir genau diese Gedanken nicht zu machen, sondern einfach mal zu schreiben und am Schluss zu schauen, wie es wirkt. Vorsichtiger zu schreiben fände ich schade, dann würde ich Sportlerinnen ja auf ihr Geschlecht reduzieren. Und ich hoffe sehr, dass eine Generation heranwächst, in der das Geschlecht ganz allgemein keinen Unterschied mehr macht.
In einer idealen Welt bräuchte es ja gar keine Frauensportmagazine, oder?
In der Tat! Im besten Fall schaffen wir uns irgendwann selbst ab, weil der Frauensport überall sonst angemessen behandelt wird.
In der ersten Ausgabe geht es um das Coming-out der Fussballerin Lara Dickemann. Soll auch Homosexualität bei Ihnen mehr Platz finden als in den Mainstream-Medien? Gerade bei männlichen Sportlern ist das ja immer noch ein riesiges Tabu.
Homosexualität soll nicht bewusst mehr Platz finden bei uns, sondern ganz selbstverständlich eine Rolle spielen. Im Männersport ist das tatsächlich noch ein grosses Tabu. Ich komme aus dem Männerfussball, kenne selbst zwei Fussballer, die schwul sind. Darüber wollte ich eine Geschichte machen, aber bis jetzt hat sich noch kein aktiver männlicher Fussballer weltweit geoutet. Unglaublich!
In der ersten Ausgabe findet man hauptsächlich Geschichten über Spitzensportlerinnen. Sollen künftig auch unbekanntere Sportlerinnen Platz finden?
Das Konzept ist Spitzensport und Breitensport. Dass wir mit Berühmtheiten starten, hat sich eher so ergeben. Wenn wir mit der Bundesrätin und Sportministerin Viola Amherd zusammenarbeiten können, machen wir das natürlich. Mujinga Kambundji fürs Cover zu gewinnen, fanden wir grossartig. Kaum eine andere Schweizer Sportlerin ist so bekannt wie sie. Und das Essay der ehemaligen Kunstturnerin Ariella Käslin wollten wir jetzt bringen, da die Geschichte grosse Aktualität hat. Ich freue mich schon auf die kommenden Ausgaben. Es gibt extrem viele gute, spannende Sportlerinnen – nicht nur im Profibereich!
Wie kommt man als unbekanntes Magazin an so grosse Namen?
Einerseits kann ich auf ein gutes Netzwerk aus meiner Zeit als Sportjournalist zurückgreifen. Andererseits möchten wir anständige Honorare bezahlen und können dadurch auch bekannte Autorinnen wie Michèle Binswanger gewinnen, die wiederum weitere Türen öffnen.
Gab es auch Absagen von Sportlerinnen, die nicht im Magazin stattfinden wollen?
Es gab ein, zwei Frauen, die kritisch waren gegenüber dem Magazin – gerade auch wegen uns drei Männern. Dominique Gisin beispielsweise sagte mir zuerst ab, als ich sie für ein Interview anfragte. Ich liess aber nicht locker und fragte sie später nochmals an, eine Hommage an Vreni Schneider zu schreiben. Das fand sie toll und jetzt sind wir in Kontakt. Ich hoffe, dass wir – weil das Produkt nun draussen ist und hoffentlich überzeugt – auch die Skeptikerinnen für uns gewinnen können.
Wer ist Ihr Zielpublikum?
Alle! Mit hochwertigen Texten und ausführlichen Interviews, die in die Tiefe gehen, möchten wir bewusst einen Kontrapunkt zu kurzlebigen News setzen. Wir sind überzeugt, damit nicht nur Leserinnen anzusprechen, sondern für alle interessanten Lesestoff zu bieten.
Wie wird das Magazin finanziert?
Bis jetzt mittels Inserate. Frauensport wird immer mehr zum Thema – wir haben da gerade einen ganz guten Moment erwischt, denke ich. Dann sollten auch Abonnementverkäufe und Einzelverkäufe dazukommen sowie Unterstützung von einem GönnerInnen-Club, den wir gegründet haben. Aber einfach wird es nicht, so viel ist uns klar. Das haben uns auch viele gesagt am Anfang: «Ihr spinnt doch, Print – und dann noch zu Zeiten von Corona!» Das spornt uns aber umso mehr an, es trotzdem zu tun.
Ist «Sportlerin» also mehr ein Herzblut- als ein Business-Projekt?
Ganz klar! Der Aufwand ist riesig und der Ertrag noch schwer abzuschätzen. Aber bis jetzt habe ich wahnsinnig viele wertvolle Erfahrungen gesammelt. Auch all die Gespräche, die ich führen durfte, waren sehr spannend. Es tönt kitschig, aber ich finde, die Welt wäre eine bessere, hätten mehr Frauen das Sagen. Frauen sind empathischer – der Umgang ist angenehmer.
Werden Sie sich in Zukunft rein auf das Magazin konzentrieren?
Nein. Ich mache mich zurzeit selbständig im Medien- und Kommunikationsbereich und werde ab Februar auch wieder für eine Tageszeitung schreiben, für die «NZZ». Wieder über Fussball.
Dieses Mal dann auch über Frauenfussball?
Das kann ich nicht allein bestimmen. Aber ich habe es schwer vor.