Werbung
Dem Kaufrausch entgehen

Leben

Dem Kaufrausch entgehen

  • Redaktion: Helene Aecherli; Foto: Unsplash / Jacek Dylag

Schnäppchen statt Schnäpschen: Shoppen kann eine ähnliche Wirkung haben wie Alkohol. Wie ist das möglich?

Duch Kisten wühlen, euphorisiert durch Prozent- und Rabattschilder, jetzt nochmals zwanzig Prozent runter, jetzt, zugreifen, jetzt … Yes!

Wir wissen es: Shoppen gibt uns ein befriedigendes Gefühl. Und noch stärker wird es, wenn wir etwas zum halben Preis erstehen, Kleider, Schuhe, Laptops, Fernseher, was auch immer, wenn wir mehr für weniger bekommen, wenn wir blitzschnell zuschlagen können. Ja, dabei kann es tatsächlich geschehen, dass wir in einen Kaufrausch geraten. «Denn beim Einkaufen ist unser Belohnungszentrum im Hirn aktiv, der Nucleus accumbens. Dieses sendet Botenstoffe, sogenannte Dopamine, aus, und das empfinden wir als Glücksgefühl», erklärt Franz Eidenbenz, Psychologe am Zentrum für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte Radix in Zürich. Der Grund: Shoppen hat auf das Belohnungszentrum einen ähnlichen Effekt wie der Konsum von Alkohol oder Drogen.

Besonders erregt wird das Belohnungszentrum, wenn man sich auf Schnäppchenjagd begibt. «Man hangelt sich dann von Kaufbelohnung zu Kaufbelohnung», sagt Gregor Waller, Medienpsychologe an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Leider endet der Kaufrausch aber nicht selten in einem Kater. Oft ist die Kreditkarte zu hoch belastet, man zweifelt die eigenen Kaufentscheidungen an und stellt fest, dass man viele der gekauften Dinge gar nicht braucht. Dieses Gefühl wird in der Fachsprache auch als kognitive Dissonanz beschrieben und ruft negative Emotionen hervor. «Um diesen unangenehmen Zustand zu mildern», erklärt Gregor Waller, «suchen wir nachträglich nach Gründen, weshalb der Kauf eben doch richtig war.»

Mehr als nur ein vorübergehendes Unwohlsein erfahren Menschen, die unter unkontrolliertem Kaufverhalten leiden. Lassen die Glücksgefühle nach dem Einkaufsrausch nach, empfinden sie oft starke Schuldgefühle. Im Gegensatz zum Alkohol- und Drogenkonsum seien diese gar noch stärker ausgeprägt, da die Betroffenen keinen Wirkstoff für ihre Misere verantwortlich machen können, sondern nur sich selbst, erklärt Franz Eidenbenz. 39 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer neigen zu unkontrolliertem Kaufen, so der Psychologe. Tatsächlich suchtgefährdet sind bei den Frauen 6, bei den Männern 3 Prozent. Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren sind besonders betroffen. Wird eine krankhafte Kaufsucht diagnostiziert, ist, wie bei anderen Süchten auch, eine entsprechende Behandlung nötig.

Die Schnäppchenjagd hat aber auch gute Seiten. Dann nämlich, wenn das Glücksgefühl länger anhält, wenn man etwas kauft, was einem nützlich ist, oder wenn man sehr lange auf etwas gespart und hingearbeitet hat. Hiermit lässt sich auch erklären, weshalb wir gewissen Produkten treu bleiben. «Kommt eine positive Erfahrung beim Kauf einer bestimmten Marke immer wieder vor», sagt Medienpsychologe Waller, «entwickelt sich eine Loyalität zur Marke.»

Aber ach, gegen den Einkaufstrieb ist noch kein Kraut gewachsen. Auch wenn man sich der Tricks der Marketingprofis bewusst ist, passiert es einem, dass man einen Einkauf im Nachhinein bedauert. Was tun? Gregor Waller hat dafür einige Gegenstrategien entwickelt: «Ich versuche, wann immer möglich, Zeit für die Kaufentscheidung zu gewinnen oder eine Nacht darüber zu schlafen. Hilfreich ist es auch, mich zu fragen und mir konkret vorzustellen, wie ich das Produkt in meinen Alltag integrieren kann.» Kann er sich darauf keine klare Antwort geben, verzichtet er meist auf den Kauf – und bereut es im Nachhinein nie.