«Die Masse will Gucci»
- Text: Stefanie Rigutto, Fotos: Ornella Cacace
Helen Lee (37), Modedesignerin, fordert von ihren Landsleuten mehr differenziertes Denken.
«Es geht im Leben nicht immer ums Geld. Das kapieren viele Chinesen nicht», sagt Helen Lee. Sie mache ihre Arbeit aus Leidenschaft. Doch in China habe eine Sache nur eine Bedeutung, wenn sie möglichst viel Geld generiere. Die Designerin sitzt an einem grossen Tisch in ihrem Showroom. Helen Lee war die Erste, die «I love SH»-Shirts druckte. Doch die Chinesen bissen nicht an: Warum ein lokales Label kaufen, wenn man einen internationalen Brand – und sei es nur eine Fälschung davon – haben kann, der erst noch billiger ist? Ihre Kundschaft war ein sehr kleiner, intellektueller Zirkel. Die Nachfrage stieg zwar langsam, aber stetig. 2009 lief ihr Shop richtig gut. Doch dann riss sich die Regierung das Ladenlokal unter den Nagel, um darin ein Tourismusbüro zu eröffnen. Helen Lee musste innert zweier Monate ausziehen.
Als sie die Regierung öffentlich kritisierte, erhielt sie Drohbriefe. Ein chinesischer Journalist fragte sie: «Was wollen Sie?» Helen Lee antwortete: «Ich will meinen Laden zurück. Oder dann eine Entschädigung.» Da sagte der Journalist: «Das kann ich nicht schreiben.» Helen Lee sagt: «Ich wünsche mir, dass die Chinesen endlich sagen, was sie denken.» Viele seien nicht ehrlich, genauso wenig wie die Regierung. «Das hält unser Land zurück. Ohne konstruktive Kritik können wir uns nicht verbessern.» Heute hat Helen Lee ein neues Label, benannt nach sich selber. Dafür erhielt sie eine Auszeichnung von der chinesischen «Elle». Helen Lee sagt: «Das war Balsam für meine Seele. Aber die Masse hält nach wie vor nichts von lokalen Brands. Sie will nur Gucci und Chanel.»