Ex-Entertainer Bill Cosby wurde am Mittwoch überraschend aus dem Gefängnis entlassen. Wir haben für euch die wichtigsten Punkte zum Fall zusammengefasst.
Was ist passiert?
Bill Cosby wurde 2015 verhaftet und 2018 wegen schwerer sexueller Nötigung in drei Fällen zu mindestens drei bis maximal zehn Jahren Haft verurteilt. Ihm wird vorgeworfen, Andrea Constand im Jahr 2004 auf seinem Anwesen unter Drogen gesetzt und anschliessend sexuell missbraucht zu haben. Dieser Fall ist allerdings nur einer von vielen: Mehr als 60 Frauen hatten Cosby sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Sein Tatmuster scheint dabei fast immer identisch gewesen zu sein: Er verabreichte Frauen ohne ihre Einstimmung Drogen und nutzte anschliessend ihre Hilflosigkeit aus, indem er sich an ihnen verging.
Der Sitcom-Star war seit mehr als zwei Jahren in einem Staatsgefängnis in der Nähe von Philadelphia inhaftiert, als am Mittwoch überraschend bekannt wurde, dass er aus seiner Haft entlassen wird. Bei strahlendem Sonnenschein verliess Cosby in weissem T-Shirt das Gefängnis. Zuvor hatte Cosby verlauten lassen, er würde eher zehn Jahre absitzen, als Reue für seine Handlungen an Constand zu zeigen.
Warum ist Bill Cosby überhaupt wieder frei?
Was also ist passiert? Wie kann es sein, dass Cosby wieder auf freiem Fuss ist? Die am Mittwoch gefallene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Pennsylvania hing mit einer Vereinbarung zusammen, die Cosby 2005 mit einem Staatsanwalt getroffen hatte. In diesem Jahr hatte Constand dem damaligen Bezirksstaatsanwalt von Montgomery County, Bruce Castor, erzählt, dass der Sitcom-Star sie im Jahr zuvor missbraucht habe. Zu dieser Zeit lehnte Castor es ab, Cosby strafrechtlich zu verfolgen, mit der Begründung, es gäbe nicht genug Beweise für eine Verurteilung. Stattdessen schlug er Constand vor, einen Zivilprozess gegen Cosby zu führen. Anschliessend ging Castor mit Cosby einen Deal ein: Der Schauspieler würde gegen eine strafrechtliche Verfolgung immun sein, wenn er für eine Aussage in Constands Zivilprozess aussagen würde.
Im Verfahren gegen Cosby rund zehn Jahre später wurden die Details des damaligen Prozesses wieder aufgenommen. Laut dem Pennsylvania Supreme Court hielten sich Castors Nachfolger:innen damit nicht an die damalige Vereinbarung und verfolgten ihn ungeachtet dieser früheren Abmachung strafrechtlich. Zudem wurden die belastenden Aussagen, die Cosby damals unter Eid tätigte – er hatte unter anderem zugegeben, Frauen Schlafmittel verabreicht zu haben, wenn er mit ihnen Sex haben wollte – im Strafprozess gegen ihn verwendet. Cosbys Vertrauen gegenüber dem damaligen Staatsanwalt Castor sei damit gegen ihn eingesetzt worden, erklärte der Gerichtshof die Freilassung des 83-Jährigen.
Wie hat Bill Cosby selbst reagiert?
Vor seinem Haus in Philadelphia streckte Cosby der Presse das Victory-Zeichen entgegen. «Er ist extrem glücklich, zu Hause zu sein und freut sich darauf, mit seiner Frau und seinen Kindern zusammen zu sein», sagte seine Anwältin Jennifer Bonjean bei einer Pressekonferenz auf Cosbys Anwesen. Sein Sprecher Andrew Wyatt bezeichnete die Zeit im Gefängnis ziemlich dreist als «ungewollte dreijährige Ferien, um die Herr Cosby nie gebeten hatte».
Der gefallene Serien-Star meldete sich nach seiner Entlassung bei Twitter zu Wort. Er schrieb: «Ich habe nie meine Haltung oder meine Geschichte geändert. Ich habe immer meine Unschuld beteuert.» Er bedankte sich ausserdem bei seinen Fans und Unterstützer:innen, die ihm während «dieser Tortur» beistanden, und beim Obersten Gerichtshof von Pennsylvania «für die Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit».
Wie sind die Reaktionen?
Die Freilassung von Bill Cosby sorgte für Empörung als auch für Freude weltweit. Die US-Schauspielerin und Aktivistin Amber Tamblyn schrieb etwa bei Twitter: «Ich bin wütend, diese Nachricht zu hören. Ich kenne persönlich Frauen, die dieser Mann unter Drogen gesetzt und vergewaltigt hat, während sie bewusstlos waren. Schande über das Gericht und diese Entscheidung.» Und weiter: «Ich will nichts darüber hören, wie die Cancel-Kultur das Leben von Männern ruiniert hat, während die MeToo-Ära mit Frauen und Überlebenden abrechnet. Wie wir zu weit gegangen sind. Die heutige Nachricht, dass Cosbys Verurteilung aufgehoben wird, ist der Beweis, dass wir nicht weit genug gegangen sind. Unser Justizsystem muss sich ändern.»
Andrea Constand, für deren sexuellen Missbrauch Cosby verurteilt wurde, äusserte ihre Enttäuschung über den Entscheid des Gerichts in einem Statement. Dieser sei «nicht nur enttäuschend, sondern auch besorgniserregend, weil es diejenigen, die im Strafrechtssystem Gerechtigkeit für sexuelle Übergriffe suchen, davon abhalten könnte, den Angreifer anzuzeigen oder sich an der Strafverfolgung zu beteiligen.»
Rosanna Arquette, ebenfalls Schauspielerin und Aktivistin, bezeichnete die Entlassung Cosbys als «ekelerregend». «Ich kenne viele junge Frauen und Männer, die so viel Angst davor haben, ihren Vergewaltiger anzuzeigen und sich selbst zu retraumatisieren. Ich bin heute untröstlich über die Nachricht von Cosbys Entlassung. Mein Herz ist bei meinen Schwester-Überlebenden. Wir haben viel Arbeit vor uns», schrieb sie bei Twitter.
Die US-Autorin Roxane Gay schrieb bei Twitter: «Er vergewaltigte mehr als 60 Frauen, aber ich denke, das spielt keine Rolle? Ich fand es in Ordnung, dass er für den Rest seines Lebens im Gefängnis bleibt.»
Patricia Steuer, die Cosby vorwarf, sie 1978 und 1980 unter Drogen gesetzt und sexuell missbraucht zu haben, sagt zur «New York Times», dass sie sich auf seine eventuelle Freilassung bereits vorbereitet habe. Trotzdem sei sie überrascht über den Entscheid des Gerichts: «Ich frage mich, wofür die 43-jährige Tortur, die ich durchgemacht habe, war.» Sie finde Trost in der Tatsache, «dass wir das Einzige gemacht haben, was wir konnten: die Wahrheit zu sagen.»
Freude über die Entlassung zeigte Phylicia Rashad, die in der «Bill Cosby Show» Cosbys Ehefrau spielte. Sie schrieb bei Twitter: «Endlich! Ein schreckliches Unrecht wurde wieder gut gemacht – ein Justizirrtum wurde korrigiert!»
Wie geht es weiter?
Die Staatsanwaltschaft von Montgomery County könnte nach der Aufhebung des Urteils Berufung am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten erheben. Laut «Deadline» dürfte dies allerdings nach jetzigem Stand nicht passieren.