«Ehe für alle»: Die brennendsten Argumente im Check
- Text: Sandra Brun
- Bild: Stocksy
Die heisse Phase im Abstimmungskampf um die «Ehe für alle» ist im Gange: Auf der einen Seite die Argumente der Befürworter:innen, auf der anderen die Parolen der Gegenseite. Wir haben mit der Soziologin Fleur Weibel über die Ansätze beider Seiten gesprochen.
Mit der Hauptbotschaft «Liebe» im Zentrum ihrer Kampagne sind die Plakate der Initiant:innen der «Ehe für alle» überall im Land präsent. In den letzten Wochen haben sich polarisierende Plakate der Gegner:innen dazugesellt, welche vor allem mit den Ängsten der Bevölkerung spielen. Diskussionen finden kaum statt, die Lager scheinen klar verteilt. Im Sinne einer Diskussionsgrundlage haben wir deswegen die Soziologin Fleur Weibel gebeten, die Argumente beider Seiten einzuordnen und in einen grösseren Kontext zu setzen.
Pro-Argumente
«Die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare fördert die Akzeptanz queerer Menschen in der Gesellschaft»
Wenn die «Ehe für alle» angenommen wird und gleichgeschlechtliche Paare sich trauen lassen können, erhalten sie dadurch gewissermassen eine staatliche Legitimation. «Die Lebensform gleichgeschlechtlicher Paare wird so als gleichwertig anerkannt», sagt Fleur Weibel. Das kann auch in der Gesellschaft zu mehr Akzeptanz führen.
Zudem seien Hochzeiten meist Anlässe, an denen Familie und Freunde mitfeiern. Das bewegt Angehörige dazu, in ihrem Umfeld darüber zu sprechen, was wiederum zu mehr Aufmerksamkeit und folglich einer Normalisierung und gesellschaftlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehepaare führe.
«Die ‹Ehe für alle› schützt queere Menschen vor Zwangsoutings»
Viele Interaktionen mit Ämtern und Arbeitgeber:innen bedingen Auskunft über den Zivilstand. Bisher müssen queere Menschen in einer eingetragenen Partnerschaft dies offenlegen, was automatisch zu einem erzwungenen Outing führt. «Das fördert zwar die Sichtbarkeit queerer Menschen, sie erhalten jedoch gleichzeitig einen Stempel mit einem Sonderstatus und können nicht frei entscheiden, ob und wann sie sich outen möchten», so Weibel.
Die Angabe des Zivilstands könne zudem zu Diskriminierung führen oder beispielsweise auf Geschäftsreisen problematisch sein – gerade in konservativ regierten Ländern, in denen queere Menschen kaum Schutz erhalten. «Auch bei einer Trennung bleibt die sexuelle Orientierung aufgrund des Zivilstandeintrags ‹aufgelöste eingetragene Partnerschaft› einsehbar und der unfreiwillige Sonderstatus kann nicht mehr abgelegt werden.»
«Die Stiefkindadoption entspricht nicht der Lebensrealität lesbischer Paare»
«Kinder von Regenbogenfamilien erhalten dank der ‹Ehe für alle› endlich rechtlichen Schutz»
Aktuell haben Kinder von lesbischen Paaren rechtlich nur einen Elternteil, sprich wenn der leiblichen Mutter etwas passiert, hat das andere Elternteil faktisch keine Rechte. Dem kann mit der Stiefkindadoption zwar ein Stück weit gegengesteuert werden, doch der Prozess kann erst ein Jahr nach der Geburt gestartet werden, ist langwierig und muss für jedes weitere Kind neu wiederholt werden.
«Die Stiefkindadoption entspricht nicht der Lebensrealität lesbischer Paare, da ja beide von Anfang an Eltern des Kindes sind, rechtlich jedoch ein Elternteil erst sehr viel später, quasi nachträglich, anerkannt wird», erklärt Weibel. Rechtlich wird die biologische Mutter bis zur vollendeten Stiefkindadoption als alleinerziehende Person betrachtet und es kann ihr sogar von der KESB (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde) ein Beistand zur Seite gestellt werden, ohne dass sie ein Mitspracherecht hat. Die erschwerten Bedingungen gelten gleichermassen für männliche Paare, die zusammen ein Kind adoptieren.
«Die ‹Ehe für alle› gewährt gleichgeschlechtlichen Paaren gleiche Rechte wie Heteropaaren»
Was die Paarbeziehung angeht, wären mit der «Ehe für alle» gleichgeschlechtliche und heterosexuelle Paare gleichgestellt – in Bezug auf erleichterte Einbürgerung, Hinterlassenenrente und Zugang zu Adoptionen und Samenspende etwa.
Doch genau bei der Samenspende zeigt sich ein frappanter Unterschied: «Lesbische Paare werden nur dann beide als Eltern anerkannt, wenn das Kind über eine Schweizer Samenbank gezeugt wurde, nicht aber bei einer Zeugung mithilfe eines Privatspenders oder einer ausländischen Samenbank», so Weibel.
Gegenargumente
«Die ‹Ehe für alle› alle ist gar nicht nötig – eingetragene Partnerschaft und Stiefkindadoption ermöglichen Regenbogenfamilien ja schon alles»
Wie oben schon erläutert, reichen die eingetragene Partnerschaft und die Stiefkindadoption für Regenbogenfamilien noch nicht für eine effektive Gleichberechtigung.
Hinzu komme, dass gleichgeschlechtliche Paare damit einen ungewollten «Besonderheitsstatus» behielten, erklärt Weibel. «Sie stehen dadurch ausserhalb der Normalität der Ehe und werden als abweichender ‹Spezialfall› behandelt.»
«Für das Wohlergehen der Kinder ist die Beziehungsqualität zu den Bezugspersonen entscheidend»
«Bei der ‹Ehe für alle› wird das Kindswohl komplett ausser Acht gelassen»
«Dass es seit den Neunzigerjahren Studien gibt, die belegen, dass es Kindern von gleichgeschlechtlichen Eltern genauso gut geht wie Kindern heterosexueller Eltern, wird von den Gegner:innen grösstenteils ignoriert», sagt Weibel. Für das Wohlergehen der Kinder ist die Beziehungsqualität zu den Bezugspersonen und das Klima innerhalb der Familie entscheidend, wie verschiedene Studien zeigen.
Grundsätzlich gelte: Kindern könne es in ihrer Familie gut oder schlecht gehen, unabhängig der sexuellen Orientierung der Eltern. Auf Regenbogenfamilien laste aber ein erhöhter Druck, zu zeigen, wie gut es ihren Kindern gehe, quasi um zu legitimieren, dass sie ein Recht auf Kinder haben.
Worin ein Unterschied zu Kindern heterosexueller Eltern bestehen könne, sei, dass sie in der Schule eher Stigmatisierung ausgesetzt sein können. «Falls das passiert, wird aber viel von den Familien aufgefangen. Und da sich die Eltern bereits selbst mit der Problematik auskennen, sind sie in der Lage, ihre Kinder darauf vorzubereiten und offen mit ihnen darüber zu sprechen», sagt Weibel. Eine Annahme der «Ehe für alle» würde aber diese Situation insofern verbessern, als dass diversere Familienformen noch mehr normalisiert würden.
«Mit der Annahme der ‹Ehe für alle› gibt es noch mehr Kinder, die eines Tages nach ihren Wurzeln suchen müssen»
«Für Kinder aus Regenbogenfamilien sind auch andere Wurzeln wichtig als nur die biologischen. Viele Eigenschaften werden über die Sozialisierung übertragen», sagt Weibel. Und es würden andere Prägungen höher gewichtet als nur diejenigen der biologischen Eltern.
«Gleichgeschlechtliche Paare können schlicht nicht so tun, als ob sie beide die biologischen Eltern sind. Das bedingt viel früher offene Gespräche über das Thema.» So verdeutlicht Weibel: «Gleichgeschlechtliche Paare nehmen grosse Anstrengungen auf sich, um Kinder zu kriegen. Sie setzen sich eingehend damit auseinander und das bedingt auch, ihren eigenen Kindern Fragen über die Herkunft bestmöglich zu erläutern.»
«Für eine Familie braucht es immer noch einen Vater und Mutter»
Wichtiger als das Geschlecht der Eltern ist für Kinder eine stabile Bezugsperson und eine emotionale Beziehung zu dieser. «Je mehr Menschen mit Liebe und Engagement für ein Kind da sind umso besser», sagt Weibel. Dass zwei verschiedengeschlechtlichen Elternteile gefordert würden, setze ein sehr starres, binäres Verständnis von Geschlecht, Geschlechterrollen und -eigenschaften voraus.
So verlangen aktuell genau die konservativen Kreise Vater und Mutter in einer Familie, die vor wenigen Monaten noch gegen einen Vaterschaftsurlaub kämpften. Ausserdem betont Weibel Folgendes: «Väter können sehr wohl auch weiblich konnotierte Eigenschaften haben, wie auch Mütter männlich konnotierte Eigenschaften haben können.»
Abschliessend erläutert Weibel, weshalb die Debatte um die «Ehe für alle» die Gemüter so sehr zu erhitzen mag: «Die Streitigkeiten über die Definition der Ehe begründen sich darin, dass die Ehe zwar etwas Privates ist, dass zugleich aber auch die gesellschaftliche Geschlechterordnung wesentlich daran gekoppelt ist. So kann man die eheliche Familie auch als Keimzelle der Gesellschaft verstehen», erklärt sie. «Mit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare verändert sich die bisherige Ordnung. Dies ist ähnlich revolutionär wie die Ehereform in den Achtzigerjahren, seit der die Ehe nicht mehr patriarchal, sondern als partnerschaftliche Beziehung definiert ist.»
Fleur Weibel studierte Soziologie und Geschlechterforschung an der Universität Basel. Ihr Dissertationsprojekt befasst sich mit gegenwärtigen Heiratspraktiken von hetero- und homosexuellen Paaren in der Deutschschweiz. In ihrer Forschung ging sie der Frage nach, warum Paare trotz hoher Scheidungsraten noch heiraten und romantische Hochzeiten inszenieren. Dabei stellte sie fest, dass die Heirat für alle Paare einen hohen rechtlichen und emotionalen Wert hat und dass bei den gleichgeschlechtlichen Paaren zudem ein Streben nach Anerkennung als gleichwertiges Hochzeitspaar eine wichtige Rolle spielt. Seit Anfang Jahr ist sie zudem für die Grünen Mitglied im Grossen Rat in Basel-Stadt.
Absolut kein Faktencheck sondern nur die Meinung einer einzelnen Person. Total einseitig, die Gegner der Vorlage werden stigmatisiert, kommen gar nicht zu Wort. Das ist aus meiner Sicht Werbung, nicht guter Journalismus.
Guten Tag Frau Lehmann. Wir von annabelle beziehen klar Stellung für die «Ehe für alle», das haben wir bereits transparent kommuniziert. Da uns aber die Argumente der Gegenseite gleichwohl beschäftigen, haben wir diese von einer Expertin einordnen lassen und freuen uns, dass der Artikel zu Diskussionen anregt. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Sandra Huwiler
Ich selber habe eine Adoptivmutter die sich sehr Mühe gegeben hat aber nie meine früh verstorbene Mutter ersetzen konnte. Meinem leiblichen Vater der lieb aber doch sehr egoistisch ist fühle ich mich sehr nahe und er ist ein Spiegel für mich. ixh erkenne mich in igm wieder. Wie gerne hätte ich meine leibliche Mutter gekannt. Dieser Umstand verfolgt mich umd meine Geschwister unser Leben lsng. Liebe alleine genügt nicht! Es ist nicht die Diskussion ob künstliche Eltern Liebe geben oder nicht. Sie können bessere Eltern sein sls leibliche. Der Mensch stammt aber von einem Mann und einer Frau ab. Er will seine Wurzeln und Geschichte kennen und sollte immer wenn nur möglich zu diesen Menschen und seiner Geschichte Zugang haben. Das Problem hat nichts mit Ehe zu tun. Diese sollte sowieso nicht mehr diskutiert werden. Das Problem ist ein Problem unserer modernen Gesellschaft und geht alle an ob Hetero oder Gleichgeschlechtliche Paare. Ein Kind hat das Recht zu seinen Erzeugern eine Beziehung zu haben und seine Familiengeschichte zu kennen. Es ist schade, dass immer nur die Erwachsenen Erzieher oder Adoptiveltern angeschaut werden und sie ein eigentliches egoistisches Recht auf ein Kind haben und gesagt wird es spielt alles keine Rolle wenn fas Kind Liebe erfährt. Dies ist eine Vereinfachung der Situation!
Guten Tag. Danke für Ihren Kommentar. Genau deshalb wollten wir unbedingt auch mit einer Person sprechen, die in einer Regenbogenfamilie aufgewachsen ist und aus ihrer Sichtweise davon erzählen kann. Dazu verweise ich Sie gerne auf die Geschichte von Natalia: https://www.annabelle.ch/leben/ehe-fuer-alle-so-ist-es-mit-zwei-vaetern-aufzuwachsen/ Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Sandra Huwiler