Leben
Carey Mulligan über ihre Rolle in «Suffragette»
- Redaktion: Miriam Suter; Interview: Lex Martin / The Interview People
Im Film «Suffragette» kämpft Carey Mulligan für Frauenrechte in Grossbritannien. Im Interview erzählt sie, wie sie als Frau die Filmbranche erlebt und welche Frauen sie besonders inspirieren.
Lex Martin: Carey, inwiefern ist der Film «Suffragette» auch heute noch aktuell?
CAREY MULLIGAN: Obwohl die Geschichte, die der Film erzählt, 100 Jahre her ist, kämpfen wir auch heute noch mit sehr ähnlichen Problemen: Noch immer hat die Stimme der Frau nicht überall den gleichen Wert wie die des Mannes. Ich denke zwar, wir sind auf einem guten Weg, aber in so vielen Ländern werden Frauen noch immer entsetzlich behandelt. Die Lücke zwischen den Geschlechtern ist noch immer wahnsinnig gross. Und obwohl die Thematik auch heute noch so aktuell ist, hat es 100 Jahre gedauert, bis jemand einen Film darüber gemacht hat. Das spricht ja auch für sich. Über das Boston Bombing beispielsweise gab es zwei Jahre später einen Film. Die Filmindustrie produziert unzählige Filme über Themen, die Männer betreffen. Aber um einen Film über die Frauenbewegung in Grossbritannien zu machen, mussten 100 Jahre vergehen. Das ist schon irgendwie erstaunlich.
Mit welchen weiblichen Rollenbildern sind Sie aufgewachsen?
Meine Vorbilder sind meine Mutter und meine Grossmutter: Beide sehr starke Frauen. Meine Mutter hat gearbeitet, bis sie mich und meinen Bruder bekommen hat, und hat wieder angefangen, als wir Teenager waren. Ich hatte also beides: Eine Mutter, die zuhause war und später eine Mutter, die arbeitet. Meine Grossmutter war gebildet, sie war Lehrerin und eine der ersten Frauen, die an eine Universität gegangen sind. Das war in den 40er-Jahren in Wales sehr ungewöhnlich für eine Frau. Ich bin also in einer Familie aufgewachsen, in der Bildung sehr wichtig ist. Auch mein Grossvater war Lehrer. Ich würde aber nicht sagen, dass ich in einem feministischen Umfeld aufgewachsen bin. Ich wusste damals nicht einmal, was das ist. In der Schule war Feminismus auch nie ein Thema. Das war auch einer der Gründe, warum ich unbedingt in «Suffragette» mitspielen wollte: Vieles über die Frauenbewegung in Grossbritannien wusste ich schlichtweg nicht. Zum Beispiel, dass Frauen verhaftet wurden, weil sie für ihre Rechte demonstrierten. Oder dass diese Frauen dann in den Hungerstreik traten. Das war alles so aufregend für mich, ich habe als Vorbereitung für meine Rolle auch die Tagebücher dieser Frauen gelesen, die sie im Gefängnis geschrieben haben. Von der Zwangsernährung – eine Suffragette wurde 252 Mal zwangsernährt – von der unglaublichen Polizeigewalt. Dass ich von alldem nichts wusste, hat mich selber überrascht.
Welche weiblichen Idole – neben Ihrer Mutter und Ihrer Grossmutter – haben Sie sonst noch beeinflusst?
Judi Dench war und ist mein Vorbild, was mein Leben und meine Arbeit angeht. Ich finde es inspirierend, wie diszipliniert sie ist und sich auch um Dinge ausserhalb ihrer eigenen Welt kümmert.
Haben Sie selbst Erfahrungen gemacht mit der Ungleichheit der Geschlechter in der Filmindustrie?
Ich hatte bisher zwar grosses Glück, konnte mit tollen Leuten zusammenarbeiten und vor allem interessante weibliche Charaktere spielen. Aber ich musste auf diese Angebote warten, es gibt nicht viele davon. Offensichtlich sind gut geschriebene Rollen für Frauen Mangelware. Es gibt sie zwar, aber ich musste am Set auch schon dafür kämpfen, dass meine Rolle stark bleibt.
Wie genau?
Als Schauspielerin habe ich oft keinen Einfluss auf das Drehbuch. Das mag bei grossen Filmstars anders sein. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn sich eine weibliche Rolle während dem Drehprozess nochmals verändert, die Stärke und die Unversehrtheit der Frau als erstes weggestrichen wird – im Gegensatz zu der des männlichen Parts. Und ich versuche dann, dagegen anzukämpfen, dass bestimmte Sätze oder Szenen, die die Stärke meiner Figur zeigen, weggestrichen werden. Ich empfinde das nicht als offenen Sexismus, sondern eher unterschwellig. Aber er findet auf jeden Fall statt: Wir erzählen lieber die Geschichte des Mannes als die der Frau.
Das scheint sich zwar zu ändern. Es gibt mehr und mehr starke weibliche Rollen in Kinofilmen.
Das stimmt. Aber dabei geht’s vor allem um Geld. Filme wie «Bridesmaids», die viel Geld eingespielt haben, haben den Weg geebnet. Die Investoren der Filmindustrie haben gemerkt, dass da etwas zu holen ist, dass man mit Jennifer Lawrence viel Kohle einspielen kann. Also werden mehr Filme mit ihr in der Hauptrolle gemacht. Es geht nur ums Geschäft und das dreht sich nach wie vor um Männer.
Wie beeinflusst Sie das als Schauspielerin?
Als ich jünger war, hatte ich eher Mühe. Je älter ich aber werde, umso besser gefalle ich mir in der sturen Rolle und es fällt mir leichter, mich für Dinge einzusetzen, die meiner Meinung nach wichtig sind für den Film. Aber es ist schon angenehmer, wenn man das nicht tun muss. Am Set von «Suffragette» musste ich um nichts kämpfen. Das war ein sehr, sehr offener Dreh und wir haben viel zusammen diskutiert. Jede Meinung wurde angehört und hatte Gewicht. Dadurch, dass ich aber immer wieder für meine Meinung einstehen muss, bin ich auch stärker geworden.
Wie haben Sie gelernt, sich am Set durchzusetzen?
Ich schäme mich nicht für meine Meinung. Am Set des Films «Far from the Madding Crowd» (2015 in den Kinos, Anm. d. Red.) bin ich des öfteren mit dem Regisseur Thomas Vinterberg aneinander geraten. Nicht, weil ich das Gefühl hatte, er sei sexistisch. Das ist er nicht, im Gegenteil. Aber wir hatten viele Diskussionen und waren oft nicht einer Meinung. Schlussendlich sind aus diesen Auseinandersetzungen aber viele gute Dinge entstanden. Es gibt auch immer wieder solche Situationen, die überhaupt keinen Spass machen. Das Gute daran ist, dass man bei jeder Filmproduktion ein bisschen stärker wird und noch besser lernt, für sich einzustehen.
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