In unserer Rubrik «Die Feministin» stellen wir Frauen vor, die wir alle kennen sollten – weil sie aus dem Kampf um Gleichstellung nicht wegzudenken sind. Heute mit Jia Tolentino.
«Zweifelsohne die schärfste, pointierteste lebende Kulturkritikerin», schreibt Komikerin Samantha Irby im Vorwort des Essaybands «Trick Mirror: Über das inszenierte Ich» von Jia Tolentino. «The Washington Post» findet: «Ihr Stil ist ein Traum.» Und Schriftstellerin Zadie Smith stellt fest: «Ein brillantes, herausforderndes Buch.» Herausfordernd ist «Trick Mirror», das Ende Februar auf Deutsch erschienen ist, in der Tat – und das, obwohl es darin mehrheitlich um die vermeintlich seichten Themen geht. Um Instagram, Body Positivity oder Kim Kardashian, zum Beispiel.
Doch Jia Tolentino, 1988 als Kind philippinischkanadischer Einwanderer geboren und in Texas aufgewachsen, gibt sich mit dem Offensichtlichen nicht zufrieden. Sie weiss viel, sie denkt in alle Richtungen, sie reflektiert, bis es unangenehm wird. Sie fragt sich, warum sie als 16-Jährige unbedingt im Bikini an einer Reality-Show teilnehmen wollte. Wieso Frauenfiguren in Film und Literatur immer etwas übers Frausein erzählen, während Männer für das gesamte menschliche Dasein stehen. Oder wie es dazu kommen konnte, dass wir denken, allein das Sharen eines Posts würde uns zu einem politischen Menschen machen.
Sexistische Anforderungen neu vermarktet
Schon mit zehn Jahren bastelte Tolentino an einer Website und schrieb Blogeinträge über den unausweichlichen Sog des Internets. Später studierte sie mithilfe eines Stipendiums Anglistik, wurde stellvertretende Chefredaktorin beim feministischen «Jezebel». Mittlerweile ist sie Autorin beim «New Yorker» und wird weltweit als beste junge Essayistin der USA gefeiert. Ausserdem – wie könnte es anders sein – als eine der wichtigsten Stimmen ihrer Generation.
Im Essay «Optimierung ohne Ende» schreibt Tolentino: «Die ideale Frau von heute koexistiert friedlich mit dem Feminismus in seiner aktuellen, marktfreundlichen Mainstream-Variante.» Sie spricht damit auch von sich selbst: Das Gepose für Instagram, die viel zu teuren Yogaleggings, die Salatbowl am Mittag. Alte, sexistische Anforderungen wie das Schönsein würden unter dem Deckmantel der Self-Care einfach neu vermarktet – und auch Feministinnen fielen reihenweise darauf rein, während das Patriarchat fröhlich in die Hände klatscht. Solche Erkenntnisse schmerzen. Und sind bitter nötig.