Buch-Tipp: «Kapitalismus und Hautkrankheiten»
- Redaktion: Claudia Senn, Verena Lugert
Wie die Röntgenaufnahme einer Familie, die von Egomanie vergiftet wird: Jasmin Ramadans grossartiger Roman «Kapitalismus und Hautkrankheiten».
«Kapitalismus und Hautkrankheiten» ist der Titel des Opus magnum, das der Ex-Uni-Professor Dietrich seit Jahren auf dem Dachboden verfasst, ein Werk über das grossgesellschaftliche Unbehagen, das sich im individuellen Hautjucken äussert. Auf der menschlichen Oberfläche, dem grössten Sinnesorgan, zeigten sich früher oder später alle organischen oder seelischen Schäden, sagt Dietrich, den regelmässig eine Schuppenflechte heimsucht. Seine bildschöne, promiske Tochter Teresa, die auf den Durchbruch als Schauspielerin wartet und sich bis dahin mit Werbemodeljobs durchbringt, glaubt, ihre Haut werde von durchsichtigem Schleim überzogen. Teresas Bruder Ture ist ein von der Welt abgewandter Asket, die Mutter Bärbel eine penetrant schillernde Schauspielerin. Die Familie ist zerbrochen, zerbröselt, korrodiert von der Säure der Egomanie. Und durch ein Ereignis erschüttert, das vor Jahren stattgefunden hat und mit einem Mantel aus Lügen und Schweigen verhüllt wird. Ein Sittenbild, gezeichnet in grossartig abgeklärten Monologen. Und die Röntgenaufnahme eines Familienkörpers, die tief unter die Haut geht.
— Jasmin Ramadan: Kapitalismus und Hautkrankheiten. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2014, 218 Seiten