Die Ehe soll für immer sein. Aber wie weiss man, ob einem dieses Immer nicht irgendwann zu lang wird? Ein amerikanisches Paar hat seine Beziehung deshalb einem 40-Punkte-Härtetest unterzogen. Der Paartherapeut meint: Zur Nachahmung empfohlen. Jedoch nur bedingt.
Frischverliebte sind in etwa so zurechnungsfähig wie Frischbetrunkene. Nach ein paar Monaten legt sich die Aufregung. Macken kommen zum Vorschein. Und dann meldet sich auch der Verstand zurück: Ist das wirklich die Person, mit der man sein Leben verbringen will? Es heisst ja immer: Wenn es der oder die Richtige ist, merkt man es ganz von selbst. Sagt sich so leicht, stimmt aber selten. Das wurde auch den Amerikanern Jill Andres und Brook Silva-Braga klar, als sie übers Heiraten nachdachten. Die beiden hatten sich nach einer Trennung wieder zusammengerauft, fest entschlossen, diesmal alles besser zu machen. Aber, schreibt Brook im gemeinsamen Buch «The Marriage Test», «wie gut muss es denn mindestens sein, damit man sich bedenkenlos für immer aneinander binden kann»? Den beiden war klar: Was für eine Beziehung zur Belastung wird, zeigt sich erst, wenn man die Konten zusammenlegt, ein Haus baut, Kinder in die Welt setzt – und dann ist Umentscheiden schwierig bis unmöglich. Wer heiratet, hofft einfach, dass die Liebe es aushält. Wissen kann man das vorher schliesslich nicht. Oder doch? Diese Frage brachte Jill und Brook auf eine schräge Idee. Sie beschlossen, ihre Beziehungstauglichkeit zu prüfen – auf die harte Tour. Gemeinsam mit Familie und Freunden tüftelten die beiden vierzig Situationen aus, die ein Paar unter Druck setzen können: Sie beobachteten sich gegenseitig beim Flirten, tauschten erst ihre Handys und dann ihre Kreditkarten, führten Buch über ihr Sexualleben, liehen sich von Freunden ein Kleinkind und ketteten sich einen Tag aneinander. Für das Paar stand fest: Erst wenn alle Härtetests abgearbeitet sind, heiraten wir. Sofern wir dann noch zusammen sind. Zehn ihrer Testpunkte haben wir von Guy Bodenmann, Paarforscher und Paartherapeut an der Universität Zürich und Autor des Buchs «Bevor der Stress uns scheidet», auf einer Eignungsskala von 1 bis 5 einordnen lassen: Zum Nachahmen. Seinlassen. Oder einfach Drübernachdenken.
Fremdflirten
Der Test: Sich das Ja-Wort zu geben, bedeutet normalerweise, zu Sex mit anderen Nein zu sagen. Jill Andres und Brook Silva-Braga stellten ihre Widerstandskraft auf die Probe. Sie gingen getrennt voneinander zum selben Speeddating-Event – und beobachteten sich selbst und den anderen beim Flirten.
Voraussetzung: Klare Absprache, was erlaubt ist. Idealerweise keinen weiteren Kontakt mit den Personen, die man beim Speeddating kennen gelernt hat.
So liefs für die Autoren: Erwartbar. Während Jill unter den anwesenden Männern keine wirkliche Alternative zu ihrem Lebensgefährten ausmachen konnte, liess Brook sich in einen Flirt mit einer «sexy Wissenschafterin» verwickeln. Jill kämpfte mit ihrer Eifersucht, Brook mit seinem unbefriedigten Ego.
Das sagt der Psychologe: «Eifersucht gehört zu den zentralen Themen in Partnerschaften. Man wünscht sich Treue und persönliche Exklusivität vom Partner. Daher sollte man dieses Thema früh miteinander besprechen und klare Regeln aufstellen, bis wohin Flirten des anderen für einen in Ordnung ist. Bezüglich späterer Treue ist der Test allerdings wenig aussagekräftig. Zu Beginn ist Untreue seltener, das Risiko steigt erst mit zunehmender Partnerschaftsdauer.»
Eignungsgrad: ❤❤
Smartphone tauschen
Der Test: Wer es schon nicht leiden kann, wenn ihm jemand beim SMS-Tippen über die Schulter schaut, wird hier echte Probleme haben. Für 48 Stunden tauschten die Autoren ihre Smartphones. Beide hatten damit Zugriff auf die E-Mails, SMS, Twitter- und Facebook-Nachrichten des anderen. Und das nicht nur als Leser: Jill beantwortete auch alle eingehenden Nachrichten für Brook und umgekehrt.
Voraussetzung: Regeln aufstellen, was der andere sich anschauen (und beantworten) darf – und sich daran halten! Wenn zum Beispiel nur Nachrichten freigegeben sind, die ab Beginn der Beziehung empfangen und versandt wurden, sollte man nicht in SMS stöbern, die der Partner in den Wochen vor dem Kennenlernen verschickt hat.
So liefs für die Autoren: Brook empfand den Test als Chance, seiner Partnerin zu zeigen, «dass ich nichts zu verbergen habe». Die Mails zu lesen, die Jill in der Trennungsphase mit anderen Männern gewechselt hatte, traf ihn härter als erwartet. Auch für sie war der Tausch unangenehm. Nicht weil es in seinem Handy viel Kompromittierendes zu entdecken gab. Mehr wegen der offensichtlichen Neugier, mit der Brook in ihrem las.
Das sagt der Psychologe: «Vertrauen versus Misstrauen ist ein weiteres wichtiges Thema. Auch hier gilt es, klare Absprachen zu treffen und dem anderen mitzuteilen, was man von ihm oder ihr an Sicherheitssignalen benötigt, um sich in der Beziehung wohlzufühlen. Es geht hier aber auch um Intimität und Nähe versus Abgrenzung und Privatheit. Diese Komfortzone muss für beide in der Beziehung immer wieder aufs Neue bestimmt werden.»
Eignungsgrad: ❤❤❤
Ehemaligentreffen
Der Test: Wer könnte besser über die Beziehungstauglichkeit eines Menschen urteilen als seine Verflossenen? Um mehr übereinander zu erfahren, traf sich das Paar erst mit Jills Ex-Freund, dann mit Brooks Ex-Freundin zum gemeinsamen Mittagessen.
Voraussetzung: Alle Beteiligten sollten wissen, worauf sie sich einlassen – und ihren Ex-Partnern nicht mehr nachtrauern. Ein grosses Dankeschön an den und die Ex ist selbstverständlich. Dass man die Essensrechnung übernimmt, auch.
So liefs für die Autoren: Beim Treffen mit Jills Ex zeigte sich, wie ähnlich sich die beiden Männer sehen. In Sachen Temperament konnte Brook jedoch nicht mithalten. Er fühlte sich aussen vor. Seine Ex wiederum nutzte die Chance, sich bei der Neuen über Brooks Bindungsunwillen auszulassen. Für alle Beteiligten ein eher mieses Date.
Das sagt der Psychologe: «Von diesem Test würde ich abraten. Es gilt, hinter die Vergangenheit einen klaren Schlussstrich zu ziehen und Beziehungen zu Ex-Partnern ruhen zu lassen. Nur so kann die neue Partnerschaft unbeschwert unter einem neuen Stern beginnen. Zudem bringt jeder Mensch beim Partner andere Saiten zum Klingen, sodass man keine Schlüsse aus den früheren Beziehungserfahrungen für die neue Partnerschaft ziehen sollte.»
Eignungsgrad: ❤
Geldstress
Der Test: Krankheit, Kinder oder Jobverlust können dazu führen, dass einem Paar das Geld ausgeht. Plötzlich gerät man sich beim Wocheneinkauf in die Haare oder bei der Telefonrechnung. Die Autoren machten den Finanztest: Erst rechneten sie ihre monatlichen Ausgaben zusammen. Dann zwangen sie sich, dreissig Tage lang mit der Hälfte auszukommen.
Voraussetzung: Auszurechnen, wie viel man im Monat so ausgibt, kann einige Stunden in Anspruch nehmen – und zu heiklen Diskussionen führen. Die Autoren empfehlen, Posten wie Miete oder Versicherungen nicht zu berücksichtigen, um die Bedingungen nicht überzustrapazieren. Wer wie viel vom verbliebenen Budget verwalten darf, muss jedes Paar für sich entscheiden.
So liefs für die Autoren: Ist es okay, heute essen zu gehen? Was bringen wir als Gastgeschenk zur Party mit? Sich mit solchen Fragen beschäftigen zu müssen, nervte die beiden mehr als erwartet. Für manche fanden sie unorthodoxe Lösungen – wie die mit Wasser aufgefüllte Wodkaflasche als Mitbringsel –, aber die Einschränkungen setzten ihnen ziemlich zu.
Das sagt der Psychologe: «Finanzen gehören zu den grössten Konfliktthemen. Einen Monat lang können Paare diesen Druck relativ unbeschadet überstehen. Hält die Situation länger an, wird der finanzielle Stress chronisch und damit beziehungsrelevant.»
Eignungsgrad: ❤❤❤
Schlafentzug
Der Test: Eine Woche Schlafentzug. Wie sonst sollen Kinderlose nachempfinden, was junge Eltern so durchmachen? Bei Jill und Brook klingelte der Wecker alle drei Stunden. Bevor derjenige, der «Babydienst» hatte, sich wieder hinlegen durfte, musste er eine Aufgabe erfüllen: das «Baby» zehn Minuten herumtragen. Milch besorgen. Wäsche waschen. Essen kochen. Als Platzhalter für das «Baby» diente eine Melone.
Voraussetzung: Diesen Test auf die Ferien verlegen! Die nächtlichen Aufgaben schreibt man vorher auf Zettel. Dann entscheidet alle drei Stunden das Los, was zu tun ist. Die Autoren empfehlen, auch einige Aufträge darunterzumischen, für die beide aufstehen müssen. Schliesslich ist es das gemeinsame Kind.
So liefs für die Autoren: Brook kam mit der «Vaterrolle» gut klar – als Freiberufler hatte er mehr Spielraum. Für Jill waren die kurzen Nächte und ihr Job nicht zu vereinen. Sie stand gegen Ende des Tests einfach nicht mehr auf.
Das sagt der Psychologe: «Der Familienzuwachs strapaziert Paare stark. Die Konflikthäufigkeit verneunfacht sich, und dreissig Prozent der Paare erleben einen Tiefpunkt in ihrer Beziehung, von dem sie sich nicht mehr erholen. Schlafmangel, neue Rollenverteilung, Zeitmangel und zum Erliegen gekommene Sexualität setzen dem Paar zu. Der Test ist jedoch mit Vorsicht zu geniessen. Die effektiven schwangerschafts-, geburts- und kindsbedingten Veränderungen lassen sich mit dem Melonentest nicht annähernd nacherleben.»
Eignungsgrad: ❤❤❤
Berühren verboten
Der Test: Berühren verboten – und das eine ganze Woche lang. Bei Paaren, die sich ständig beiläufig anfassen, könne das eine ganz neue Dynamik in die Beziehung bringen, hofften die Autoren.
Voraussetzung: Ein grosses Bett. Oder eine Kissenbarriere.
So liefs für die Autoren: Statt ihre Lust aufeinander anzuheizen, erschwerte die Kontaktsperre erst mal ihre Kommunikation: Sie zofften sich. Den Streit ohne Berührungen beizulegen, fiel ihnen schwer. Am Ende der Woche gab es dafür tollen Versöhnungssex.
Das sagt der Psychologe: «Zärtlichkeit, Berührungen und Körperkontakt (Hände halten, sich umarmen) sind wichtige Elemente eines liebevollen Umgangs miteinander. Allerdings sollten diese Berührungen nicht floskelhaft und oberflächlich sein, sondern Zeichen der Zuneigung, Liebe und Verbundenheit. Zu spüren, wie es ist, wenn diese fehlen, kann dem Paar aufzeigen, wie sehr es sich darum bemühen muss, im Alltag auch längerfristig positiv zueinander zu sein.»
Eignungsgrad: ❤❤❤❤
Dauersex
Der Test: In der Anfangsphase einer Liebesbeziehung steht Sex auf der Prioritätenliste ganz, ganz weit oben. Beim Picknick im Stadtpark? Zu Besuch bei den Schwiegereltern? Aber klar doch! Das ändert sich mit den Jahren. Jill und Brook versuchten dem entgegenzuwirken, indem sie sich eine Woche lang täglich zum Sex verabredeten. Und zwar zu möglichst abwechslungsreichem.
Voraussetzung: Alles ist überall erlaubt – im Freien, auf dem Autorücksitz, in der Badewanne –, aber nichts zweimal. Wer Sorge hat, im Lauf der Woche könnten die Ideen knapp werden, legt vorab eine Wunschliste an oder lässt das Los entscheiden. Hilfestellung können auch Sexratgeber oder Pornofilme geben.
So liefs für die Autoren: Super!
Das sagt der Psychologe: «Eine lebendige Sexualität gehört zu den wichtigen Pfeilern einer zufriedenstellenden Partnerschaft. Es gilt, die Sexualität zu pflegen, da sie im Verlauf der Zeit erlahmt und bei vielen Paaren ganz einschläft. Regelmässig eingeplanter Sex hilft, der Sexualität ihren Platz zu bewahren und so den Fuss in der Tür zu halten für kreativen, spontanen Sex.»
Eignungsgrad: ❤❤❤❤❤
Double-Date
Der Test: Störend sind immer nur die Macken des anderen. Aber wie sieht es mit den eigenen aus? Um einen objektiveren Blick zu bekommen, holten sich Jill und Brook zwei Freunde als Doubles. Diese sollten das Paar in verschiedenen Situationen spielen. Die Autoren durften nicht eingreifen. Nur zuschauen.
Voraussetzung: Ein ruhiger Ort und mindestens eine Stunde Zeit. Nachgeahmt zu werden, ist den meisten Menschen unangenehm. Egal, wie sich die Freunde geben: nicht hinterherschmollen!
So liefs für die Autoren: Die dominantere Jill wurde unverhofft zur Zielscheibe. Nicht gut für die Beziehung – und auch nicht für die Freundschaft.
Das sagt der Psychologe: «Den Spiegel vorgehalten zu bekommen, ermöglicht es, eigene Macken und unangenehme Umgangsweisen mit dem Partner zu erkennen. Wenn schauspielerisch begabte Freunde zur Verfügung stehen, ist das toll. Ansonsten reicht es auch, ein Konfliktgespräch auf Video aufzunehmen und sich gemeinsam anzusehen. Jeder mit der Aufgabe, bei sich zu prüfen, was er hätte besser machen können.»
Eignungsgrad: ❤❤❤
Redezeit
Der Test: Wer frisch verliebt ist, will nicht über Scheidung nachdenken. Und wer gesund ist, nicht über Krankheit und Tod. Sich damit auseinanderzusetzen, gehört jedoch zur Partnerschaft dazu. Jill und Brook nahmen sich einen Nachmittag Zeit, um unbequeme Fragen zu klären: Wollen wir einen Ehevertrag? Organspenden? Und wen aus unserer Familie wollen wir finanziell unterstützen, wenn es nötig sein sollte?
Voraussetzung: Sich auf das Gespräch vorbereiten und sich mindestens dreissig Minuten Zeit für jedes Thema nehmen. Sogenannte Vorsorgemappen enthalten Vordrucke für Patientenverfügung und Vollmachten, die man gemeinsam ausfüllen kann.
So liefs für die Autoren: Beide lernten durch die Gespräche Dinge übereinander, die sie vorher nicht wussten. Hilfreich!
Das sagt der Psychologe: «Die Kommunikation gehört zu den Schlüsselkompetenzen in einer glücklichen und stabilen Partnerschaft. Es geht allerdings nicht darum, Fakten auszutauschen, sondern sich emotional zu begegnen, das heisst, von sich, seinen Gefühlen, Wünschen, Bedürfnissen und Zielen zu erzählen und den Partner über diese immer wieder upzudaten. Bei Konflikten müssen beide ihre Sichtweise einbringen können, beide Raum erhalten und beide zuhören und den anderen zu verstehen versuchen. Dies gelingt, indem keine Vorwürfe gemacht werden, sondern man konkret anhand eines Beispiels erzählt, warum einem diese Situation Mühe macht.»
Eignungsgrad: ❤❤❤❤❤
Du bist dran
Der Test: Alles wäre so toll – wenn der Partner nur endlich mal … Für jeweils einen Tag durfte einer die Kontrolle über den anderen übernehmen: Erst gab Jill vom Frühstück bis zum abendlichen Zähneputzen die Anweisungen, und Brook musste sich entsprechend verhalten. Am nächsten Tag kehrte er den Spiess um.
Voraussetzung: Offen sein für die Ansagen des «Chefs». Nicht mogeln. Und keine Retourkutschen! Wer die Rache seines Partners fürchtet, sollte beide Tagespläne vorab schriftlich festhalten.
So liefs für die Autoren: Er gab mehr und konkretere Anweisungen als sie. Für Jill eine ungewohnte Situation. Aber keine unangenehme.
Das sagt der Psychologe: «Statt Anweisungen und Direktiven durchzugeben, wäre es günstiger, sich gemeinsam im Gespräch auf eine faire Rollenverteilung zu einigen und sich um ein konstruktives Miteinander zu bemühen. Der Test sollte allerdings nicht nur beinhalten, wer was tut, sondern auch, dass die Verantwortung für die vom Partner übernommenen Bereiche auch von diesem getragen werden und der andere sich entsprechend nicht einmischt.»
Eignungsgrad: ❤❤❤
— Dreissig weitere Tests finden Sie im Buch «The Marriage Test. Our 40 Dates Before ‹I Do›» (englisch, Berkley Books, ca. 20 Franken) von Jill Andres und Brook Silva-Braga und auf themarriagetestbook.com Guy Bodenmann: Bevor der Stress uns scheidet. Hogrefe, Bern/Göttingen 2015, 272 Seiten, ca. 34 Franken
1.
Fremdflirten? «Eifersucht gehört zu den zentralen Themen in Partnerschaften.»
2.
«Ist es okay, heute essen zu gehen?» Sich mit Geldfragen zu beschäftigen, nervte die beiden Autoren mehr als erwartet.
3.
Für einen Tag durfte der Partner die Kontrolle über den anderen übernehmen – ob das gut geht?