Leben
«Es geht nicht um Sex. Es geht nur um Macht»
- Interview: Jacqueline Krause-Blouin; Fotos: Camille Vivier
Dita von Teese ist eine Ikone der Popkultur. Sie ist smart, sexy und einschüchternd, weil sie das Spiel mit der Macht liebt – und beherrscht. Das kann unsere Autorin nach dem Treffen in ihrem Haus bezeugen.
Zeitungen, die ihren Ex-Mann, Musiker Marilyn Manson, gerne als «Schockrocker» bezeichnen, betiteln sie wohl als «Stripikone» oder «Kultstripperin». Dabei ist die 45-jährige Dita von Teese, die als Heather Renée Sweet in Rochester, Michigan, geboren wurde, die berühmteste Burlesque-Performerin der Welt – seit über zwanzig Jahren. Und schon längst Kopf eines ganzen Imperiums. Sie produziert ihre eigenen Shows, schreibt Bücher, gibt Make-up- und Lingerie-Kollektionen heraus, Parfums und nun auch in Zusammenarbeit mit dem französischen Hipster-Produzenten Sébastien Tellier eine Platte in verträumt-cooler Chanson-Manier. Es ist kurz nach elf. Wir treffen die Frau, die sich von Berufs wegen gerne in überdimensionierten Champagnergläsern räkelt, in ihrem Haus in den Hollywood Hills, das sie vor rund zwei Jahren für 2.8 Millionen Dollar gekauft hat, wie man auf diversen Gossip- Portalen nachlesen kann. Die Interviewlocation wurde kurzfristig von einem In-Italiener in von Teeses Zuhause verlegt. Später wird sie uns erzählen, dass sie es seit fünf Tagen nicht verlassen hat, weil sie sich einfach nicht aufraffen konnte. Erst muss man sich aber durch eine Armada von mexikanischen Gärtnern kämpfen, bis man an der knallroten Tür läuten kann. Ein Name steht da nicht, dafür surrt sofort eine Überwachungskamera, wenn man die Türglocke drückt. Von Teeses eifriger Publizist, der die Interviewerin widerholt mit «Annabelle» anspricht, öffnet hastig die Tür und leitet den Besuch kommentarlos vorbei an einem riesigen ausgestopften Löwen, einem ausgestopften Schwan, über einen Leopardenfellteppich, hin in den Salon, in dem Dita von Teese, ausgeleuchtet in pinkem gedimmten Licht, auf ihrem Handy herumtippt. Sie trägt ein enges schwarzes Wollensemble, leicht bauchfrei, und – klar – knallroten Lippenstift, ihr Markenzeichen. Überall Samt, Spitze, Totenköpfe, gedeckte Farben, Kronleuchter und schwere Vorhänge. Sagen wir mal so: Skandinavischer Minimalismus scheint nicht so ihr Ding zu sein. Zwei Katzen huschen umher. Die eine ist eine Siamkatze, die aussieht, als stamme sie aus einem prähistorischen Zeitalter. Zwischendurch wird von Teese das Interview mit den Worten «Du bekommst jetzt richtig Ärger, du kleines Biest!» abrupt unterbrechen, weil ebendiese Katze sich anschickt, die neue und «sündhaft teure» französische Spitzentischdecke zu zerstören. Einmal springt sie auch auf den Nacken der Interviewerin. Jede Viertelstunde schlägt eine alte Pendeluhr aus dunklem Holz, die wie ein Sarg aussieht. Beim ersten Mal ein Gänsehautmoment. Ob all die Tiere im Haus echt sind, ist wohl nicht die beste Eisbrecher-Frage an eine Peta-Botschafterin. Starten wir also am besten mit Musik.
annabelle: Sie beschreiben die Atmosphäre auf Ihrem Album als «Dita von Teese mit weniger Make-up». Wie ist das gemeint?
Dita von Teese: Um dieses Album zu machen, musste ich meine verletzliche Seite entdecken und die Kontrolle abgeben. Ich weiss nichts über Musik und ich bin schon gar keine Sängerin. Dieses Album ist nicht meine eigene Kreation, wie es etwa meine Shows sind. Man hat es mit einer reduzierten Version von mir zu tun.
Als Tänzerin haben Sie eine sehr starke Beziehung zu Ihrem Körper. Wie sieht es mit der zu Ihrer Stimme aus?
Ich mag den Klang meiner Stimme überhaupt nicht. Beim Einsingen wollte ich alles immer wiederholen, aber man verbot es mir. Ich will halt alles immer noch besser machen, will, dass alles perfekt ist. Mein liebster Song auf dem Album ist mein Duett mit Sébastien Tellier. Wenn ich mit ihm gemeinsam singe, kann ich meine Stimme eher ertragen.
Es ist ja schon fast ein masochistischer Ansatz, ein Album aufzunehmen, wenn man seine Stimme hasst.
Ja, ich habe es nur getan, weil ich ein so grosser Fan von Sébastien bin und weil ich von seinem Vertrauen in mich so geschmeichelt war. Ich habe die Nachricht bekommen, dass er ein ganzes Album für mich geschrieben hat und habe nur gesagt: «Aber ihr wisst schon, dass ich nicht singe, oder?» Viele Leute hatten aber sehr lange an den Songs und Arrangements gearbeitet, und ich wollte niemanden enttäuschen. Was mich selbst angeht: Ich möchte nicht aus Angst spannende Erlebnisse verpassen.
Viele Songs sind auf Französisch. Der Sinnlichkeit wegen?
Ich hatte früher mal Französischunterricht, aber ich spreche die Sprache wie ein kleines Kind. Sinnlich ist die Sprache natürlich, und ich mag den Klang meiner Stimme etwas mehr, wenn ich auf Französisch singe (lacht verschämt). Freunde sagen mir, dass das Album perfekt für einen sexy Abend zuhause sei. Aber ich kann das nicht beurteilen, ich lege ja nicht meine eigene Platte auf!
Verführung auf die altmodische Art, wie Sie sie zelebrieren, braucht viel Zeit und Geduld. Ist dafür überhaupt Platz in unserer Gesellschaft, die so an Instant-Befriedigung gewöhnt ist?
Auf jeden Fall. Wie Sie wissen, bin ich Fan der altmodischen Verführung, denn man wird dabei, wie so oft im Leben, für Geduld belohnt. Aber wenn ich Single bin, will auch ich sofort herausfinden, ob zwischen mir und der anderen Person sexuelle Chemie vorhanden ist. Wenn man jemandem ewig den Hof macht, nur um herauszufinden, dass es überhaupt nicht passt, ist das doch frustrierend. Ich frage meistens meine Freunde, ob sie jemanden kennen, mit dem ich ausgehen könnte. Weil ich so gerne auf Blind Dates gehe.
Ist es ermüdend, immer sexy sein zu müssen?
Nein, ich empfinde das nicht so. Ich habe mittlerweile eine grosse weibliche und schwule Fangemeinde. Zu meinen Shows kommen keine Gruppen von Hetero- Männern, die vulgäre Dinge rufen. Es geht also nicht darum, sexy oder verführerisch für einen Mann zu sein. Sondern sexy für mich selbst, als starke, selbstbestimmte Frau. Das ist ein gigantischer Unterschied. Und es ist nicht anstrengend – weil es authentisch ist.
Ist Burlesque-Striptease im Jahre 2018 als feministisches Statement zu werten?
Ja, es ist zu einem geworden. Eine Burlesque-Performerin in der heutigen Zeit ist eine ganz andere Frau als eine aus den Dreissigerjahren, und ich bin sehr froh, die moderne Version zu sein. Ich mache das nun seit über zwanzig Jahren und kann selbst im Vergleich zu den Neunzigern einen grossen Unterschied feststellen. Damals war ich ein «Playboy»-Star, ein Fetischstar, hatte also vor allem männliche heterosexuelle Fans. Als ich angefangen habe, war ich 20 und dachte, mit 30 ist der Spass vorbei. Und früher war das auch so. Wenn es aber nicht mehr nur um den Blick des heterosexuellen Mannes geht, dann wird der Erfolg plötzlich von ganz anderen Faktoren bestimmt: Weisheit, Humor, Sinnlichkeit. Vielleicht liegt die Langlebigkeit meiner Karriere aber auch daran, dass ich immer sehr offen war und dazu stand, warum ich jemand anderes sein wollte, warum ich meine blonden Haare schwarz färben und meine Lippen rot anmalen wollte. Die Leute reagieren auf Authentizität und sehen mich so nicht einfach als Stripperin.
Warum wollten Sie nicht mehr Heather Sweet aus Michigan sein?
Ich wollte einfach ausbrechen, ein Alter Ego haben und endlich mysteriös sein. Meinen Namen mochte ich nicht mehr, weil ich ihn schon mein ganzes Leben trug. Mit meinem neuen Namen wusste niemand, woher ich komme, manche dachten, ich sei Europäerin, das gefiel mir. Ich wollte das Gegenteil von dem sein, was ich war mit meinen aschblonden Haaren. Eine Femme fatale.
Macht so ein Alter Ego Dating kompliziert? Marilyn Monroe sagte einst: «Sie gehen mit Marilyn ins Bett und wachen mit Norma Jeane auf.»
Manchmal. Einmal nach einer Show, nach der ich total kaputt nach Hause kam und nur noch duschen und ins Bett wollte, fragte mich der Typ, mit dem ich damals zusammen war, wann denn nun seine Privatshow anfange. Ich habe nur gesagt: «Honey, für dich gibts hier keine Show. Jetzt bin ich einfach nur ich.» Ich strippe nicht privat für Männer, obwohl ich es natürlich könnte, aber es interessiert mich nicht. Ich bin nun schon vier Jahre mit meinem Freund zusammen, und er versteht, wer ich wirklich bin. Es ist uns schon passiert, dass wir zusammen ausgegangen sind, von Paparazzi verfolgt, und er ganz überrascht zu mir sagte: «Mensch, ich habe total vergessen, dass du berühmt bist!»
Verstecken Sie sich in der Öffentlichkeit?
Wenn ich in meinem 100 Prozent Dita-von-Teese-Powerlook auf die Strasse gehe, quatschen die Leute mich an. Und das kann ermüdend sein. Scarlett Johansson hat mir mal erzählt, dass sie überall unerkannt hingehen kann, wenn Sie eine Baseballmütze anzieht und ihre Lippen einzieht. An Halloween gehe ich immer als ganz normale Frau. Es ist wirklich viel Arbeit, aber es ist ein interessantes psychologisches Experiment. Es erinnert mich daran, warum ich Glamour liebe. Wenn ich Jeans und ein T-Shirt anziehe, natürliches Make-up und meine Haare hell trage, machen mich ganz andere Typen an. Typen, mit denen ich wirklich nichts zu tun haben möchte. Mein Dita-von-Teese-Look macht manchen Männern Angst, und das mag ich, weil es mir die vom Leib hält, die ich nicht kennen lernen möchte. Das Problem ist, dass mich niemand mehr anschaut und niemand mehr mit mir redet und ich meinen VIP-Status verliere. (lacht) Ich ziehe mich schon seit zwanzig Jahren so an, und die Reaktionen auf eine exzentrisch gekleidete Frau sind teilweise extrem. Und das hat gar nicht unbedingt damit zu tun, dass ich berühmt bin. Ich wurde schon immer gefragt, was denn der Anlass für meinen Look sei. Ist doch witzig – ich frage ja auch nicht, was deren Anlass ist, Jogginghosen zu tragen.
Sie tragen mit Vorliebe Korsett. Coco Chanel hat uns gelehrt, dass diese einengend und somit antifeministisch sind. Ist das Korsett in Ihren Augen ein missverstandenes Kleidungsstück?
Nun, es ist ein Fetischinstrument. Es ist sicher nicht für jedermann. Früher musste man Korsett tragen, wenn man eine gute, gehorsame Frau war. Es ging um Disziplin, darum, dass die Frau zugeschnürt ein wenig hilflos wurde. In der Fetischwelt wurde das Korsett dann plötzlich ein Symbol der Macht. Es ist interessant, wie viele Meinungen man zu diesem Kleidungsstück bekommt. Zuerst hiess es «du musst es tragen», dann hiess es «du darfst es nicht tragen, weil es eine Erfindung der Männer ist, um die Frau zu kontrollieren». Dasselbe mit Highheels: Mit flachen Schuhen und Sneakers kann man herumrennen, mit Highheels ist man eingeschränkter, aber gleichzeitig sind sie auch ein Symbol der Stärke. Ich mag dieses Wechselspiel zwischen Unterwerfung und Macht. Und ich liebe es, dass wir in unserer Zeit jeden Tag aufs Neue entscheiden können. Das einzige Tabu für eine Frau von heute ist doch, sich zu unterwerfen. Aber was, wenn sich jemand bewusst dafür entscheidet? Dann ist es doch das Gegenteil von devot, oder? Wir westlichen Frauen sind heute so frei, dass wir entscheiden können, ob wir in Highheels auf dem Boden herumkriechen, uns in einem Korsett einschnüren oder in Sneakers losrennen wollen. Das ist eine der grössten Errungenschaften unserer Zeit.
Ist Stripperin zu sein der Gipfel der Emanzipation, das genaue Gegenteil oder irgendwas dazwischen?
Das ist eine Auseinandersetzung, die niemand gewinnen kann. Ich persönlich habe in einem Stripclub angefangen, habe das Geld vom Boden aufgelesen und mich dabei absolut emanzipiert gefühlt. Ich ging zur Arbeit, wann ich wollte, habe mir meine eigenen Kostüme ausgesucht, immer meine Grenzen gesetzt, verdammt viel Geld verdient und mich sehr stark gefühlt. Als Burlesque-Performerin bin ich sogar mein eigener Boss, ich produziere meine eigenen Shows – mir kann niemand vorwerfen, dass das, was ich mache, degradierend ist. Das Gegenteil ist der Fall. Aber der Konflikt ist der gleiche wie beim Thema Prostitution. Es gibt so viele Arten von Prostituierten, manche sind gezwungen, andere benutzen ein EC-Kartenlesegerät direkt zu ihrem eigenen Konto, bevor es zur Sache geht. (lacht laut) Wir sollten gegenseitig unsere Grenzen akzeptieren. Und Frauen sollten anderen Frauen nicht vorschreiben, was richtig ist und was nicht. Der neue Feminismus ist, Respekt vor den Entscheidungen der anderen zu haben. Ist doch witzig, dass so etwas Simples jetzt etwas ganz Neues sein soll. (lacht amüsiert)
Wie beobachten Sie als Künstlerin in Hollywood die #metoo-Bewegung?
Nun, ich bin Harvey Weinstein schon öfter begegnet. Ich finde es furchtbar, was da passiert ist, aber wie viele andere auch war ich über die Geschehnisse nicht überrascht. Meine Attitüde war immer: Wenn es deine Karriere verändert und dir einen Oscar einbringt, hey, dann …(bricht ab) Ich verurteile niemanden, der seine Sexualität benutzt, um ans Ziel zu kommen. (überlegt lange und wendet sich dann an ihren Publizisten – «War das jetzt falsch, was ich gesagt habe?» Der Publizist winkt ab, schreibt aber einige Tage später trotzdem ein E-Mail, ob er das Interview doch noch gegenlesen dürfe.) Die Medaille hat zwei Seiten, aber klar ist, dass Männer ihre Machtpositionen nicht missbrauchen dürfen.
Wie sieht das denn bei Ihnen persönlich aus? Haben Männer bei einer Frau, die professionell mit Sex zu tun hat, das Gefühl, dass ihnen etwas zusteht?
Nein, meine persönlichen unangenehmen Erfahrungen hatten selten etwas mit meiner Arbeit zu tun. Es war immer dann, wenn ich es am wenigsten erwartet hatte. Bei Bondage-Fotoshootings etwa habe ich immer eine Begleitperson mitgebracht und meine Grenzen ganz klar im Vorfeld kommuniziert. Immer wenn jemand eine Grenze überschritten hat, war es im normalen Leben, im Alltag. Und das zeigt mir, dass dieses Problem absolut gar nichts mit Showbusiness zu tun hat. Sondern dass Frauen auf der ganzen Welt jeden Tag mit dieser Art von Grenzüberschreitungen kämpfen. Es ist wie Freiwild jagen. Die Täter sind mächtige Männer, die so gelangweilt von ihrem Leben sind, dass es sie high macht, wenn jemand sich erniedrigen muss, um etwas von ihnen zu bekommen. Es geht nicht um Sex, es geht nur um Macht.
Sie wurden kürzlich «Meryl Streep des Burlesque» genannt. Gefällt Ihnen das?
Ach, Meryl Streep ist toll, aber die hat ja viel mehr Awards als ich gewonnen. (lacht)
Gibt es im Burlesque-Bereich keine Awards?
Doch. Aber die habe ich nicht nötig. Wissen Sie, ich möchte einfach nur für meine Arbeit anerkannt werden. Ich möchte Frauen ermuntern, ihre Sexualität und ihre Sinnlichkeit auszudrücken, und ich möchte zeigen, dass es nicht nur eine Art von sexy gibt, nämlich die Sports-Illustrated-Beauty, die mit braun gebranntem, gestähltem Körper und gebleichten Haaren am Strand herumspringt.
Im Gegensatz dazu haben Sie einen Teint wie Porzellan. Sébastien Tellier sagt, dass er seit Ihrer gemeinsamen Arbeit sicher ist, dass Sie ein Geist sind.
Ein Geist also.
In dem Moment schlägt die Pendeluhr zwölf, und der Publizist sagt, dass wir abbrechen müssen. Ob die ausgestopften Tiere einmal lebendig waren, erfahren wir nicht. Weil wir nicht fragen. Weil es sich nun plötzlich irgendwie seltsam kleingeistig anfühlen würde. Dita von Teese, so reflektiert und vor allem so frei, hat durchaus auch eine einschüchternde Wirkung. Man will ihr gefallen, was wiederum ihr zu gefallen scheint. Sie mag das Wechselspiel zwischen Macht und Unterwerfung, davor hatte sie ja gewarnt. Glasklar, wer hier die Herrscherin ist. Es bleibt uns also nur, davon auszugehen, dass hier alles seine Richtigkeit hat. Ein Foto will Dita von Teese lieber nicht machen, obwohl ihr Wohnzimmer perfekt in pinkem Licht ausgeleuchtet ist. Sie findet, dass die Beleuchtung für so etwas nicht ganz optimal sei. Nun, Geister sieht man in Spiegeln und auf Fotos ja sowieso nicht, oder?