Bye-bye Babies!
- Text: Viviane Stadelmann, Fotos: iStock
Autorin Viviane Stadelmann sinniert mit 28 über den Kinderwunsch als vermeintliches Naturphänomen, das sie weder spürt noch vermisst.
Verkrampft starre ich auf meinen Teller. Gemüse und Kartoffeln ergeben eine Melange aus Braun und Grün, nicht viel anders als bei meinen Tischnachbarn. Nur liegt bei mir als einzige feste Nahrung auf dem Teller. Am runden Geburtstag mit der Verwandtschaft hat man mich flugs an den Kindertisch gesetzt. Ist es Mitleid oder fehlte bloss eine Alternative, weil ich ohne Partner gekommen bin? Ich bin umgeben von Babies, die gerade gefüttert werden, während ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, um ihre verzückten Eltern, also meine Cousinen und Cousins, nicht vor den Kopf zu stossen. Nicht anmerken zu lassen, dass mein Interesse aus Höflichkeit aufgesetzt ist, weil tief im Innern bei mir etwas ganz anderes passiert, nämlich: nichts.
28 ist ein Alter, mit dem man langsam anfängt, sich Gedanken über Kinder zu machen – selbst dann, oder wahrscheinlich gerade dann, wenn man keine eigenen haben will. Äusserte ich mit 18 Jahren, dass ich keine Mutter sein möchte, wurde ich noch belächelt und mein Statement als jugendliche Rebellion gegen klischierte Geschlechterrollen abgetan: «Du bist so jung, warte erst mal, bis du älter bist» und «das kommt schon noch!». Zehn Jahre später und um erste Babies im Umfeld reicher hat sich an meiner Einstellung zwar nichts geändert, aber offenbar daran, was andere über mich denken. Mein Nein zur eigenen Fortpflanzung scheint jetzt plötzlich zuwider der gesellschaftlichen Erwartung zu sein. Augenbrauen, die irritiert nach oben zucken: «Was machst du denn dann allein im Alter?», «Die Erfahrung gehört doch zum Schönsten im Leben!» und «Diese bedingungslose Liebe willst du nicht kennen lernen?». Irgendwie fühlt es sich an, als würde ich Hochverrat an der Natur der Frau begehen, weil ich meinen Uterus trotz tadelloser Funktionstüchtigkeit nicht gebrauchen möchte. Undenkbar!
Wie eine Studie der Universität von Indianapolis aus dem Jahr 2017 zeigt, ernten Menschen, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, auch heute noch Missgunst. Die soziale Ächtung habe sich den Kinderlosen gegenüber im Vergleich zu vorgängigen Studien in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren kaum verändert. «Das Elternsein wird als moralisches Gebot betrachtet – etwas, das von uns erwartet wird», sagt Leslie Ashburn-Nardo, Psychologin und Autorin der Studie. In der Studie wurden 197 Studierende dazu aufgefordert, ihre Gefühle und ihre Einschätzung zur psychologischer Zufriedenheit von Paaren abzugeben, nachdem sie kurze Texte über sie gelesen hatten. Diese unterschieden sich einzig darin, ob die Paare Kinder hatten oder sich gegen Kinder entschieden hatten. Es zeigte sich, dass den kinderlosen Paaren durchwegs weniger persönliche Erfüllung zugesprochen wurde und ihnen zum Teil sogar Gefühlsäusserungen wie Wut, Abscheu oder Missbilligung entgegengebracht wurde. Doch warum ist das so? Fühlen sich Menschen von einem Lebensentwurf bedroht, der sich selber genug Bedeutung zuschreibt, ohne Erfüllung in der Reproduktion zu suchen? Ashburn-Nardo sagt, die schlechtere Beurteilung der kinderlosen Paare sei wohl die unbewusste Art, Kinderlose zu bestrafen, weil sie das verletzt haben, was sowohl als soziale wie auch als moralische Norm gilt.
Der soziale Druck macht mir zu schaffen, so sehr ich mich auch dagegen wehre. Stosse ich meinen Freund vor den Kopf, weil ich ihm das Gefühl gebe, er sei nicht der richtige Vater für meine Kinder? Verwehre ich meinen Eltern das Glück auf Enkel? Die Tatsache, dass ich mich gedrängt fühle, meine Entscheidung möglichst mit Argumenten zu untermauern, während Frauen mit Kinderwunsch als normal gelten, hat zur Folge, dass auch ich manchmal an mir zweifle. Ist da etwas kaputt bei mir? Oder bin ich wirklich egoistisch und karrieregeil, wie es mir der unausgesprochene Konsens einbläuen will? Warum empfinde ich nichts, wenn mir jemand ein Baby auf den Schoss setzt? Warum atme ich innerlich sogar auf, wenn es die Mutter wieder hochnimmt? Manchmal versuche ich es mir sogar selbst einzureden: Das kommt schon noch, mit Ende dreissig, wenn die letzten Eizellen den Körper in Alarmbereitschaft versetzen.
«Durch meine Praxiserfahrung kann ich behaupten: Nicht alle Frauen verspüren einen Kinderwunsch. So etwas wie einen angeborenen Mutterinstinkt gibt es nicht», sagt die Psychologin Janine Hall, die in ihrer Praxis «Familienstart» in Sissach (BL) Schwangere, werdende Mütter sowie Frauen und Paare nach der Geburt betreut. «Bei einigen kann sich zwar in der Schwangerschaft eine natürliche Bindung zum Kind entwickeln, selbst bei Frauen, die nie Kinder wollten. Bei einigen bleibt dieses Gefühl aber auch einfach aus.» Sie sieht die Mystifizierung des Mutterinstinkts in historischen Gesellschafts- und Frauenbildern verwurzelt. «Auch heute hat das Umfeld sicherlich einen prägenden Einfluss, sei das aus familiären, kulturellen, religiösen oder geografischen Aspekten», sagt die Expertin.
Ist der Mutterwunsch also tatsächlich bloss ein indoktriniertes Überbleibsel aus dem Patriarchat? Dem widersprechen nicht nur alle meine emanzipierten Freundinnen mit Kinderwunsch, sondern auch eine Studie aus dem Jahr 2012. Forscher der Rockefeller-Universität in New York konnten erstmals in Mäusen ein einzelnes Gen identifizieren, das – wenn es unterdrückt wird – die Erziehungsfähigkeiten der Mutter-Mäuse extrem beeinflusste. Ana Ribeiro, Autorin der Studie, erklärt: «Sobald das Gen zum Schweigen gebracht wurde, pflegten und leckten die Mütter ihre Jungen nicht mehr, zudem brachten sie die Babymäuse nicht einmal zurück ins Nest oder kämpften nicht gegen einen Eindringling.» Ribeiro sagt, dass der gleiche Alpha-Östrogen-Rezeptor bei Frauen exprimiert wird und dass ein unterdrücktes Gen einen Einfluss auf das Verhalten der Mutter haben könnte.
Fehlt mir also einfach das Mutter-Gen? Vielleicht ist es aber auch bloss leichter, es auf die Wissenschaft abzuschieben, statt sich ständig erklären zu müssen. Es braucht Mut, sich gegen eigene Kinder auszusprechen und seine Meinung zu vertreten. Dabei sollte es in unserer Gesellschaft längst möglich sein, ohne ein schlechtes Gewissen zu sagen: Das mit uns, Baby, das wird leider nix.