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Bücherwelt: ein Interview mit dem Schriftsteller Jakob Arjouni

Leben

Bücherwelt: ein Interview mit dem Schriftsteller Jakob Arjouni

  • Text: Claudia Senn; Fotos: Gunnar Knechtel

«Ich tue nichts bloss für einen Gag». Dabei dachten wir, der Schriftsteller Jakob Arjouni sei ebenso lustig wie der von ihm erfundene Privatdetektiv Kemal Kayankaya! Ein Hausbesuch mit feinem Essen und ernsten Themen.

Ein Interview mit einem prominenten Schriftsteller dauert gewöhnlich nicht länger als eine Stunde und findet in einem mehr oder weniger tristen Sitzungszimmer seines Verlages statt. Gereicht wird dazu ein Glas Wasser. Nach Ablauf der verabredeten Zeit fordert eine Pressedame freundlich, aber bestimmt zum Gehen auf. Die Zeiten, in denen Journalisten Schriftsteller noch zum Fliegenfischen oder auf nächtliche Sauftouren begleiten konnten, sind lange vorbei. Wahrscheinlich in etwa seit Hemingway.

Umso erstaunlicher ist es, was sich bei diesem Interview abspielt. «Was, du willst schon gehen?», protestiert Jakob Arjouni, nachdem die Reporterin nach acht Stunden erste Ermüdungserscheinungen zeigt. «Du hast doch noch gar nicht von meinem Wein probiert!» Nach zwei Stunden im Garten hatte er ihr das Du angeboten. Danach spielte sie mit seinen Kindern Karten, während er in der Küche ein Festmahl mit Tintenfischpastetchen, knusprigem Weissbrot, Tomaten, Melonen, Serrano-Schinken und den göttlichsten Käsesorten Frankreichs zubereitete.
 

Ein Interview der besonderen Art

Die ganze Familie samt einer zu Besuch weilenden Freundin versammelte sich an einem verwitterten Tisch im Schatten eines Apfelbaums und trank hausgemachte Zitronenlimonade, während die Zikaden zirpten, der Lavendel duftete und Arjouni das Essen servierte. Hatte sich die Reporterin in einen Cantadou-Werbespot verirrt? Nein, denn der Hausherr trug nicht Moustache und Béret, sondern Dreitagebart, Bermudas und ein Aufklebe-Tattoo seines fünfjährigen Sohns auf dem Oberarm. So ein Interview hatte die Reporterin noch nicht erlebt.

Seit vielen Jahren wohnt Jakob Arjouni (48) in einem Dorf im südfranzösischen Languedoc-Roussillon nahe der spanischen Grenze. Erst ganz allein, dann mit seiner amerikanischen Frau
Miranda, einer Menschenrechtsanwältin, die jetzt als Immobilienmaklerin arbeitet, und den gemeinsamen Kindern Emil und Lucy.

Zwischenzeitlich lebte die Familie auch in Los Angeles und Paris, und es gibt eine Winterresidenz in Berlin. Doch als Hauptquartier dient dieses gemütliche Haus auf dem Land, das Arjouni eigenhändig renoviert hat und aus dem er kein Schöner-wohnen-in-Frankreich-Idyll machte, sondern ein unprätentiöses Daheim.

Schon mit 18 Jahren, gleich nach dem Abitur, war er nach Montpellier gezogen, «weil ich dahin wollte, wo Sonne und Meer sind». Im sonnigen Süden war das Leben allerdings einsamer als gedacht. Französisch sprach er kaum. Die Vorlesungen an der Uni, wo er sich «hauptsächlich wegen des billigen Essens in der Kantine» eingeschrieben hatte, verschlief er meist.

Erlösung brachte einzig das Schreiben, in dem Arjouni eine Möglichkeit entdeckte, ein bisschen weniger allein zu sein. Besser ein Vis-à-vis auf Papier als gar keines, dachte er sich, «also baute ich mir einen Freund»: Kemal Kayankaya, den türkischen Privatdetektiv, der seinen Schöpfer in den Achtzigerjahren als noch blutjungen Schriftsteller berühmt machte. «Happy Birthday, Türke!», der erste Band der Reihe, wurde später von Doris Dörrie verfilmt.

«Es gab damals genau zwei Haltungen gegenüber Türken in Deutschland», sagt Arjouni, während er zum Kaffee Madeleines serviert. «Die eine war: Türken raus! Die andere: Beim Türken schmeckts gut.» Kemal Kayankaya jedoch verweigerte sich sämtlichen Klischees: Türkisch aussehend, aber bei deutschen Adoptiveltern aufgewachsen, jonglierte er mit den auf ihn einprasselnden Vorurteilen wie ein Zirkusartist und hielt der zwischen offenem Rassismus und Multikulti-Romantik oszillierenden Gesellschaft den Spiegel vor.

Vor allem aber war er ungemein witzig, ein Filou mit grosser Klappe und noch grösserem Bierdurst, der in der von deprimierenden Figuren nur so strotzenden deutschen Literatur einen gut
gelaunten Kontrapunkt setzte.

Unausrottbar hält sich seither das Missverständnis, Jakob Arjouni sei ein türkischer Secondo. Der «Spiegel» hatte diese Falschmeldung zuerst gedruckt. Seither wurde sie unzählige Male kolportiert. «Es ist wie die Geschichte mit der Spinne und der Yuccapalme», sagt Arjouni. Dabei sei er ein astreiner Deutscher. Er hatte bloss «aus einer Juxlaune heraus» den Namen seiner damaligen Frau, einer Marokkanerin, angenommen, «weil ich nicht ständig mit meinem Vater verglichen werden wollte», dem Dramatiker Hans Günter Michelsen, der ebenfalls Bücher schrieb.


Die Kayankaya-Fans dürfen sich freuen

Der türkische Detektiv ist wieder da! Vor elf Jahren hatte er mit «Kismet» schon mal ein Comeback. Soeben ist der fünfte Band mit dem Titel «Bruder Kemal» erschienen. Wer wie die Reporterin zu jenen Menschen gehört, die bei Verbalattacken stumm wie ein Fisch dasitzen, bevor ihnen eine halbe Stunde zu spät doch noch die richtige Antwort einfällt, wird die herrlichen Dialoge geniessen. Ein Crash-Kurs in Sachen Coolness! Ein Feuerwerk des Wortwitzes!

Zu den überraschendsten Erkenntnissen des Interviews mit Jakob Arjouni gehört deshalb: Der Erfinder des lustigsten Privatdetektivs im deutschsprachigen Raum ist selbst überhaupt nicht lustig.

Auf die zaghaften Scherze, mit denen ihn die Reporterin aus der Reserve zu locken versucht, reagiert er gleichbleibend freundlich, aber reserviert. «Ich bin wirklich sehr ernsthaft», sagt er. «Ich tue nichts bloss für einen Effekt. Oder für einen Gag.»

Zwar ist er der gastfreundlichste Autor, den sie je kennen gelernt hat, doch auch nach Stunden des Beschnupperns wählt er jedes Wort mit Bedacht. Bei vielen Antworten schwingen Dinge mit, die er nicht ausspricht, weil sie ihm wohl zu privat erscheinen oder zu heikel. Wer weiss schon, was die Reporterin am Ende aus seinen Worten macht? Irgendwann gesteht er, mit welcher Höllenangst vor der Öffentlichkeit er lange gekämpft hat. Lesungen vor Publikum? «Ertrug ich früher nur im Vollsuff.»

Erst bei den ganz schweren Themen taut er ein bisschen auf. Mit neun Jahren kam Jakob Arjouni in ein Internat, wo er bis zum Abitur blieb. Die Mutter war berufstätig, der Vater in seiner Papa-Rolle eher unbegabt. «Ich mochte ihn sehr, aber ein Kind grosszuziehen, war nun wirklich nicht sein Ding.»

Vermutlich pflegte Arjouni später auch deshalb eine so innige Beziehung zu seinem Verleger, dem im vergangenen Jahr verstorbenen Diogenes-Chef Daniel Keel, den Arjouni als Ersatzvater liebte.
 

Mal Randalemacher, mal ganz still

Seine Eltern schickten ihn in die berüchtigte Odenwald-Schule, ein linksliberales Internat, das vor zwei Jahren wegen schwerer Missbrauchsvorwürfe durch die Medien ging.

Wie hat er diese Zeit erlebt? Gehörte er selbst auch zu den Opfern? «Nein», sagt Jakob Arjouni. Vielleicht sei er davongekommen, weil er nicht ins Beuteschema der Täter gepasst habe. «Ich war Fussballer. Und Bücherleser. Und Randalemacher in einer Gruppe von grossklappigen Mädchen und Jungs. Manchmal aber auch ganz still. Die Lehrer wussten nicht, wie sie mich einschätzen sollen.»

Zweimal sei er fast von der Schule geflogen, wegen renitenten Verhaltens, «das muss man an einem so antiautoritären Internat erst mal schaffen». Ausserdem sei er schon immer sehr wehrhaft gewesen. Einem Homosexuellen, der ihn beim Trampen begrapschte, rammte er einen herumliegenden Schraubenzieher ins Bein.

Der eigentliche Schock des Missbrauchsskandals bestand für ihn darin, «überhaupt nichts mitbekommen zu haben, obwohl ich mich doch immer für einen wachen Beobachter gehalten habe». Sein Unterbewusstsein müsse die Atmosphäre von Selbsttäuschung, Lüge und Schweigen allerdings sehr wohl aufgenommen haben, denn im Jahr 2004 veröffentlichte er den Roman «Hausaufgaben», in dem es um den Missbrauch eines Lehrers an seiner Tochter geht. «Das kann doch kein Zufall sein, dass mich das Thema interessiert hat.»

Die Tatsache, dass er jetzt weiss, was für eine Hölle die Odenwald-Schule für manche seiner Mitschüler gewesen sein muss, ändere nichts daran, dass sie für ihn auch ein Paradies war, wo er im Wald herumtoben und Baumhütten bauen konnte und als Einzelkind gelernt habe, mit anderen klarzukommen. «Vielleicht bedeutet Erwachsensein, dass man mehrere Wahrheiten nebeneinander aushalten kann.»

Jakob Arjouni, das runde Jungengesicht von Frankreichs Sonne gebräunt, schaut ernst vor sich hin und schweigt.

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Vieles bleibt unausgesprochen: Jakob Arjouni wählt jedes Wort mit Bedacht