Leben in New York ist auch nicht mehr das, was es mal war. Findet jedenfalls Chris Noth, besser bekannt als Mister Big aus «Sex and the City». Der Schauspieler über Falten, Fitbleiben und seinen Wohnort, der sich in den letzten Jahren stark verändert hat.
Chris Noth schmettert den Satz geradezu auf den Tisch: «Das ganze Shoppen, Manolo Blahnik, die ‹Sex and the City›-Tours, hören Sie mir bloss auf damit. Alles Mist!» Zur Erinnerung: Chris Noth wurde dank «Sex and the City» welt-berühmt: Er spielte Mister Big, einen erfolgsverwöhnten Geschäftsmann, der private Schwierigkeiten mit einem Martini und einem coolen Spruch löst und seine Herzdame Carrie (Sarah Jessica Parker) im Regen stehen lässt, sobald sie einen Schlüssel zu seinem Luxusapartment und seinem Herzen will. Mister Big eroberte Frauenherzen auf der ganzen Welt. Männer wollten «absofuckelutely» sein wie dieser Macho alter Schule. Die Serie drückte ihren Stars einen Stempel auf, und sie machte New York zum Mekka des Hedonismus, in dem Frauen in Highheels über Liebe und Freundschaft sinnieren. Und shoppen gehen, wenn der Traumprinz nicht angaloppiert kommt. So weit, so ärgerlich für Chris Noth.
Der Schauspieler sitzt im Restaurant eines Londoner Luxushotels und beginnt das Gespräch entspannt mit dem Thema Alter. Der 56-Jährige ist vor drei Jahren zum ersten Mal Vater geworden und mit der dreissig Jahre jüngeren Kollegin Tara Lynn Wilson liiert. Ausserdem amtet er seit gut einem Jahr als Botschafter von Biotherm Homme. Auf den Kampagnenfotos der Kosmetikmarke sieht er genauso blendend aus wie in natura: ein gross gewachsener Mann mit grauen Schläfen, buschigen Augenbrauen und Abenteuerlust im Blick. Er schiebt das Kompliment mit einem kernigen Lachen von sich weg. «Heute wäre ein schlechter Tag, um für Kosmetik zu werben», sagt er. Und zieht einen Roll-on-Stift seines Auftraggebers aus der Hosentasche, einen Feuchtigkeitsspender, der müde Augen unterwegs wieder munter machen soll. «Aber vielleicht hält mich ja das hier frisch. Das Zeug ist wirklich gut.»
annabelle: Chris Noth, sind Sie eitel?
Jedenfalls bin ich botoxfrei und habe keine Angst vor Falten. Klar, ist es wichtig, einen frischen Teint zu haben. Aber ich will nicht mit 56 wie ein verdammtes Baby aussehen. Ich habe gelebt.
Dann haben Sie nichts gegen das Alter einzuwenden?
Nur wenn ich mir vorstelle, krank und schwach zu werden. Und was alles andere angeht: Keine Crème kann das Alter stoppen, egal, was dir die Werbung erzählt.
Bleibt also nur, entspannt in die Jahre zu kommen?
Ja, daran muss man allerdings in unserer Gesellschaft hart arbeiten, denn es ist ja fast schon ein Verbrechen, alt zu sein. Ich fühle mich jedenfalls nicht alt, auch wenn ich schon in den Fünfzigern bin. Liegt wohl auch daran, dass ich noch dieselben Ambitionen habe wie vor zwanzig Jahren.
Nämlich?
Grosse Rollen auf der Bühne zu spielen. Ich bewundere Edmund Kean und Laurence Olivier, niemand interpretierte Shakespeare so überzeugend. Ich möchte Filme produzieren, die Welt sehen, meinen Sohn Orion erziehen. Also muss ich in Form bleiben, hebe Gewichte, spiele Basket- und Softball. Und ich versuche mich in Yoga.
Mister Big und Yoga?
Ja. Sting macht es jeden Tag und sieht aus wie eine Million Dollar. Um für den Film «Sex and the City 2» fit zu sein, bin ich sogar in ein Yogacamp nach Brasilien geflogen, habe Gemüse und Früchte gegessen, bin um halb sechs aufgestanden, um Kajak zu fahren und zu wandern.
Der Schauspieler lehnt sich in seiner Sitzbank zurück und breitet die Arme weit aus. Seine Stimme hat etwas Schleppendes, gleichzeitig grinst er wie ein Bub und behält sein Gegenüber immer fest im Blick.
Bereiten Sie sich immer so gewissenhaft auf Filme vor?
Nein. Aber das Leben in New York ist anstrengend, du gehst aus, trinkst. Man kann in dieser Stadt sehr schnell schlechte Angewohnheiten entwickeln.
Warum ziehen Sie dann nicht weg?
Wegen meiner Jobs. Aber ich habe ein Haus in Los Angeles gekauft, wo mein Sohn lebt.
Soll er nicht in New York aufwachsen?
Nein, für ein kleines Kind ist die Stadt zu voll. Und sie hat sich verändert. Als ich 1978 ankam, um Schauspieler zu werden, musste ich zwar hart kämpfen und Stein fressen, um zu überleben. Aber die Stadt hat mich aufgefangen wie ein Kissen. Heute dreht sich alles nur noch um den Kommerz.
«Sex and the City» hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Stadt als Mekka des Hedonismus wahrgenommen wird.
Das wäre sowieso passiert. Aber es hat sicher nicht geholfen, dass nun so viele Leute New York mit dem Lifestyle aus «Sex and the City» gleichsetzen. Manhattan war mal ein Meltingpot. Nun gibt es nur noch Upper-Class-Kids, Touristen und die Wallstreet. Künstler können sich das Leben dort nicht mehr leisten. Alle paar Hundert Meter kommst du an denselben Laden- und Restaurantketten vorbei. Den Musikclub The Cutting Room, den ich mit ein paar Kumpels vor ein paar Jahren eröffnet habe, mussten wir schliessen, weil ein raffgieriger Besitzer die Miete vervierfacht hat. Es gibt in dieser Stadt keinen Zusammenhalt mehr.
Mochten Sie die Rolle des Mister Big?
Klar, aber ich mag viele Rollen. Ich habe Mister Big gespielt, um von der Rolle des Detective Mike Logan in «Law & Order» wegzukommen. Nun bin ich Mister Big.
Klingt ein bisschen frustriert.
Es ist doch so: In den guten Kinofilmen spielen immer wieder die zehn gleichen Schauspieler die Hauptrolle. Und ich bekomme die Rollen nicht, weil ich Mister Big bin.
«Sex and the City» hat doch aber auch Massstäbe gesetzt: Die Serie hat unabhängige Single-Frauen porträtiert, die sich nehmen, was sie wollen. Ein Privileg, das lange Männern vorbehalten war.
Das stimmt schon. Am Anfang haben wir mit der Serie Pionierarbeit geleistet. Und darauf bin ich stolz. Das Drehbuch, die Dialoge, die Leistung der Schauspieler, das finde ich alles super. Aber mit der Zeit haben die Zuschauer mehr auf die Labels als auf die Charaktere geachtet. Gehen Sie heute mal in den Meatpacking District, das ehemalige Schlachterviertel, mit all seinen überteuerten Läden, in denen Frauen mit verklärtem Blick nach Carries Look shoppen. Davon wird mir schlecht. Diese Leute sollten sich um ihr eigenes echtes Leben kümmern. Es gibt genug Probleme auf der Welt und in diesem Land, denken Sie nur an die Tea Party.
Irgendwann war die Wirkung der Serie doch auch abzusehen. Warum haben Sie trotzdem sieben Jahre mitgespielt?
Es ist ein Job. Und ich bin wohl bis zum Schluss davon ausgegangen, dass die Leute gute Unterhaltung wollen und nicht den Lifestyle von Carrie und Co. Nehmen wir doch einmal «Mad Men», die derzeit beste Fernsehserie: Ziemlich gute Mode, aus der Zeit meines Vaters, ein grossartiges Setting, die Leute rauchen Kette. Aber das muss doch nicht heissen, dass ich auch zum Kettenraucher werde.
Verstehen Sie sich privat eigentlich gut mit Ihrer Filmpartnerin Sarah Jessica Parker?
Ja, sehr. Sie ist eine smarte, wunderbare Lady mit einem sicheren Geschmack und viel Humor. Wenn wir nicht zusammen arbeiten, sehen wir uns kaum. Aber wenn wir wieder drehen, ist es, als wären wir nie getrennt gewesen.
Chris Noth, der Sohn der ehemaligen CBS-Reporterin Jeanne Parr, reiste schon als Kind um die Welt, lebte in Spanien, Jugoslawien und England. Er studierte Literatur, bevor er sich für den Beruf des Schauspielers entschied. Nicht weil seine Mutter ihm die Welt der Kameras nähergebracht habe, sagt er. Sondern weil sie ihm geraten habe, einen Beruf zu wählen, den er mit Leidenschaft ausübe. Nach einer Reihe seichter Filme wie «Baby Boom» und «The Perfect Man» sorgte Chris Noth im letzten Jahr am Broadway mit «That Championship Season» neben Kiefer Sutherland für Aufsehen. Für die Verkörperung eines korrupten Staatsanwaltes in der TV-Serie «The Good Wife» wurde er für den Grammy nominiert.
Hätten Sie gedacht, dass Sie mit 53 noch Vater werden?
Nein, das kam aus dem Universum wie ein Geschenk. Ich hatte Angst davor und habe es noch. Ich bin ehrgeizig, ein wenig rastlos, immer unterwegs, ein Zigeuner.
Hat sich Ihr Leben durch die Geburt Ihres Sohnes nicht auch verändert?
Doch. Ich nehme Jobs an, die ich sonst nicht annehmen würde. Schliesslich muss ich Geld für seine College-Ausbildung sparen.
Das dürfte wohl etwas übertrieben sein.
Schön wärs. Ich habe Erfolg gehabt. Aber auch viel riskiert und Geld verloren. Nun ist es für mich das Wichtigste, für meine Familie zu sorgen.
Würden Sie, um Ihrem Sohn das College zu bezahlen, auch in einem dritten «Sex and the City»-Film mitspielen?
Warum sollte ich nicht? Das Label des Mister Big habe ich nun sowieso schon. Ich bin dankbar für meinen Erfolg am Fernsehen. Aber die Rolle, auf die ich richtig stolz sein kann, habe ich noch nicht gespielt.