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«Der Westen ist zu museal»

Leben

«Der Westen ist zu museal»

  • Text: Stefanie Rigutto, Fotos: Ornella Cacace

Jin Xing (46), Choreografin, Schauspielerin und Celebrity, ist in China eine Legende.

Jin Xing war der erste Mann, der sich in China einer Geschlechtsumwandlung unterzog und öffentlich dazu stand. Die junge Dolmetscherin fragte uns vor dem Treffen: «Habt ihr nicht Angst vor ihr?» Wir erzählen Jin Xing davon. Sie lacht ihr tiefes, kehliges Lachen und antwortet: «Viele Chinesen haben keine Ahnung, was eine Geschlechtsumwandlung bedeutet.» Jin Xing ist eine Exotin. Und zugleich eine Legende. Man sieht sie in Filmen, in Talkshows, in der chinesischen Version von «Superstar».

Als neunjähriger Bub trat Jin Xing der Volksbefreiungsarmee bei, wo er ein Mitglied der militärischen Tanzgruppe wurde. Sie sei, erzählt Jin Xing, bei Regen immer nach draussen gerannt, damit ein Blitz sie treffe und in ein Mädchen verwandle. Sie studierte Tanz in New York, gewann Preise, reiste durch Europa, lebte in Rom. Dann kam sie Mitte der Neunziger nach China zurück und liess sich operieren. Die Ärzte pfuschten: Für eine Weile war ihr linkes Bein gelähmt. Sie arbeitete als Choreografin. Adoptierte drei Kinder. Lernte auf einem Flug von Paris nach Shanghai einen Deutschen kennen, der ihr Mann wurde.

Der Titel ihrer Autobiografie: «Nichts passiert zufällig.» Warum ist Jin Xing nach China zurückgekehrt? Sie hätte irgendwo auf der Welt leben können, wo die Gesellschaft toleranter ist. Jin Xing sagt: «Ich liebe Herausforderungen. Der Westen ist mir zu museal.» Jin Xing hat auf Weibo, der chinesischen Version von Twitter, fast eine Million Anhänger. Ihr Account, sagt sie, werde von der Regierung beobachtet. «Wir haben ein stillschweigendes Abkommen», sagt sie. Die Partei lasse sie gewähren, weil sie für ein modernes China stehe. «Aber nur solange ich nicht zu politisch werde.»