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Darum liebe ich Taylor Swifts neues Album

Leben

Darum liebe ich Taylor Swifts neues Album

  • Text: Charlotte Theile; Bild: Getty Images

Taylor Swifts Überraschungsalbum «Folklore» klingt verträumt, enthält gleichzeitig aber etliche politische Messages. Autorin Charlotte Theile ist begeistert.

Erst eine Woche ist es her, dass Taylor Swift auf Instagram ein Überraschungsalbum angekündigt hat. Wenige Stunden später ging es live, seither ist alles anders. Zumindest in meinem Leben. Wie achtzig Millionen andere Spotify-Nutzer habe ich «Folklore» nur wenige Stunden nach Erscheinen heruntergeladen – und dann versucht zu verstehen, was da eigentlich los ist. Taylor Swift, die Queen of Pop und Pastellfarben, stand plötzlich in übergrosser Kleidung im Wald, sie selbst klein, die Bäume riesig, alles schwarzweiss. 

Ein krasser Bruch. Auf ihren vorherigen Alben war Taylor in Nahaufnahme zu sehen. Ich weiss das, weil ich seit vielen Jahren alles verfolge, was Swift veröffentlicht. Man könnte sagen, ich sei ein Fan, und vermutlich stimmt das auch. «Folklore» allerdings machte mich misstrauisch.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Noch mehr Naturromantik, noch mehr Innerlichkeit?

Ist es wirklich nötig, dachte ich, dass Taylor Swift, ohnehin schon einer der grössten Popstars der Welt, die Zeit des Lockdown für ein neues Album nutzt? Hätte es nicht gereicht, sich mit einem Lied zufriedenzugeben? Kann in so kurzer Zeit etwas Gutes entstehen? Und überhaupt: Noch mehr Naturromantik, noch mehr Innerlichkeit? Reicht es nicht, dass jeder Pilze sammeln geht und Sauerteig züchtet?

Es brauchte allerdings nicht viel, bis Taylor mich überzeugt hatte. Genau genommen brauchte es nur die erste Zeile des ersten Liedes: «I’m doing good, I’m on some new shit / Been saying yes instead of no.» Das erste Mal, dass in einem Taylor-Swift-Song geflucht wird – gebannt schaute ich auf den «Explicit»-Button. Dazu das Versprechen, dass von jetzt an einfach das gemacht wird, was man verdammt noch mal tun will. Nicht schlecht.

Ein Rätsel, das man lösen kann

Zwei zerbrechliche Liebeslieder, kein Gedanke an die knallbunten Break-up-Hymnen von früher. Eine Single-Auskopplung voll mit mystischen Bildsequenzen. Ich und Millionen andere Swifties verstanden das als Aufforderung: Dieses Album ist ein Rätsel, das man lösen kann. Im dritten Song «The Last Great American Dynasty» verrät Taylor den Code. Er liegt, wie sollte es im Lockdown anders sein, in ihrem Zuhause, beziehungsweise: in einem ihrer Häuser. 

Auf Rhode Island kaufte Swift vor sieben Jahren ein Strandhaus mit Geschichte. Dort, wo Taylor vor der Präsidentschaft Donald Trumps jedes Jahr gigantische 4th-of-July-Parties veranstaltete, lebte einst Rebekah Harkness, genannt Betty. Eine Frau, die auch nach heutigen Massstäben ziemlich exzentrisch wirkt – in den 1950er-Jahren, als sie auf Rhode Islands lebte, muss sie eine Art Ausserirdische gewesen sein. Taylor Swift verleiht ihr nicht nur den Titel «the maddest woman this town has ever seen», sondern macht auch klar, wie sehr sie sich selbst in der Tradition von Frauen wie Harkness sieht. «The loudest woman this town has ever seen» – dieser Titel geht an Swift selbst.

Eine Hymne für alle Frauen, die zu Recht wütend sind

Es ist natürlich kein Zufall, dass andere Lieder auf «Folklore» die Geschichte von Rebekah Harkness weitererzählen, allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven. In «Betty» lässt Taylor einen James davon erzählen, wie sehr er seine Jugendfreundin verletzt hat, weil er jung und dumm war, in «Mad Woman» liefert Swift eine Hymne für alle Frauen, die völlig zu Recht wütend sind. Und in «Illicit Affairs» geht es vielleicht um Harkness, die insgesamt viermal verheiratet war – vielleicht aber auch um eine ganz andere Person.

Wichtig ist nur: In der dramatischen Dreiecksgeschichte, die Swift auf «Folklore» immer wieder antippt, kommen nicht nur diejenigen zu Wort, die sich lieben und trotz grosser Enttäuschungen nicht voneinander lassen können. Sondern auch eine Frau, die als heimliche Geliebte fast zugrunde geht. Es ist eine der dramatischsten Stellen des Albums: «And you wanna scream / Don’t call me kid, don’t call me baby / Look at this godforsaken mess that you made me.»

Eine andere Frau gross machen

Es ist dieses Lied, das zeigt, worum es Swift in diesem Album geht: Sie erzählt die Geschichten von anderen Menschen, ganz besonders die von Frauen. Aus deren Perspektive, mit voller Solidarität, manchmal auch voller Bewunderung. Über Betty Harkness gäbe es vieles zu sagen, was wenig positiv ist. Das weiss jeder, der googeln kann. Taylor Swift hat sich entschieden, die positiven Seiten ihrer Vorbesitzerin in den Mittelpunkt zu stellen. Eine andere Frau gross zu machen.

Auch wenn ich befangen bin: Es gibt niemandem, dem es so mühelos gelingt, grosse Geschichten in eingängige Lieder zu verpacken. Ihre Fans lieben Taylor Swift gerade dafür: Weil sie Geschichten erzählt. Und weil sie ihr eigenes Leben stets musikalisch begleitet hat. Manche Ex-Freunde erinnern sich ungern daran. «Folklore» ist das erste Album, in dem Swift nicht nur von sich erzählt. Es ist sanfter, an manchen Stellen vielleicht ein bisschen sehr kuschelig – und es verkauft sich wie verrückt. In guten Geschichten will man sich verlieren. Gerade in diesen Zeiten.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Verträumt – und politisch

Warum das Album trotzdem an der einen oder anderen Stelle verrissen wurde? Ich würde sagen aus Schludrigkeit. Kurz reingehört, alles irgendwie so balladig, dann noch ein Cardigan, den man in Anlehnung an die erste Single kaufen konnte, alles klar: belangloser, kommerzieller Wohlfühlpop. Ein Urteil, das man sich nur erlauben kann, wenn man in Europa lebt und die Bedeutung einer Frau, die seit fast fünfzehn Jahren von sich und anderen Frauen erzählt, immer noch ignoriert. 

Taylor Swift zeigt mit ihrem neuen Album, wie man die Geschichten von Frauen so erzählt, dass die ganze Welt zuhört. Und so verträumt die Lieder an vielen Stellen klingen, so politisch ist die Botschaft dahinter. «I had a marvelous time ruining everything» heisst es am Schluss eines Lieds. Ich kann es gar nicht laut genug mitsingen.