Editorial von Silvia Binggeli: Wer hat an der Uhr gedreht?
- Foto: Nadine Ottawa
Autorin Yvonne Eisenring schreibt in ihrem Essay, dass die Kostbarkeit von Zeit oft unterschätzt wird. Sie hat recht!
Ich schreibe Ihnen diese Zeilen aus der Kiste. Ja, ich stecke bis über beide Ohren in der Zügelkiste. Seit Tagen sehe ich Karton. Links, rechts, im Estrich, im Keller. Erst hiess es packen in der alten Wohnung, zukleben, stapeln und den Rücken strecken, denn natürlich hatte ich zu viele Bücher, DVDs und Kabel in zu wenige Schachteln gestopft.
Ich habe ein Zeitproblem. Mein letzter Umzug liegt einige Jahre zurück. Den damit verbundenen Aufwand habe ich verdrängt. Oder zumindest erfolgreich beschönigt. Ach, die paar Sachen pack ich abends nach der Arbeit locker ein, redete ich gegen die Sorgenfalten meines Liebsten an, der meine Fehlplanung in grossen Schritten herannahen sah. Alles im grünen Bereich, beschwichtigte ich (am Ende vor allem mich selbst), als die Stunden schwanden, die Verzweiflung vor vollen Schränken nach Mitternacht stieg und der Zügelwagen praktisch schon vor dem Haus parkierte.
Der Tag hat 24 Stunden. Aber ich vergass: Etwas Schlaf zwischendurch schadet nicht – besonders wenn bei aller Freude auf das Neue der Abschied Platz verlangt. Meine Naivität, oder müsste ich sagen mein Aktionismus, macht mir beim Auspacken am neuen Ort ebenso zu schaffen. Geduld und Musse? Von wegen! Alles soll sofort wohnlich sein, seinen Platz haben – volle Agenda hin oder her.
Die Zeit. Sie wird gern unterschätzt, resümiert Autorin Yvonne Eisenring in ihrem Essay für uns. Sie hat recht! Nun ja, eine Chance hab ich noch: Der Garten vor dem neuen Heim will bepflanzt sein. Das braucht Zeit. Sollte ich meine Natur auch diesmal nicht zügeln können und zu viel in zu wenig packen wollen, ändere ich die Strategie. Und lade Sie zum fröhlichen Umstechen ein. Sind Sie dabei?