In unserer Rubrik «Die Feministin» stellen wir Frauen vor, die wir alle kennen sollten – weil sie aus dem Kampf um die Gleichstellung nicht wegzudenken sind. Heute mit Mary Beard.
Sie ist Althistorikerin. Keine sonderlich gute Voraussetzung, um Leuten den Feminismus schmackhaft zu machen. Doch genau das tut die 66-jährige Mary Beard, die in den britischen West Midlands als Tochter einer Schuldirektorin und eines Architekten zur Welt kam. Nach diversen Werken über das alte Rom veröffentlichte Beard 2018 das Büchlein «Frauen und Macht: Ein Manifest» – und landete damit einen Topseller. Sogar auf die «Spiegel»-Bestsellerliste schaffte es das Buch und wurde weltweit als moderner feministischer Klassiker gefeiert.
Auf knapp hundert Seiten beschreibt die Cambridge-Professorin prägnant und fesselnd, wie tief verankert Sexismus in unserer Gesellschaft ist – und zwar von der Antike bis heute. Sie erklärt, warum Frauen, die ihren Mund aufmachen, als unsympathisch, kompliziert oder hysterisch gelten. Und wie es zum Verständnis von Männlichkeit gehört, die öffentliche Rede für sich zu beanspruchen – und Frauen, wann immer nötig, zum Schweigen zu bringen.
Drohungen und Hasskommentare
In Homers «Odyssee» etwa verbietet der junge Telemachos seiner Mutter Penelope den Mund, weil «Rede die Sache der Männer» sei. In den «Metamorphosen » von Ovid verwandelt Jupiter seine Geliebte Io in eine Kuh, um den Seitensprung vor seiner Gattin zu verheimlichen; in Shakespeares «Titus Andronicus» wird der vergewaltigten Lavinia die Zunge herausgerissen.
Heute macht Mary Beard ähnliche Erfahrungen. Als Twitter-Userin erhält sie von Männern regelmässig Drohungen und Hasskommentare wie «Halts Maul, du Schlampe». Am wichtigsten sei es, schreibt sie in «Frauen und Macht», nicht dem verbreiteten Ratschlag zu folgen, die Kommentare zu ignorieren. Denn ignorieren bedeute, zu verstummen – und damit hätten die Trolle ihr Ziel erreicht.
«Too ugly for TV?»
Beards Strategie: die Männer konfrontieren. Mit einigen ist sie sogar Mittag essen gegangen, was angeblich zur Folge hatte, dass sich manche bei ihr entschuldigten. Und als ein TV-Moderator vor Jahren ihr Aussehen kritisierte, schrieb Beard einen Artikel mit dem Titel «Too ugly for TV? No, I’m too brainy for men who fear clever women».
Wer sich mit Mary Beard befasst, begreift: Die eigene Stimme zu erheben – im Netz, im Job, am Familientisch – braucht Kraft. Und vielleicht ist es genau deshalb das Feministischste, was eine Frau tun kann.