Redaktorin Stephanie Hess findet: Ein Erfolg für die Männer darf nicht die Rechte der Frauen schmälern.
Weihnächtlich einvernehmlich ertönen sie im Chor, die politischen Stimmen. Und dies bei einem Thema, dem eigentlich beachtliches Aufschreipotenzial innewohnt: Diskriminierung! – diesmal nicht von Frauen, sondern von Männern. Es geht um einen Witwer, der als Vollzeit-Vater über Jahre seine zwei Töchter betreute. Als sie volljährig werden, erlischt sein Anspruch auf Witwerrente. Wäre er hingegen eine Frau, wären die Zahlungen bis zum Tod oder bis zu einer erneuten Heirat weitergelaufen.
Diese Ungleichbehandlung zieht der Mann, er heisst Max Beeler und lebt heute in Peru, bis vors Bundesgericht – und unterliegt. Weil die Lausanner Richter in ihrem Urteil jedoch selbst einräumen, dass die ungleiche Behandlung von Witwen und Witwern der Gleichstellung widerspreche, verfasst er eine Beschwerde an die Adresse des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Gleich lange Spiesse für Witwer und Witwen
Acht Jahre später ist jetzt das Urteil da: Die Ungleichbehandlung verstosse gegen die Menschenrechtskonvention und sei unzulässig. Der Gerichtshof fordert die Schweiz auf, für Witwer und Witwen künftig gleich lange Spiesse zu schaffen. «Ich habe nicht nur für mich und meine Töchter gekämpft, sondern auch für alle zukünftigen Witwer», sagt Max Beeler.
Wie man das Urteil nun umsetzen will, darin sind sich die politischen Vertreter von SP bis SVP, die sich seither in den Medien geäussert haben, überraschend einig: Nicht die Renten der Männer sollen erhöht werden, sondern jene der Frauen gekürzt. Zum Beispiel sollen sie zum Ausbildungsende der Kinder hin auslaufen, so wie es eine AHV-Revision vorsah, die beim Volk jedoch nicht durchkam.
Ist es zeitgemäss, dass Männer höhere Lohne erhalten?
Die politischen Hintergründe, immerhin, unterschieden sich: Die einen scheuen die Kosten, wenn man die Auszahlungen an Witwer verlängert – bundesamtliche Berechnungen gibt es dazu jedoch noch nicht. Andere finden eine Witwenrente schlicht unemanzipiert, weil es die Vorstellung zementiert, der Ehemann erfülle automatisch die Ernährerrolle und eine Frau sei quasi per Definition ausserstand, sich – wenn die Kinder mal aus dem Haus sind – selber zu versorgen.
Nun, zeitgemäss ist ein solches Rentensystem in der Tat nicht. Doch aus Frauensicht zieht genau dieses Argument, sagen wir mal, mässig. Denn ist es zeitgemäss, dass Männer für die gleiche Arbeit höhere Löhne erhalten? Sind teure Kitas zeitgemäss, die ein ganzes Teilzeiteinkommen wegfressen? Und dass es für Verheiratete steuerlich unattraktiv ist, ein solches überhaupt zu erwirtschaften? Oder dass Frauen wegen mutterschaftsbedingter Berufsausfälle weniger oft Karriere machen und häufiger in Tieflohnbranchen arbeiten? Oder dass sie im Alter öfter von Armut betroffen sind?
Natürlich soll aus purer Wut darüber nicht an einem alten, schwierig zu finanzierenden System festgehalten werden. Doch die Witwenrente wie auch das tiefere Frauenpensionsalter sind ein Pfand. Eines, das wir Frauen nicht nach einem grossartigen Antidiskriminierungserfolg eines Mannes – und noch auf Kosten der Väter – aufgeben sollten. Dieses Pfand gibts erst für ganz konkrete und wirkliche Verbesserungen in Sachen Gleichstellung.