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Die BVG-Reform einfach erklärt: Das müssen Frauen wissen

Politik

Die BVG-Reform einfach erklärt: Das müssen Frauen wissen

Die BVG-Reform ist ein Ungetüm. Dennoch sollten sich gerade Frauen eine Meinung bilden – sie sind am stärksten von den Änderungen betroffen. Wir zeigen euch darum die wichtigsten Punkte auf.

Im letzten Teil eines Frauenlebens zeigt sich in der Schweiz eine grosse Ungleichheit: Frauen erhalten heute knapp einen Drittel weniger Rente als Männer. Schuld an dieser Lücke, dem Gender Pension Gap, sind vor allem die ungleichen Pensionskassen-Vermögen. Nun steht das Gesetz zur Debatte, das die berufliche Vorsorge regelt: Am 22. September kommt die BVG-Reform an die Urne.

Die schlechte Nachricht: Dieses Gesetz und seine Reform sind bürokratische Brocken. Die gute: Wir haben jene Punkte, die sich am stärksten auf die Frauenrenten auswirken, herausgepf lückt und möglichst verständlich ausgeführt. Es soll eine Wegleitung sein, um sich selbst eine Meinung zu bilden.

Um eine Abstimmungsempfehlung handelt es sich nicht. Auch deshalb, weil sich die Frage, ob man sich im Sinne der Frauen für oder gegen die Reform aussprechen müsste, nicht eindeutig beantworten lässt. Denn dieses Paket mit dem Koordinationsabzug-Zückerli und der Umwandlungssatz-Kröte ist zumindest ambivalent.

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«Die Frage, ob man sich im Sinne der Frauen für oder gegen die Reform aussprechen müsste, lässt sich nicht eindeutig beantworten»

Alliance F, der grösste schweizerische Frauendachverband, sagt, die Reform sei ein Meilenstein, und empfiehlt sie zur Annahme. Ebenso die FDP, die Mitte und die SVP. Die SP und die Gewerkschaften hingegen betonen, dass Menschen mit tiefen Einkommen das Nachsehen hätten – und darunter würden überdurchschnittlich viele Frauen fallen.

Das Problem: Der Gender Pension Gap

Grundsätzlich ist die berufliche Vorsorge, so wie sie heute aufgestellt ist, nicht für die Erwerbsbiografie vieler Frauen gemacht: Sie belohnt lückenlose Karrieren, hohe Pensen und stattliche Löhne. Die Mehrheit der Frauen hat das nicht: Knapp sechzig Prozent sind in Teilzeit-Pensen angestellt. Oft deshalb, weil sie es sind, die den Grossteil der unbezahlten Arbeit im Haushalt, bei der Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen entrichten. Frauen arbeiten ausserdem häufiger als Männer in Tieflohnbranchen. Zwei von drei Personen im Verkauf sind Frauen. In der Pflege oder Reinigung liegt der Frauenanteil bei achtzig Prozent und mehr.

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«Frauen bekommen heute monatlich durchschnittlich 1000 Franken weniger Rente als Männer»

Teilzeit, Tieflohnbranche und die immer noch nicht ganz ausgeräumte Lohnungleichheit: all das sind die Gründe, weswegen Frauen gemäss Bundesamt für Statistik monatlich 1500 Franken weniger verdienen als Männer – und folglich weniger in den Rentenspartopf einzahlen können. Solch tiefe Einkommen werden heute mit dem Koordinationsabzug zusätzlich bestraft, mehr dazu später.

Hinzu kommt: Wer sehr wenig verdient, bleibt bei der beruflichen Vorsorge aussen vor. Erst wenn das jährliche Einkommen 22 050 Franken überschreitet, kann man überhaupt in eine Pensionskasse einzahlen. Und zu guter Letzt gilt in der zweiten Säule das Prinzip: Jeder und jede schaut für sich. Wer im Berufsleben mehr ansparen kann, hat im Alter mehr Geld. Es gibt keine Umverteilung wie etwa bei der ersten Säule, der AHV.

Das alles hat zur Folge, dass heute bloss knapp die Hälfte der pensionierten Frauen Renten aus der zweiten Säule beziehen. Und diese sind im Schnitt erst noch 44 Prozent tiefer als jene der Männer. In realen Zahlen ausgedrückt: Frauen bekommen heute laut Neurentenstatistik 2022 monatlich durchschnittlich 1000 Franken weniger Rente als Männer.

Das will die Reform

Tiefere Eintrittsschwelle

Dass die gesetzliche Eintrittsschwelle sinken muss, gehört zu den eher unbestrittenen Punkten der Reform. Sie soll von 22 050 auf 19 845 Franken fallen. Dadurch wären laut Bund rund 70 000 Arbeitnehmende neu versichert. Zirka 45 000 davon sind Frauen. Und dennoch: Weiterhin sind dann 244 000 Frauen und 81 000 Männer nicht versichert.

Ganz auf eine Eintrittsschwelle zu verzichten, wäre laut Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) allerdings nicht sinnvoll. Der Grund: Müssten Personen mit sehr tiefen Löhnen in die zweite Säule einzahlen, würden von ihrem tiefen Einkommen vergleichsweise hohe Beiträge abgezogen.

Neue Altersgutschriften

Kaum umstritten ist auch, dass die Altersgutschriften angepasst werden sollen. Das sind jene Beiträge, die vom Lohn abgehen und in die Pensionskasse einbezahlt werden. Je älter eine Person, umso höher ist heute der Beitrag, den Angestellte wie Arbeitgebende an die Pensionskasse bezahlen müssen. Diese Staffelung gilt seit der Einführung der zweiten Säule. Die Idee war einerseits, dass, wer damals 45 Jahre oder älter war, trotzdem noch einiges an Geld bis zur Pensionierung in die BVG einzahlen konnte. Andererseits wollte man, dass in jungen Jahren weniger Lohnanteile gebunden sind.

25- bis 34-Jährige geben heute 7 Prozent ihres Lohns ab, 55- bis 64-Jährige 18 Prozent. Was erklärt, warum ältere Arbeitnehmende bisweilen als «teuer» bezeichnet werden. Durch die Reform würden die Unterschiede verkleinert, indem die Beiträge bei den Jüngsten auf 9 Prozent steigen und bei den anderen Altersgruppen sinken, bei den Ältesten auf 14 Prozent.

Diese strittigen Punkte betreffen vor allem Frauen

Der Umwandlungssatz

Der Umwandlungssatz legt fest, wie viel Rente eine Person nach der Pension monatlich aus der zweiten Säule erhält. Die Reform will ihn senken, von heute 6.8 auf 6 Prozent – was bedeutet, dass die monatliche Rente kleiner wird. Die Pensionierten erhalten ihr angespartes Geld in kleineren Happen.

Ein Rechenbeispiel: Wer 100 000 Franken Pensionskassenkapital hat, bekommt heute eine Jahresrente von 6800 Franken, also rund 567 Franken monatlich. Nach der Reform wären es 6000 Franken, 500 Franken monatlich.

Diese Massnahme bildet den eigentlichen Kern der Reform. Zu dieser kommt es, weil Bundesrat und Parlament die zweite Säule an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen wollen: Insbesondere die gestiegene Lebenserwartung der Bevölkerung würde das System belasten. Zudem generierten die Pensionskassen an den Kapitalmärkten aufgrund der wirtschaftlichen Lage weniger Umsatz.

Aber, und jetzt wird es etwas komplizierter: Diese Senkung betrifft nicht alle. Runtergehen soll bloss der Satz für die Renten jener Menschen, die jährlich 88 200 Franken oder weniger verdient haben und deren Pensionskasse keine zusätzlichen Leistungen entrichtet. Denn bis zu diesem Betrag handelt es sich um die Minimalvorsorge, und in diesem obligatorischen Bereich legt der Bund den Umwandlungssatz fest.

«Frauen und Männer erhalten neu für jeden Franken, den sie in die Pensionskasse einzahlen, monatlich weniger Rente ausbezahlt»

Gabriela Medici, Zentralsekretärin beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund

Wie viele Pensionär:innen von dieser Änderung effektiv betroffen sind, ist schwierig zu sagen. Expert:innen rechnen mit 15 bis 30 Prozent. Wer mehr verdient, ist meistens im «Überobligatorium» versichert. Hier können die Pensionskassen den Umwandlungssatz selbst bestimmen, weshalb schon heute andere, tiefere Sätze gelten. Trotzdem landet bei diesen Versicherten letztlich ein höherer Rentenbetrag auf dem Konto, weil sie mehr Geld angespart haben.

Die Gewerkschaften, die als Gegnerinnen der Reform auftreten, erkennen in dieser Senkung einen Rentenabbau, der gerade Frauen trifft – weil eben besonders viele von ihnen bloss im obligatorischen Bereich versichert sind. «Frauen und Männer erhalten neu für jeden Franken, den sie in die Pensionskasse einzahlen, monatlich weniger Rente ausbezahlt», hält Gabriela Medici, Zentralsekretärin beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund fest. Der Frauendachverband Alliance F hat in einer Studie errechnet, dass dadurch bei 67 000 Frauen die monatlichen Renten sinken würden.

Der Koordinationsabzug

Für Uneinigkeit sorgt ein weiterer komplizierter Mechanismus: der Koordinationsabzug. Man kann ihn als eine Art Vermittler zwischen der ersten und der zweiten Säule verstehen, also zwischen der AHV und der beruflichen Vorsorge. Die Renten aus beiden Säulen sind aufeinander abgestimmt, also koordiniert. Darum wird vom Erwerbslohn der Anteil abgezogen, den man bereits in die AHV eingezahlt hat.

Erst auf den Restbetrag, auch BVG-Lohn genannt, werden schliesslich die Beiträge an die Pensionskasse erhoben. Als Grundlage für diese Rechnung nimmt man heute den vom Bund festgelegten Betrag von jährlich 25 725 Franken. Dieser entspricht knapp einer maximalen jährlichen AHV-Rente. Zum Verständnis: Das Geld wird nicht real abgezogen, sondern nur für die Berechnung des BVG-Lohns.

Gerade für Frauen mit Teilzeiteinkommen oder tiefen Löhnen ist dieser fixe Betrag, der sich an einem Vollzeitpensum orientiert, im Grunde ungerecht. Er frisst erhebliche Lohnbestandteile weg. Die Folge: Die PK-Beiträge fallen tiefer aus, man spart weniger fürs Alter an. Die Reform will nun den fixen Abzug ersetzen durch einen Prozentsatz von zwanzig Prozent des Lohnes. Damit wäre der Koordinationsabzug keine fixe Grösse mehr, sondern er widerspiegelt stärker das individuelle Einkommen.

Zu abstrakt? Ein Beispiel: Bei einem Jahreseinkommen von 40 000 Franken beträgt der BVG-Lohn heute 14 275 Franken (40 000 minus den Koordinationsabzug von 25 725). Wendet man den Prozentsatz der Reform an, verblieben 32 000 Franken. Vor allem Menschen mit kleinen Einkommen könnten dadurch mehr in die Pensionskasse einzahlen.

Pro und Kontra

Alliance F betont, dass der neu ausgestaltete Koordinationsabzug ein grosses Plus für die Frauen sei. Die Beiträge und die Renten für Teilzeit-Angestellte würden steigen. Und er würde auch der Gleichberechtigung dienen. Co-Präsidentin Maya Graf sagt: «Ein nicht unwichtiger Effekt: Zwei Einkommen a` 40 000 Franken wären neu gleich versichert wie ein Einkommen a` 80 000 Franken.» Was bedeutet: Paare, die Erwerbs- und Care-Arbeit gleichgewichtig aufteilen, würden nicht mehr bestraft, da die beiden Teilzeiteinkommen dann gleich viel Rente generieren wie ein einzelnes Vollzeiteinkommen.

«Ein blinder Fleck im heutigen Rentensystem bleibt unbezahlt geleistete Care-Arbeit»

Eine Studie von Alliance F kommt zum Schluss, dass 275 000 Frauen mit der Reform eine höhere Rente erhalten würden – vor allem aufgrund des neuen Koordinationsabzugs.

Die Gewerkschaften räumen ein, dass Teilzeitbeschäftigte durch den prozentualen Koordinationsabzug bessergestellt würden. Zentralsekretärin Gabriela Medici prognostiziert jedoch: «Das Problem ist, dass dieser Effekt aufgrund der Verknüpfung mit dem Rentenabbau, also durch die Auswirkungen des sinkenden Umwandlungssatzes, erst in etwa zwanzig Jahren spürbar ist.» In etwa so lange braucht es, bis Arbeitnehmende durch den neuen Koordinationsabzug mehr Kapital ansparen und so den tieferen Umwandlungssatz ausgleichen können.

Weil diese Wirkung Zeit braucht, gibt es auch bei dieser Reform eine Gruppe, die zwischen Stuhl und Bank fällt. Das sind all jene, die einen tieferen Umwandlungssatz hätten, aber nicht mehr lange genug arbeiten, um das mit den höheren Beiträgen auszugleichen. Betroffen sind 15 Jahrgänge. Sie sollen als Ausgleich lebenslange Rentenzuschläge von bis zu 200 Franken monatlich bekommen.

Reicht das aus, um die Lücke zu schliessen?

Die Reform schlägt einige Pflöcke ein für die Altersvorsorge der Frauen – aber sie wird auch dazu führen, dass sich die monatlichen Renten einiger Frauen verkleinern.

Ein blinder Fleck im heutigen Rentensystem bleibt jedoch ein zentraler Teil der weiblichen Lebensrealität – und oft der Grund für Teilzeit: Die unbezahlt geleistete Care-Arbeit hat auch nach der Reform keinen direkten Einfluss auf die zweite Säule. Anders etwa bei der AHV, wo Erziehungsgutschriften angerechnet werden können.

Natürlich – die berufliche Vorsorge bezieht sich auf die Erwerbsarbeit. Doch betrachtet man die in Care-Arbeit fliessende Arbeitskraft und deren Systemrelevanz, ist diese eben auch ein enormer Wirtschaftsfaktor: 9.8 Milliarden Stunden arbeiten wir in der Schweiz pro Jahr gratis und franko. Über sechzig Prozent davon leisten Frauen. Der theoretische Wert dieser Arbeit beträgt laut Bund 434 Milliarden Franken. Das ist mehr als die Hälfte der gesamten Schweizer Wirtschaftsleistung im Jahr 2023.

Vielleicht kann man die BVG-Reform als ersten Schritt sehen, der den Gender Pension Gap auf lange Sicht verkleinern kann. Damit sich die Lücke ganz schliesst, braucht es aber mehr. Wir werden darüber reden müssen, wie wir es schaffen, dass sich die zig Stunden unbezahlter Arbeit auszahlen – in den Renten der Frauen, aber auch in jenen der Männer.

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BVG-Koch

Der Artikel ist sehr gut recherchiert und klar verständlich. Mit meiner langjährigen Erfahrung im Pensionskassengeschäft, darunter auch als Leiterin einer der grössten Pensionskassen, sehe ich jedoch mit Besorgnis, wie das Parlament in den vergangenen Jahren immer wieder Anpassungen vorgenommen hat, die die 2. Säule eher geschwächt als gestärkt haben. Ein “Nein” zur aktuellen Vorlage mag zwar im Moment unbefriedigend erscheinen, doch ein “Ja” würde der 2. Säule langfristig noch grösseren Schaden zufügen. Es ist irreführend zu behaupten, dass Frauen durch diese Reform wesentlich besser gestellt würden. Tatsächlich würden nur wenige davon profitieren. Was wir dringend benötigen, sind nachhaltigere und besser durchdachte Reformen, die den Anforderungen unserer sich wandelnden Gesellschaft gerecht werden. Diese Reformen müssen fair für alle sein, insbesondere für die kommenden Generationen.