Da hilft nur die Quote: Esther Girsberger über eine gesetzliche Frauenquote
- Text: Esther Girsberger Illustration: Paul Blow
Total unsexy, eine gesetzliche Frauenquote für die Führungsetagen der Unternehmen. Aber wirtschaftlich gewinnbringend, legt unsere Autorin dar. Und so gesehen eben doch – total sexy. annabelle setzt sich für eine zeitlich begrenzte Frauenquote ein und wird die Debatte um die Quote in den nächsten Ausgaben intensiv begleiten.
Total unsexy, eine gesetzliche Frauenquote für die Führungsetagen der Unternehmen. Aber wirtschaftlich gewinnbringend, legt unsere Autorin dar. Und so gesehen eben doch – total sexy.
Es brauchte Mut, sich auf das Inserat in der «Neuen Zürcher Zeitung» zu melden: «Wir suchen redaktionelle Mitarbeiter.» Eine Zeile darunter, in Klammern: «Es darf auch eine Frau sein.» Wie viele Frauen sich bewarben, entzieht sich meiner Kenntnis. Immerhin: Mir bot das Blatt in der Folge ein Volontariat an, das nach drei Monaten in eine feste Anstellung mündete.
Das war vor gut zwanzig Jahren. Heute hat sich einiges geändert. Die NZZ beschäftigt selbst im traditionell männerdominierten Wirtschaftsressort fünf Redaktorinnen. Das entspricht einem Drittel. Die Inserate sind nicht nur bei der NZZ geschlechtsneutral formuliert. Zudem sind einzelne Firmen dazu übergegangen (endlich, ist man versucht zu sagen), Teilzeitmodelle zu entwickeln und Stellen selbst auf oberster Kaderstufe nicht mehr ausschliesslich hundert Prozent auszuschreiben, wodurch sich nun auch erwerbstätige Mütter angesprochen fühlen können.
Frauen in allen Funktionen und Positionen sind nicht mehr nur geduldet, sondern gesucht. Der Geburtenrückgang, die Überalterung der Gesellschaft und der Mangel an Fachkräften lassen nichts anderes zu. Vor allem aber sind Frauen heute gleich gut ausgebildet wie Männer. Seit einigen Jahren schliessen sogar mehr Frauen als Männer ein Hochschulstudium ab. Zudem stellten unverdächtige Untersuchungen wie die Studie «Women Matter» der globalen Unternehmensberaterfirma McKinsey schon 2007 fest, dass Firmen mit mindestens drei Frauen im Topmanagement höhere Renditen erzielten als vergleichbare Unternehmen ohne diesen Anteil.
Zumindest auf dem Papier haben die Arbeitgeber also begriffen, dass sie auf das Potenzial der Frauen nicht verzichten können. Alles andere wäre unternehmerischer und volkswirtschaftlicher Unsinn. Wenn der Staat in lange und teure Ausbildungen investiert und diese hoch qualifizierten Frauen später im unteren oder mittleren Kader versauern, ist das so sinnvoll, wie mit einem Porsche immer nur durch Tempo-30-Zonen zu fahren.
Etwas anders sieht das Ulf Berg, Verwaltungsratspräsident der Ems-Gruppe, der sich im «Schillingreport 2012» wie folgt zitieren lässt: «Wir haben heute ein Verhältnis von 129 Frauen zu 100 Männern an den Universitäten, was bedeutet, dass wir in zwanzig Jahren bedeutend mehr Frauen im Management haben werden, was sich wiederum in dreissig Jahren auf die Boards auswirkt.» Dreissig Jahre? Klingt fast ein wenig nach Sciencefiction.
Doch längst nicht alle Unternehmen wollen gottergeben warten, bis die Frauen eines fernen Tages ganz nach oben geklettert sind: Die Raiffeisen-Gruppe will bis 2015 mindestens dreissig Prozent Frauen im Kader haben. Coop hat bereits eine Quote festgelegt, allerdings ohne Zahlen zu nennen. Die Bundesverwaltung bekennt sich zu einer relativen Quotenregelung, indem «Bewerbungen von Frauen besonders erwünscht sind». Bezeichnenderweise gibt es aber kaum ein börsenkotiertes Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, das sich einer Quote unterzieht. Mit dem wenig erstaunlichen Ergebnis, dass deren Frauenanteil in Verwaltungsräten 10.4 Prozent beträgt, in den Konzernleitungen gar erbärmliche 5.1 Prozent.
Trotz eines gewissen Umdenkens in den Führungsetagen, trotz Förderprogrammen, hehren Absichtserklärungen und freiwilligen Initiativen: Wenn sich in absehbarer Zeit Substanzielles ändern soll, wenn also unsere Unternehmen künftig von den Besten geführt werden sollen, und nicht von den Besten minus die Frauen, dann führt kein Weg daran vorbei, über eine gesetzlich verankerte Frauenquote nachzudenken.
Zugegeben, die Massnahme ist eher rabiat und auch unpopulär – zumindest war sie Letzteres bis vor kurzem. Mittlerweile verlieren aber selbst ehemals dezidierte Quotengegnerinnen wie Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf die Geduld und können dem einst als sozialistisch verschrienen Instrument einer gesetzlichen Quote einiges abgewinnen. «Bis vor ein paar Jahren leuchteten bei mir alle Alarmlichter, wenn über die Einführung einer Frauenquote diskutiert wurde. Mittlerweile bin ich nicht mehr so strikt dagegen», sagte sie letztes Jahr in einem Interview.
Nicht nur nordeuropäische Länder wie Norwegen oder Holland haben Quotengesetze eingeführt. Auch Frankreich tat es vor gut einem Jahr. Bereits hat sich dort der Frauenanteil in den Verwaltungsräten von 12 auf 22 Prozent nahezu verdoppelt. Und in Italien tritt ein Quotengesetz für die Führungsetagen dieser Tage in Kraft (siehe Interview mit Alessia Mosca über das strikte Quotengesetz in ihrem Land). Nun will auch die Europäische Union nachziehen. Schöner als EU-Justizkommissarin Viviane Reding kann man es nicht begründen: «Ich bin kein Fan von Quoten. Aber ich mag die Ergebnisse, die Quoten bringen.»
Je mehr Männer, desto männlicher die Betriebskultur
Mit einem Quotengesetz würde in kürzester Zeit ein wesentlicher Faktor beseitigt, der Frauen in Spitzenpositionen tagtäglich zu schaffen macht: sich als einzige weibliche Vertretung ständig den Regeln und Vorstellungen der Männer anpassen zu müssen. Als ehemalige Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers» und Mitglied der damaligen Konzernleitung von Tamedia hatte ich zur Kenntnis zu nehmen, dass wichtige unternehmerische Entscheide nicht zwingend an den dafür einberufenen Sitzungen diskutiert und gefällt wurden. «Päckchen» wurden schon vorher geschnürt, Absprachen bei einem Bier unter vier (Männer-)Augen getroffen. Als ich in der vermeintlich entscheidenden Konzernleitungssitzung, bei der es um die Lancierung des Boulevardsenders TV3 ging, meine kritischen Einwände anführte, war der Mist längst geführt: Die Männer hatten sich vorgängig untereinander verständigt, der Entscheid zugunsten von TV3 war rasch gefällt.
Erfahrungsgemäss sind Frauen weniger und anders vernetzt als ihre Kollegen. Wenn die Kaderfrau dann auch noch allein im Unternehmen ist, fehlen ihr weibliche Ansprechpersonen und damit ein firmeninternes Netzwerk. Wenig erstaunlich daher, dass Kaderfrauen schneller aus einem Betrieb ausscheiden als ihre männlichen Pendants. Daraus wird gern der Schluss gezogen, die Frau habe halt den Ansprüchen nicht genügt, sei dem Druck nicht gewachsen, den der verantwortungsvolle Posten mit sich bringe, könne und wolle die Machtspiele nicht mitspielen.
Das ist natürlich Unsinn. Selbst wissenschaftlich ist nachgewiesen, dass die Gründe für das Unbehagen weiblicher Kadermitglieder weniger in der Psychologie und dem Charakter der Frau zu suchen, sondern vielmehr strukturell bedingt sind: Je weniger Frauen, desto weniger weibliche Netzwerke. Je mehr Männer, desto männlicher die Betriebskultur.
Die Credit Suisse hat sich diese Einsichten zu Herzen genommen und mit Iris Bohnet eine Wissenschafterin in den Verwaltungsrat geholt, die sich fundiert mit diesen Themen auseinandergesetzt hat. Die Schweizerin ist Dekanin der Harvard Kennedy School und hat viel beachtete Publikationen zum Thema Gender Equality veröffentlicht. In einer ihrer Untersuchungen zum asiatischen und amerikanischen Arbeitsmarkt kommt sie zum Schluss: Die verstärkte Präsenz von Frauen in Unternehmensführungen verändert die Vorstellung von Frauen und Männern darüber, wer für eine bestimmte Kaderposition geeignet ist. Bohnets Fazit: «Chancengleichheit durch Quoten ist eine Lehre, die auch für die europäische Diskussion von Bedeutung sein kann.»
Ein Quotengesetz brächte unter anderem den Vorteil mit sich, dass Frauenförderung nicht mehr an die Diversity-Stabsstelle eines Unternehmens abgeschoben werden kann, sondern als strategisches Ziel im Verwaltungsrat diskutiert und entschieden werden muss. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass Frauenförderung als ernst zu nehmender Wettbewerbsfaktor erkannt wird. Aus dem martialischen War of Talents würde ein Wettbewerb um die Rekrutierung der besten Talente – weibliche und männliche.
Diesem Wettbewerb stellen wir Frauen uns gern. Hingegen haben wir es satt, aufgrund von Äusserlichkeiten beurteilt zu werden: Was trägt sie, mit wem geht sie aus, mit welcher Frisur kommt sie heute daher, was isst sie, hat sie zu- oder abgenommen. Solche Beobachtungen müssen nicht nur Models über sich ergehen lassen, sondern auch Managerinnen. Diese würden es schätzen, wenn künftig nicht mehr ihre Attribute im Vordergrund stünden, sondern ihre Arbeit. Was nur möglich wird, wenn man nicht, wie einst ich, die einzige Kaderfrau im Unternehmen ist und somit eine Exotin, sondern eine unter vielen.
Vieles wurde versucht, um Frauen schneller und zahlreicher in Führungspositionen zu bringen und vor allem auch dort zu halten. Mentoringprogramme, Best-Practice-Vergleiche, firmeneigene Kinderkrippen, Frauennetzwerke wie Get Diversity, die bei der Suche nach Frauen für Verwaltungsräte oder Konzernleitungen behilflich sind, eigene Studiengänge für Wiedereinsteigerinnen oder Umsteigerinnen wie «Woman back to Business» an der Universität St. Gallen. Das sind alles notwendige, aber keine hinreichenden Massnahmen. Wir Frauen beweisen gern, dass wir gut sind. Dafür brauchen wir eine kritische Grösse und deshalb eine gesetzliche Quote. Wenn hoffentlich auch nur vorübergehend: Bis nämlich das Geschlecht in den Führungsetagen unserer Unternehmen keine Rolle mehr spielt, bis weibliche Führungskräfte so selbstverständlich sind wie kinderwagenschiebende Männer.
Esther Girsberger war für Medienunternehmen in führender Position tätig, etwa beim Berner «Bund» und beim «Tages-Anzeiger». Sie ist Moderatorin, Dozentin, Publizistin und Autorin der Bücher «Abgewählt. Frauen an der Macht leben gefährlich» und «Eveline Widmer-Schlumpf. Die Unbeirrbare».
— www.esther-girsberger.ch
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Die Publizistin Esther Girsberger