Das neue Heft ist da: Chefredaktorin Barbara Loop über Rollenspiele
- Text: Barbara Loop
- Bild: annabelle
Ab heute liegt die neue annabelle am Kiosk. Lest hier das Editorial von Chefredaktorin Barbara Loop.
Wir trafen uns auf der ersten Bühne, die ich in meinem Leben betreten hatte: jene in der Kirche. Genauer in der Kathedrale von St. Gallen. Julia Buchmann, Schauspielerin aus Herisau, hat die Hauptrolle im Schweizer Film «Friedas Fall» inne, der in und um das historische Kloster St. Gallen spielt und jetzt in die Kinos kommt.
Es hatte also nichts mit meiner Biografie zu tun, sondern mit ihrem gefeierten Kinodebüt, dass wir uns hier verabredet hatten. Und doch – sei es, weil ich unweit von St. Gallen aufgewachsen bin, sei es, weil ich diesen Dialekt nur noch selten im Ohr habe – kam ich nicht darum herum, an die Kirchensonntage meiner Kindheit zu denken.
An den Pfarrer, der mich schon getauft hatte, den Weihrauch in der Luft, daran, wie mir diese Gottesdienste mit jedem Lebensjahr länger vorkamen. Der Ausweg aus meiner Qual: Ich wollte auf die Bühne und wurde Ministrantin. Ich spielte diese Rolle mit Hingabe, jeder Sonntag bot eine neue Chance, meine Performance zu verbessern. Es war mir nie mehr langweilig.
«Vielleicht sollten wir das Leben öfter als Spiel betrachten»
Vielleicht sollten wir das Leben öfter als Spiel betrachten, neue Rollen erproben, das Drehbuch namens Leben ein bisschen freier interpretieren, uns in Möglichkeiten verlieren. Vielleicht gibt es mehr Rollen für uns als nur die eine Hauptrolle, die wir, wie billige Ratgeberliteratur gern behauptet, in unserem Leben spielen sollten.
Julia Buchmann schlüpft von Berufs wegen in neue Rollen – und für uns im Modeshooting der neuen Ausgabe. Mal gibt sie die Diva in einem Film noir, mal den Sixties-Musicalstar. Die Mode liefert Stoff für immer neue Figuren. «Wir urteilen immerzu über andere, das ist normal», sagt Julia Buchmann, «entscheidend ist aber, dass wir diese Urteile in Frage stellen, dass wir zuhören, hinschauen, uns fragen, was hinter einem Schicksal steckt. Dass wir uns für die Menschen interessieren.»
So umschreibt sie, was für sie den Kern von «Friedas Fall» ausmacht. Und das, was Schauspieler:innen tun: Mit einer Rolle übernehmen sie jedes Mal eine neue Perspektive. Wie gut es tut, etwa die Pein der Menopause mal mit anderen Augen zu sehen, beschreibt Stefanie de Velasco in dieser Ausgabe.
Wie unverzichtbar für den Frieden die Fähigkeit ist, sich in den ärgsten Feind hineinzuversetzen, erklärt Ahmed Fouad Alkhatib im Interview im neuen Heft. Der Politanalyst aus Gaza lebt heute in den USA. Bei einem Luftangriff hat er 31 Familienmitglieder verloren. Und dennoch pocht er darauf, dass ohne Empathie für die Israelis kein Frieden möglich sei. Lest dieses Gespräch, es schärft auch den Blick für die Rolle, die wir alle in diesem Konflikt spielen.
Herzlich,
Barbara Loop
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