Zeitgeist
Diese Frau plant den Mars der Zukunft: 13 Fragen an eine Mars-Architektin
- Text: Jana Schibli
- Bild: Kristina Lisa
Ein mögliches Leben auf dem Mars sorgt im Moment medial für Kontroversen. Milliardäre wie Elon Musk wollen ins Weltall und insbesondere auf den Roten Planeten. Aber warum? Wir haben Mars-Architektin Vera Mulyani gefragt.
annabelle: Vera Mulyani, nach dem Rennen auf den Mond im letzten Jahrhundert ist nun der Space Race 2.0 in vollem Gange. Neben NASA fliegen Milliardäre wie Elon Musk und Jeff Bezos ins Weltall. Sie selbst finden: «Get your ass to Mars.» Warum, um Himmels Willen, sollen wir bloss auf diesen weit entfernten Planeten umsiedeln?
Vera Mulyani: Das Zitat stammt vom Astronauten Buzz Aldrin, der auf dem Mond war. Ich unterstütze das vollständig. Meiner Meinung nach sind wir Menschen dazu gemacht, uns ständig weiterzuentwickeln – warum also nicht bis auf den Mars? Zweitens finde ich, dass wir einen Plan B brauchen. Wenn wir die Kriege und den Klimawandel nicht stoppen können, gibt es bis dann hoffentlich eine Gruppe von Leuten, die wissen, wie man auf dem Mond oder dem Mars überleben kann. Und drittens wollte ich selbst schon mein ganzes Leben lang reisen und entdecken. Ich würde sehr gerne einen marsianischen Krater besuchen und dort nach Kristallen forschen.
Aber wie sollen wir denn auf dem Mars leben können? Der Boden ist toxisch, die Luft besteht zu 95% aus Kohlendioxid. Menschen und Tiere können dort nicht überleben.
Das stimmt. Wir wissen auch noch wenig darüber. Aber als Mars-Architekt:innen fokussieren wir uns auf die menschlichen Bedürfnisse und stellen mit unseren Erfindungen sicher, dass diese befriedigt sind. Das bedeutet ein neues Leben: Die Häuser, in denen wir wohnen werden, werden unter Druck stehen müssen. Wegen der geringen Gravitationskraft werden wir nicht länger vier Wände brauchen und können ohne Treppen ganz einfach nach oben schweben. Wir werden diagonal schlafen. Wir werden unsere Sofas neu designen müssen, weil wir auf dem Mars nicht so viel sitzen werden, da die Schwerkraft uns nicht niederdrückt. Vielleicht ist das Sofa eigentlich ein Sauerstofftank oder ein Salzbad in einem Schlafsack. Solche Spekulationen bringen das Gehirn an Orte, die es vorher nie erreichen konnte. Es aktiviert andere Seiten in dir.
Sollten wir uns nicht erst mal auf die Probleme auf der Erde fokussieren?
Der Punkt ist nicht, ob Erde zuerst oder Mars zuerst. Es geht darum, beides gleichzeitig zu machen, um eine Art Rückkopplungsschleife zu schaffen, die den Fortschritt auf beiden Planeten antreibt. Denn was wir für den Mars entwerfen, können wir auch für die Erde nutzen.
Wie denn?
Die Kameras in unseren Smartphones beinhalten beispielsweise Technologie, die ursprünglich für die Mond-Missionen der NASA entwickelt wurde. Zurzeit verbringt der französische Raumfahrer Thomas Pesquet immer wieder längere Aufenthalte im Weltall und führt dort Experimente durch, die der Krebsforschung helfen sollen. Durch die Überwachung seines Körpers gewinnt man zudem Erkenntnisse über die Auswirkungen der Konditionen im Weltall auf das menschliche Immunsystem.
Sie haben vorhin den Klimawandel erwähnt. Am Samstag sprechen Sie am Salon Public in Lausanne, wo die Energiezukunft im Fokus steht. Trägt die Arbeit Ihrer Innovationsfirma «Mars City Design» dazu bei, die Klimakrise auf der Erde zu lösen?
Mit unserer Architektur fokussieren wir uns auf das menschliche Überleben in extremen Umgebungen. Das kann heute auf Wüsten und die Antarktis angewendet werden und, sobald uns der unaufhaltbare Klimawandel alle betrifft, überall. Es gibt zum Beispiel Mycelien – diese Ast-artigen, sich ausbreitenden Teile von Pilzen – welche mit der Zugabe von Wasser um Strukturen aus leichten Abfallmaterialien wie Holzchips herumwachsen können. So können ohne viel Material ganze Häuser aufgebaut werden. Das ist ideal für den Mars, um Baumaterialien nicht über Millionen von Kilometern transportieren zu müssen. Es könnte aber auch auf der Erde die Transportwege beim Bauen massiv verkleinern. Meiner Meinung nach ist es besser, die Dinge neu zu betrachten. Dazu ist der Mars sehr hilfreich.
Wir sehen den «Space Race» oft als einen sehr amerikanischen Traum. Sie sind in Jakarta, Indonesien aufgewachsen. Wie war Ihr Bezug zur Eroberung des Weltraums?
Meine Familie war sehr arm. Wir waren viel zu Hause und schauten schwarz-weisses Fernsehen aus den USA. Vielleicht gibt es da eine Verbindung zu diesem uramerikanischen Traum von der Eroberung des Weltraums. Wenn ich die Möglichkeit hatte, kletterte ich mit meinem Hund auf unser Dach und schaute in den Himmel zu diesem roten Stern. Den fand ich sehr cool. Ich realisierte natürlich erst später, dass das der Mars war. Ich wusste irgendwie, dass ich zu den Sternen dort oben gehörte.
Als Übersetzerin für Magazine wie Paris Match verdienten Sie Ihr erstes Geld und haben dann in Paris Architektur und in New York Film studiert, bevor Sie nach Los Angeles gezogen sind – und selbst ernannte Mars-chitektin wurden. Wie kam es dazu?
Mein Umzug nach Los Angeles war ein hoffnungsvoller. Das war 2009, und ich steckte in einer sehr frühen Midlife-Crisis. Wegen einer Nahtoderfahrung realisierte ich die Zerbrechlichkeit des Lebens und wie wichtig es ist, einen grösseren Sinn zu haben. Zu der Zeit war es für mich das Filmemachen. Meine Kurzfilme waren in Cannes gezeigt worden und L.A. war der nächste logische Schritt. Nach meiner Ankunft lernte ich sehr viele Menschen in der Raumfahrtindustrie kennen und merkte: «Ich habe darauf gewartet, mit genau diesen Leuten zu sein. Sie haben eine Mission.» Ich gründete unsere Firma, «Mars City Design», weil ich den Ingenieur:innen helfen möchte, die Wichtigkeit des menschlichen Komforts zu verstehen. Diesen Job gab es im Umfeld der Raumfahrtindustrie bisher nicht, also kreierte ich ihn.
Warum braucht die Weltall-Forschung denn überhaupt einen Design-Ansatz?
Es gleicht einer Verhandlung. Die technischen und die künstlerischen Fachkräfte können voneinander lernen, denn es gibt Dinge, die sich überlappen und das Gebiet des anderen jeweils bereichern. Nehmen Sie SpaceX als Beispiel: Elon Musks Firma kreiert mit dem Starship ein Raumschiff, das neben seiner Funktionalität auch wunderschön und verständlich ist. Das macht Menschen neugierig und engagiert sie. Ausserdem ist es unser Ziel, dass die Fehler der Menschen gegenüber der Umwelt auf dem Mars nicht wiederholt werden. Und dafür benötigen wir jede:n, von Köch:innen bis Künstler:innen. Weil egal, wo wir hingehen: Wir sind immer noch Menschen.
Das ist auch das Credo Ihrer Mars City Foundation, die jährlich Design-Wettbewerbe für das Leben auf dem Mars veranstaltet. Ein Gewinner hat zum Beispiel in seinem Konzept entwickelt, um auf dem Mars Sauerkraut herzustellen. Was sind die verrücktesten Ideen, die Sie je erhalten haben?
Das amüsiert wohl viele – Sauerkraut auf dem Mars! Ich habe selbst ein Mars-Menu entwickelt und viele Köch:innen haben Ideen dazu eingebracht. Die wichtigste war wohl das Grillen-Mehl, mit dem man Pizza machen kann. Dazu hat das Architekten-Team ein Gewächshaus entwickelt, das Insekten auf dem Mars möglich macht. Eine andere Idee, die ich wirklich mochte, kam 2017 von der École Polytechnique in Paris. Sie spielten mit der marsianischen Schwerkraft, die bei nur einem Drittel der irdischen liegt, und kreierten Hüpfstiefel, mit denen man viel höher als auf der Erde hüpfen kann. Und natürlich dachten wir dann an neue Sportarten… Und Olympische Spiele auf dem Mars.
Was ist denn Ihr nächstes Projekt?
Wir planen in der Mojave-Wüste den Prototyp einer Mars-Stadt zu bauen. Darin enthalten ist Mars-Hotel, in dem man Zimmer buchen kann und welches die Stadt finanzieren soll. Klar, die tiefe Gravitationskraft und den hohen Anteil an Kohlenstoffdioxid werden wir nicht hinbekommen. Aber die Landschaft, das Essen, den Sport – alles, was Spass macht – schon.
Was packt man für einen Besuch beim Mars-Hotel ein?
Das wird eine interessante Übung. Man darf nur sehr wenige Dinge bringen. Wir werden ausserdem die Besucher:innen dazu auffordern, ihr Lieblingsmenu zusammenzustellen, das wir dann mit Mars-mässigen Ingredienzen zubereiten. Und das Beste: Jeden Tag hat man 38 zusätzliche Minuten, weil der Mars eine andere Umlaufbahn hat als die Erde. Was würden Sie mit diesen 38 Minuten tun? Neben schlafen, natürlich.
Virgin-Gründer und Multimilliardär Richard Branson verkauft bald Tickets, mit denen man ins Weltall fliegen kann – für bis zu 250’000 Dollar pro Stück. Werden Sie auf dem ersten Flug sein?
250’000 Dollar sind etwa die Kosten des ersten Prototyps unseres Mars-Hotels. Ich würde also lieber ein marsianisches Hotel haben, als zwei Minuten hinauf und wieder hinunter zu fliegen! Ich freue mich dann auf Elon Musks Mondflug, den ich mir hoffentlich von den Profiten leisten kann.
Musk, Branson, Bezos… Man stellt sich die Space-Industrie sehr klischeehaft nerdy und voller gelangweilter Milliardäre vor. Ist das so?
Nein, das ist sie nicht. Oder nicht mehr. Es hat sich viel verändert. Aber wir müssen Frauen begeistern und ihnen helfen, in der Weltall-Industrie ihre eigenen Nischen zu finden. Zurzeit ist man dabei, Raumanzüge für Frauen zu designen. Die Industrie muss ihre Kultur ändern und kreativer werden. Und offen sein für Menschen, die man sich nie dort vorstellen könnte. Dabei helfen wir.
Vera Mulyani wohnt in Los Angeles und ist selbst ernannte Mars-chitektin. Als Gründerin des Innovationslabors «Mars City Design» plädiert sie für eine Offenheit gegenüber dem Leben auf dem Mars – und ist sich sicher, dass dabei auch der Erde geholfen wird. Am Samstag, den 23. Oktober nimmt sie am Podiumsgespräch «Mobilität der Zukunft» des Salon Public in Lausanne teil. Die Tickets sind gratis erhältlich.