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Das neue Heft ist da: Chefredaktorin Barbara Loop über Heimat

Zeitgeist

Das neue Heft ist da: Chefredaktorin Barbara Loop über Heimat

  • Text: Barbara Loop
  • Coverbild: Yannick Schuette; Foto: annabelle

Ab heute liegt die neue annabelle am Kiosk. Lest hier das Editorial von Chefredaktorin Barbara Loop.

Mit schweren Beinen und leichtem Herzen sitze ich an meinem Schreibtisch und denke über die Bedeutung von Heimat nach. Ich bin zurück von einer dreitägigen Wandertour. Wir haben Murmeltiere und Hirsche beobachtet, Ovo-Schoggi und Polenta gegessen und uns an der Landschaft berauscht. Wie in einem Heimatfilm mutete die Szenerie an. Aber was ist das eigentlich, Heimat?

Für diese Ausgabe hat Helene Aecherli lange Gespräche mit zwei jungen Frauen geführt, die ihre Heimat Somalia verlassen mussten. Nura und Rahma waren noch minderjährig, als sie nach einer rund zweijährigen Odyssee die Schweiz erreichten. Sie gehören damit zu den wenigen Mädchen, die ohne Begleitung von Erwachsenen in die Schweiz geflüchtet sind.

130 Mädchen waren es bei der letzten Erhebung 2023, das sind nur vier Prozent der 3271 Minderjährigen, die hierzulande Asyl beantragt hatten. Inzwischen sind Nura und Rahma zwei junge Frauen in Ausbildung, die gerade gemeinsam ihre erste eigene Wohnung bezogen haben.

Helene Aecherli hat ihre Geschichte aufgeschrieben und so die Schicksale zweier Menschen sichtbar gemacht, für die Heimat zu einem zwiespältigen Ort wurde. Denn anders als Jungen fliehen Mädchen oft nicht für ihre Familie, sondern vor ihrer Familie. Wie Nura, deren Vater sie zwangsverheiraten wollte.

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«Vielleicht ist Heimat der innere Kompass, der einen auf Kurs hält»

Doch was kann diese Heimat ersetzen? Vielleicht ein Stück weit eine selbst gewählte Heimat, wie die Freundschaft etwa, die Nura und Rahma verbindet.

Oder bezeichnet Heimat gar nicht den Ort der Herkunft, sondern den Ort, an dem man die meiste Zeit seines Lebens verbracht hat? Leandra Nef hat in Hamburg die Modedesignerin Jil Sander getroffen. Eindrücklich erzählte die 80-Jährige, wie sie, nachdem sie ihr Unternehmen verlassen hatte, eines Tages im Supermarkt stand und sich fragte, wer bloss all diese Joghurts kaufen würde, die da im Regal standen. Jil Sander, die Meisterin des Minimalismus, die nie selbst einkaufte, weil sie Tag und Nacht für ihre Marke lebte und Hamburg auf die Karte der Modewelt setzte, verlor bei Rewe die Orientierung.

Die Postkartenidylle der Berge, sie wird uns gemeinhin als Inbegriff von Heimat verkauft. Doch was haben Greina und Lukmanier mit mir zu tun? Wenig, schliesslich bin ich im Flachland aufgewachsen und wandere nur selten.

Vielleicht ist Heimat aber weder die Herkunft noch der Ort, an dem man gelandet ist, sondern der innere Kompass, der einen auch dann auf Kurs hält, wenn man das Ziel neu setzen muss.

Herzlich,
Barbara Loop

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