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Crystal Healing im Selbstversuch

Leben

Crystal Healing im Selbstversuch

  • Text: Katja Schweitzberger; Foto: Carole Smile / Unsplash   Dieser Artikel erschien zuerst bei Refinery29 Germany / Instagram / Facebook

Obwohl Redaktorin Katja Schweitzberger an nichts glaubt, hat sie Crystal Healing ausprobiert und war positiv überrascht.

Es gibt viele Gründe, warum ich bei den Themen Esoterik und Spiritualität sofort in den Schlummermodus wechsle. Der extremste ist wohl die halb verdrängte Erinnerung an den Moment, als unsere Nachbarin einen Ausschlag auf meinem Po nach einem Ferienlagerbesuch an der Ostsee im Garten meiner Eltern auspendeln wollte. Ich war gerade elf und den Vorschlag machte sie vor versammelter Mannschaft beim Geburtstag meines Vaters. Nachdem ich im Boden versunken war, sind die Pusteln eine Woche später dank Zinksalbe verschwunden. So vertraue ich auch heute meistens auf Lösungen aus der Apotheke oder manchmal den mysteriösen Kräften der Selbstheilung. Hallo Psychosomatik!

Doch nachdem mich die Schulmedizin in den vergangenen 32 Jahren an diversen Stellen enttäuscht hat, bin auch ich vor Lifestyle-Trends nicht ganz gefeit. Erst recht nicht, wenn sie so schön aussehen wie Kristalle. Seit fast einem Jahr begegnen mir online wie offline immer wieder Menschen, die auf Steine schwören. Auf Man Repeller wurde das Interesse an Spiritualität einer skeptischen Welt gegenübergestellt. Laut Facttank bezeichnen sich mittlerweile mehr US-Amerikaner*innen als spirituell denn als religiös. Nike van Dinther von This Is Jane Wayne erzählte mir neulich, dass sie ihr Trinkwasser regelmässig mit Bergkristallen auflädt. Mit zwei Freundinnen habe ich nach dem Brunch am Wochenende geschlagene 30 Minuten in einem Steinladen verbracht. Louisa Goltz, die ich für ihren Humor und Stil schätze, arbeitet mit einer Freundin gerade am Launch von Alchemy108, wo es in Zukunft um zeitgenössische Spiritualität gehen soll.

Auf dem Weg zur endgültigen Heilung kommt man momentan also an einigen Steinen vorbei – oder eben nicht. Nachdem ich mich 2016 nach zehn Jahren vom Vegetarismus verabschiedet habe, gehe ich jetzt auch die Sache mit der Gesundheit folgendermassen an: Ich probiere alles mindestens einmal aus. So finde ich mich plötzlich auf der Liege von Kira Sergejew wieder und versuche ganz ruhig zu sein, während sie pendelt, räuchert und Steine auflegt. Danach sind meine Chakren in Einklang. Dass sie das zuvor nicht waren, habe ich zwar nicht direkt bemerkt, trotzdem lerne ich durch die Session viel über den Zustand meines Körpers und Geistes. Meine Hals- und Solarplexuschakren sind verstopft, erklärt mir Kira nach der Behandlung. Insgesamt fühle ich mich danach ruhiger. Ein Zustand, den ich mir zwar auch hervorragend selbst einreden kann, aber ehrlicherweise trotz anderer achtsamer Verhaltensweisen wie Meditation, Atemübungen oder Kiffen selten erreiche.

Als ich das Bild der Crystal-Healing-Session bei Instagram teile, meldet sich eine meiner ältesten Freundinnen zu Wort. Auch sie trägt ab und an Steine mit sich herum, obwohl sie normalerweise genauso wenig spirituell oder gar abergläubisch ist wie ich. «An schlimmen Tagen habe ich ein paar Kristalle in der Tasche» schreibt sie. «Selbst wenn es nicht hilft, kann man sich daran festhalten.» Manchmal benutzt sie sie beim Meditieren. Auch ihr Freund greift hin und wieder zu den heilenden Steinen. Der gemeinsame Sohn liebt vor allem die Farben. Helfen Kristalle da vielleicht einfach nur, weil man wasauchimmer in sie hineinlegen kann? Weil man als Atheist/Realist/Nihilist/Generation Whatever an irgendetwas glauben möchte? Damit wären Kristalle nichts anderes als ein Placebo, dem man genauso jeglichen Effekt zuschieben kann.

Was auch immer es mit den Kristallen auf sich haben mag, ganz wollen sie mich nicht loslassen. Letztlich war es Kiras letzte Frage, die mich stutzig gemacht hat. Kurz bevor ich mich auf den Weg zum 60. Geburtstag meines Vaters in die Heimat gemacht habe, fragte sie mich nach meiner Beziehung zu meiner Oma. So eine hat natürlich fast jeder. Dennoch spielte die Mutter meines Vaters eine prägende Rolle in meiner Erziehung. Mittlerweile ist sie leider auf Pflege angewiesen und kann an der Geburtstagsparty nicht teilnehmen. Die Erinnerungen an gemeinsame Urlaube und intensive Gespräche lassen die Vorfreude auf den Heimatbesuch ansteigen. Ausserdem erinnern sie mich an eine Kette meiner Oma mit einem blauen Stein. So einer ist auch der Chalcedon, den Kira bei mir verwendet hat.

«Den benutze ich nur sehr selten», sagt sie nach der Session zu mir. Der Stein soll die rhetorischen Fähigkeiten stärken und den Hals schützen. Ausserdem soll er innere Ruhe schenken, mehr Aufmerksamkeit geben, das Durchsetzungsvermögen steigern und auf Situationsveränderungen besser reagieren lassen. Diese Effekte nehme ich gerne mit nach Hause. Die Kette meiner Oma, die ich jetzt wieder trage, wird mich daran erinnern.