Die Ernährung ist aus Kampagnen zur Krebsvorsorge nicht mehr wegzudenken. Früchte und Gemüse zu essen, wirke präventiv, heisst es. Doch gerade beim Brustkrebs, der häufigsten Tumorerkrankung der Frau, gäbe es Wirksameres zu tun.
Sie sind kulinarische Hoffnungsträger im Kampf gegen Tumore, und entsprechend kriegerisch sind die Bezeichnungen: Man nennt sie Biowaffen gegen Krebs oder Anti-Krebs-Lebensmittel. Gemeint sind Tomaten, Spinat und Aprikosen. Äpfel, Birnen und Himbeeren. Auberginen, Broccoli, Zwiebeln und Knoblauch. Ihre krebshemmende Wirkung sollen sie durch Antioxidantien und sekundäre Pflanzenstoffe wie Carotinoide, Polyphenole oder Glucosinolate entfalten. Substanzen, die zu Tausenden in den «Biowaffen» vorkommen und Stoffwechselprozesse im Körper beeinflussen. Die Thesen zu diesen Schutzschilden füllen Bücher, Zeitungen und Websites, werden in Blogs und Foren diskutiert. Das Publikum: meist weiblich. Zwar ist der Zusammenhang zwischen Ernährung und Krebs angesichts der weltweit steigenden Erkrankungsraten – gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erhielten im Jahr 2012 insgesamt 14 Millionen Menschen neu die Diagnose Krebs gestellt – allgemein in den Fokus gerückt, doch schwingt stets die Frage obenaus: Lässt sich mit Früchten und Gemüse auch ganz spezifisch Brustkrebs in Schach halten, die häufigste Tumorerkrankung der Frau?
Es hatte zumindest Indizien dafür gegeben. 1997 folgerten der World Cancer Research Fund und das American Institute for Cancer Research, dass der regelmässige Verzehr von Früchten und Gemüsen das generelle Krebsrisiko um über zwanzig Prozent senken würde. Eine europäische Untersuchung doppelte nach und befand, der tägliche Genuss von 200 Gramm Grünzeug könne krebshemmend wirken. Doch hielten diese Forschungen eingehenderen Analysen nicht stand. Am Jahreskongress der American Association for Cancer Research diesen April liess sich der Harvard-Epidemiologe Walter C. Willett in der «New York Times» wie folgt zitieren: «Was auch immer für andere Krankheiten gelten mag, bei Krebs gibt es kaum Beweise dafür, dass Früchte und Gemüse schützen oder fetthaltiges Essen schädlich ist.»
Früchte und Gemüse schützen nicht komplett vor Brustkrebs
Doch während etwa für Magen-, Darm- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs vage Möglichkeiten bestehen, dass gewisse Früchte und Gemüse trotzdem einen Einfluss haben könnten, ist bei Brustkrebs die Datenlage klar. Sie ist ernüchternd: So stuft der World Cancer Research Fund deren Wirkung in Bezug auf das Brustkrebsrisiko als nahezu irrelevant ein. Noch expliziter ist der Befund des Epic-Projekts: Bei der bisher weltweit grössten Untersuchung zum Thema wurde das Ernährungsverhalten von 521 000 Teilnehmenden beobachtet, von denen im Lauf der Studie 26 000 an Krebs erkrankten. Ein Zusammenhang zwischen dem Verzehr von pflanzlichen Stoffen und der Entstehung von Brustkrebs konnte nicht hergestellt werden. Das Fazit auch da: Früchte und Gemüse sind bezüglich Brustkrebsprävention vernachlässigbar.
Die grundsätzlich positive Wirkung von sekundären Pflanzenstoffen stellt zwar niemand prinzipiell infrage. Das tut auch Ulrike Kämmerer nicht, Professorin für Humanbiologie an der Universitäts-Frauenklinik im deutschen Würzburg: «Mit diversen Pflanzeninhaltsstoffen können Sie in Zellkulturen und Tierexperimenten das Krebswachstum tatsächlich beeinflussen.» Aber, so wendet Ulrike Kämmerer ein: «Bei diesen Versuchen kommen im Labor gereinigte, hoch konzentrierte Substanzen zum Einsatz, die – um die therapeutische Menge im Körper zu erreichen – mit normalen Lebensmitteln nie hinzubekommen wären.»
Den Glauben an die Heilkräfte pflanzlicher Nahrungsmittel verortet Ulrike Kämmerer im aktuellen Ernährungstrend. «Nicht mehr das Fleisch ist ein Stück Lebenskraft, wie ich es als Kind noch gekannt habe, sondern Obst und Gemüse», sagt sie. Dabei entbehre es nicht einer gewissen Ironie, dass der Nährstoffgehalt pflanzlicher Nahrungsmittel überschätzt werde. «Gerade Äpfel, Bananen und Orangen, die meistkonsumierten Standardfrüchte, sind so hochgezüchtet, dass sie kaum noch Nährstoffe enthalten. Bananen sind voll leerer Kohlehydrate. Kultur-Beeren haben häufig einen hohen Zuckergehalt. Mit den nahrhaften Wildformen haben sie nicht mehr viel zu tun.»
Sind die «Biowaffen» am Ende also nichts als Blindgänger?
«Das würde ich nicht so sehen», sagt Erika Ackermann, diplomierte Ernährungsberaterin und spezialisiert auf die Beratung von Frauen mit Brustkrebs. «Denn Frauen, die eher auf pflanzliche Kost setzen, gehen meist bewusster mit ihrer Ernährung um und sind per se schlanker und fitter.»
Übergewicht ist nur einer der Faktoren
Und das ist der springende Punkt: Denn weniger das Was scheint für das Brustkrebsrisiko entscheidend, sondern das Wieviel: die «tägliche Überernährung», wie es Erika Ackermann nennt. Übergewicht ist im Zusammenhang mit Brustkrebs der am besten belegte Risikofaktor; ein Faktor überdies, der im Gegensatz zu anderen bekannten Risiken wie Alter, frühe Menstruation, familiäre Veranlagung und Kinderlosigkeit beeinflussbar ist.
Der Grund, weshalb übermässiges Körperfett zu einem potenziellen Brandherd wird, liegt darin, dass Fettzellen die Fähigkeit haben, weibliche Wachstumshormone, Östrogene, zu bilden. Das ist besonders nach der Menopause relevant, wenn die Östrogenbildung der Eierstöcke stark nachlässt, Fettzellen aber weiterhin Östrogene produzieren. Dies fördert die Entstehung von hormonabhängigen Tumoren. Je mehr Fettzellen vorhanden sind, desto stärker steigt in der Brust die Östrogenkonzentration an und analog dazu das Krebsrisiko. Zudem geht Übergewicht oft mit einem erhöhten Insulinspiegel einher (von dem aber auch schlanke Frauen betroffen sein können), was problematisch ist, weil auch Insulin zu den Wachstumsfaktoren für Tumorzellen gehört. Deshalb gilt der Typ-2-Diabetes als zusätzliches Risiko für Brustkrebs. Nicht zuletzt werden im Fettgewebe entzündliche Botenstoffe produziert, die auf die Entwicklung von Krebszellen anregend wirken. Doch ist Fett nicht gleich Fett: Besonders heikel ist das Fett, das die Verdauungsorgane umhüllt, das Bauchfett. Grund: Es benötigt mehr Insulin als etwa Oberschenkelfett, dringt schneller ins Blut und wirkt ungünstig auf das sexualhormonbindende Globulin.
Frauen mit starkem Übergewicht und konstant hohem Insulinspiegel haben daher nicht nur ein erhöhtes Brustkrebsrisiko, sondern auch ein grösseres Rückfallrisiko. Bereits fünf Kilo zusätzliches Körpergewicht, das zeigen Analysen des Breast Cancer Report 2010, sollen die Gefahr eines Rückfalls um zwölf Prozent steigern. Allerdings, so betont Andreas Trojan, Facharzt für Onkologie am Brustzentrum Zürich, kann das Rückfallrisiko nicht allein mit dem Übergewicht hochgerechnet werden. «Ob eine Frau einen Rückfall erleidet oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab; von der vorausgegangenen oder laufenden Therapie etwa, vom Immunsystem, von den Reparaturmechanismen, der Genetik – und schliesslich auch ein wenig vom Glück.»
Fragwürdige Diäten gegen Brustkrebs
Jährlich erhalten in der Schweiz 5500 Frauen neu die Diagnose Brustkrebs, 1300 sterben an der Krankheit. Und der Krebs ist nicht wählerisch, er kann jede Frau treffen. Angesichts dieser Willkür erscheint gerade die Ernährung oft als letzter Strohhalm, an den sich betroffene Frauen klammern. In der Folge stürzen sich viele in teils fragwürdige Diäten. Sie kenne Frauen, sagt Ernährungsexpertin Erika Ackermann, die sich nur noch von Broccoli oder Randen ernähren oder ihr Essen ausschliesslich mit Kurkuma würzen, weil sie irgendwo gelesen haben, dass dies gegen Brustkrebs wirken soll.
Susanna * (44) war in einen solchen Sog geraten. Vor drei Jahren erfuhr sie, dass sie Brustkrebs hat. Ihre Kinesiologin riet ihr, vor der Operation eine «grüne Diät» zu machen, nur zu essen, was von Natur aus grün ist, sowie auf Zucker und jegliche Kohlehydrate zu verzichten. «Ich liess also alles weg, was mir beim Essen Spass machte», erinnert sich Susanna. «Aber ich war zu allem bereit, was den Tumor stoppen könnte.» In wenigen Tagen nahm sie fünf Kilo ab. Der Gewichtsverlust war so radikal, dass der Chirurg sie ermahnte, wieder normal zu essen, da sie für die Operation und die nachfolgende Chemotherapie dringend zu Kräften kommen musste.
Dass gerade vor Zucker und allgemein vor Kohlehydraten (die bei der Verdauung durch Enzyme gespalten und zu Glukose umgewandelt werden) gewarnt wird, ist kein Zufall. «Zucker macht Krebs», «Zucker wirkt auf die wuchernden Zellen wie Brandbeschleuniger», lauten Schlagzeilen einschlägiger Artikel und Anbieter von «Anti-Krebs-Diäten». Auf den ersten Blick wirken die Begründungen plausibel: Tumore sind süchtig nach Zucker, sie hamstern ihn regelrecht und wuchern dadurch ungehindert. Isst man keinen Zucker mehr, so die Schlussfolgerung, hungert man den Tumor aus.
Doch so einfach ist es nicht. «Tumorzellen sind im Gegensatz zu anderen Zellen tatsächlich Experten in der Zuckeraufnahme. Aktuelle Studiendaten zeigen, dass Tumorzellen weniger schnell zu bösartigen Zellen mutieren, wenn man ihnen die Zuckerzufuhr entzieht», sagt Stephan von Gunten, Privatdozent für Pharmakologie an der Universität Bern. «Doch diese Tests wurden an In-vitro-Zellen gemacht, und die Resultate mit Zuckerwerten erreicht, die so tief sind, dass sie einen Menschen in Lebensgefahr bringen würden. Wir brauchen Glukose, damit Gehirn, Muskeln und weitere Organe überhaupt funktionieren.»
Zucker schützt den Tumor
Diese Studien lassen sich also nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen. Gleichwohl liefern sie Grundlagen für künftige Medikamente, die den Zuckerstoffwechsel beeinflussen. Tumorzellen nutzen Zucker nämlich nicht nur als Lebenselixier, sondern auch als Abwehrmechanismus gegen das Immunsystem. So haben Stephan von Gunten und sein Team entdeckt, dass Tumorzellen an ihrer Oberfläche Zuckerstrukturen entwickeln, die sie als Schutzschilde gegen Soldaten des Immunsystems einsetzen, also gegen Abwehrzellen, die die Tumorzellen zerstören sollen. Nun suchen die Forscher nach Hinweisen, wie sich dieser Zuckermantel verändern lässt, um die Tumorzellen zu bekämpfen. Und es stellt sich auch die Frage, so Stephan von Gunten: «Ist es möglich, ein Ernährungskonzept zu entwickeln, mit dem man den Zuckermantel schwächen könnte?»
Denn noch existiert keine eigentliche «Krebsdiät», die den Tumorzellen gezielt zu Leibe rückt. Entsprechende diätische Heilversprechen werden von Onkologen als Scharlatanerie bezeichnet. Was es aber gibt – und derzeit wissenschaftlich diskutiert und erforscht wird –, ist eine unterstützende Ernährungstherapie für Brustkrebspatientinnen, die gute Resultate zeigt: Die ketogene Diät (s. Box). Sie basiert darauf, dass Muskeln und Gehirn weniger mit Kohlehydraten versorgt werden, sondern mit Ketonkörpern, die durch eine fettreiche Ernährung in der Leber entstehen, erklärt Humanbiologin Ulrike Kämmerer. «So lässt sich die Insulinausschüttung niedrig halten, können Entzündungswerte reduziert und ein Rückfall verzögert, vielleicht sogar vermieden werden.» Doch gerade für Frauen, die sich ein Leben lang bemüht hätten, so fettarm wie möglich zu essen, um schlank und gesund zu bleiben, sei die Umstellung auf fettreiche Ernährung oft schwierig. «Ich begegne in Studien Patientinnen, die sich trotz fortgeschrittenem Krebs weigern, Fettiges zu essen – aus Angst davor, dick zu werden», sagt Ulrike Kämmerer. Dabei sei es für alle Frauen ratsam, die Insulinausschüttung im Auge zu behalten und einen Teil des Energiebedarfs weniger über Kohlehydrate, sondern über fetthaltige Lebensmittel zu decken.
Und was kann man sonst noch tun, um Krebs oder einem Rückfall vorzubeugen? Eine der wirksamsten Strategien: sich regelmässig bewegen. Dies setzt den Stoffwechsel in Gang, senkt Blutdruck, Insulinresistenz und Östrogenspiegel. Körperliches Training soll so effizient sein, dass es das Rückfallrisiko um bis zu vierzig Prozent mindert. Zudem gilt es, den Alkoholkonsum zu drosseln. Nebst zu viel Körperfett ist Alkohol der gewichtigste Risikofaktor für Brustkrebs, da er den Um- und Abbau von Hormonen in der Leber konkurrenziert, wodurch sich der Östrogenspiegel erhöht. Ärzte betonen aber, dass nichts gegen ein Glas Rotwein spricht. Im Gegenteil: Ab und zu ein Gläschen in fröhlicher Runde kann das Immunsystem mehr stärken als widerwillige Enthaltsamkeit.
Mit einer weiteren Gegenstrategie wartet der Basler Mediziner und Biochemiker Jörg Hagmann auf: Kalorienreduktion via Intermittent Fasting. Das bedeutet: Seltener essen ist mehr. Und selten heisst maximal dreimal täglich. Auch hier geht es um die Kontrolle des Insulins: «Tierversuche haben ergeben, dass längere Intervalle zwischen den Mahlzeiten das Wachstum von Tumoren beeinflussen, da der Insulinspiegel dadurch tief gehalten wird», erklärt Jörg Hagmann. Diese These wird gestützt durch eine US-Studie, die festgestellt hat, dass sich seit den Siebzigerjahren das Essverhalten von den einst üblichen drei Mahlzeiten pro Tag zu einem «herbivore-type pattern of almost continuous grazing» gewandelt hat. Wie Grasfresser essen heute viele Menschen fast rund um die Uhr. Mit diesem Wandel im Essrhythmus, folgert Hagmann, könnten die steigenden Krebsraten zusammenhängen.
Das Leben bewusst geniessen
Susanna hat derweil beschlossen, dass sie – dem Krebs zum Trotz – wieder Genuss verspüren will beim Essen. Durch die Antihormontherapie hat sie zwar zugenommen, doch hat sie keine Lust mehr, sich zu kasteien. Auch ihr Onkologe hat sie ermuntert zu essen, worauf sie Appetit hat. Denn Essen ist ja nicht nur Ernährung, sondern auch Lebensfreude, ein sozialer Akt; und auch das ist lebenswichtig. Allerdings verzichtet Susanna inzwischen möglichst auf Conveniencefood. Sie kocht mit frischen, qualitativ hochstehenden Zutaten, gönnt sich ab und zu ein prachtvolles Rindsfilet und zelebriert jedes Glas Champagner, als wäre es das letzte. Die Frage, warum sie Brustkrebs bekommen hat, ist in weite Ferne gerückt. Ebenso hat sie aufgehört, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob sie früher zu wenig Sport getrieben hat. Denn Krebs, das sagte auch ihr Arzt, ist am Ende vor allem eines: saumässiges Pech.
* Name von der Redaktion geändert
Ketogene Diät
Bei dieser Diätform wird die Kohlehydratmenge drastisch reduziert, der Anteil an gesunden Fetten stark und jener an Eiweiss moderat erhöht. Dies soll das Tumorwachstum verlangsamen: Fette brauchen zur Versorgung der Zellen kein Insulin, das als Wachstumsfaktor für Brustkrebs gilt – gleichzeitig können fast alle gesunden Zellen, auch das Gehirn, mit Fetten und den daraus entstehenden Ketonen (daher der Diätname) arbeiten. Auf dem Speisezettel stehen: Eier, Nüsse, Avocados, Butter, bester Käse, Vollrahm, Lachs, fetthaltiges Fleisch, gute Pflanzenöle.