Bildbearbeitung: Retouche in der annabelle-Redaktion
- Interview: Stephanie Hess; Fotos: Karin Heer (4), Flavio Leone (1)
Wie stark werden bei annabelle Bilder retouchiert? Art Director Dieter Röösli verrät, wie er Fotos bearbeiten lässt. Und welche Eingriffe tabu sind.
annabelle: Dieter Röösli, das retouchierte Coverfoto der aktuellen annabelle unterscheidet sich ja kaum vom unretouchierten. Wie das?
Dieter Röösli: Sanfte Retouchen, zum Beispiel bei allfälligen Unreinheiten im Gesicht, hat die Fotografin im Voraus vorgenommen. Von mir kamen dann nur noch wenige Anweisungen, etwa die, das Weiss der Augen und die Zähne aufzuhellen. Wir wollen ja den natürlichen Ausdruck eines Models nicht verändern, sondern optimieren.
Blicken wir zurück auf die annabelle-Ausgabe von Ende Mai. Was haben Sie damals am Cover (siehe Ausgabe 10/15) konkret verändert?
Das Bild stammte aus einer Beauty-Eigenproduktion. Ich habe daran nur sehr wenig gemacht, beispielsweise im Schulterbereich die Farbe etwas abgeschwächt. Die Sommersprossen etwa haben wir belassen, das Model sollte möglichst natürlich wirken.
Einige annabelle-Coverbilder wurden allerdings stärker bearbeitet. Beispielsweise jenes von Heft 22/14.
Das war in diesem Fall begründet: Weil es sich um die Weihnachtsausgabe handelte, inklusive Jahreshoroskop, wollten wir bei dem Model gezielt einen mystischen, engelhaften Effekt erzielen.
Gibt es Richtlinien, nach denen man bei annabelle retouchiert?
Keine festgeschriebenen. Bei Reportage-Bildern gilt jedoch: Ausser Farbkorrekturen, die für den Druck zwingend sind, retouchieren wir gar nichts. Gerade auch, um sie gegen Werbe- oder Lifestylefotografie abzugrenzen. Sie sollen die Realität zeigen in ihrer ganzen Unperfektheit. Im Gegensatz zu den Modebildern. Dort geht es nicht um Realität, sondern um Träume. Trotzdem gilt auch hier das annabelle-Credo, möglichst authentisch, möglichst nahe am Menschen zu sein. Also verändern wir auch hier so wenig wie möglich. Ein gutes Beispiel ist die aktuelle annabelle-Kampagne, bei der wir bewusst nicht mit klassischen Models gearbeitet haben, sondern mit Leserinnen, sogenannten Real People.
Was bedeutet so wenig wie möglich retouchieren?
Wir eliminieren kleine Makel.
Was sind kleine Makel?
Pickel oder Mückenstiche retouchieren wir immer. Wir hellen zuweilen starke, dunkle Armbehaarung etwas auf, ebenso einen Oberlippenflaum. Wenn Lippen nicht ganz sauber geschminkt sind, können wir das im Nachhinein digital korrigieren, genauso wie einen Schuh, der dem Model zu gross ist und an der Ferse absteht. Da selbst weisse Zähne auf einem Bild schnell gelblich wirken, neutralisieren wir auch sie. Gerade auf dem Titelbild ist das wichtig, da die Lackbeschichtung des Covers die Zähne zusätzlich gelblich aussehen lassen kann. Das Ziel ist stets, der Leserin ein harmonisches Gesamtbild zu bieten.
Retouchieren Sie Fettpölsterchen?
Nein, eigentlich nie. Es sei denn, die Kleider sind zu klein und schnüren irgendwo ein. Es gibt ja diese Faustregel: Auf einem Foto – oder auch im Fernsehen – sieht jeder Mensch grundsätzlich fünf Kilo schwerer aus. Was aktuell allerdings die weit grössere Herausforderung darstellt als allfällige Fettpölsterchen, ist das Gegenteil: Models, die zu dünn sind. Gerade in der Beauty-Fotografie kommt es deshalb nicht selten vor, dass wir ein Schlüsselbein oder einen hervortretenden Hüftknochen optisch abschwächen, um der Frau einen gesünderen Ausdruck zu verleihen.
Und Cellulite?
Auch da muss man ehrlicherweise sagen, dass es eigentlich keine Models mit Cellulite gibt. Falls das aber mal der Fall wäre, kann man beim Fotografieren sehr viel mit dem Einsatz von Licht optimieren. Wenn dann immer noch Dellen sichtbar sind, mildert man sie noch mit Photoshop ab.
Licht kann also viel ausmachen?
Ja, Licht und Make-up. Bei einem professionellen Fotoshooting wird ein Model eine Stunde lang oder länger zurechtgemacht. Und wenn beispielsweise bei einem Make-up-Shooting das Model eine etwas gar grosse Nase hat, wo doch eigentlich die roten Lippen im Fokus stehen sollten, stellt die Fotografin das Licht eben so ein, dass es die Nase überblendet. So erhält man letztlich trotzdem ein sehr gutes Resultat.
Retouchieren Sie Falten?
Wie gesagt: Wir versuchen so wenig wie möglich einzugreifen. Auch weil der Ausdruck eines Menschen und damit auch das Bild verliert, wenn man zu stark übertüncht – die Person wird zu glatt, das Bild zu flach. Was wir machen: Wir hellen die winzigen Schatten von Krähenfüssen auf, was die Falten weniger tief wirken lässt.
Wie war das beim Covershooting der 94-jährigen Iris Apfel, die diesen Frühling ein annabelle-Cover zierte?
Da haben wir alle Falten so gelassen, wie sie waren. Alles andere wäre total widersinnig.
Welches sind die stärksten Eingriffe, die Sie vornehmen?
Es kam schon vor, dass wir bei einer Modestrecke ein Bild schossen, auf dem das Kleid ideal zur Geltung kam, der Schwung, die Bewegung, alles stimmte, nur der Ausdruck des Models nicht, die Frau hatte vielleicht die Augen halb geschlossen. Auf dem nächsten Bild der Serie aber ist der Gesichtsausdruck perfekt. Da fügen wir zuweilen zwei Bilder zu einem neuen zusammen.
Verändern Sie auch mal die Gesichtszüge eines Models?
Nein. Weil ich weiss, dass es sehr schnell schiefgehen kann. Die Augen sind bei fast allen Menschen unterschiedlich gross. Versucht man in einem solchen Fall, das grössere Auge spiegelverkehrt zu duplizieren und damit das kleinere zu ersetzen, so kann die Person schnell wie ein Zombie aussehen.
Die US-«Vogue» hat im Februar 2014 Bilder der Schauspielerin Lena Dunham, die bekannt ist für ihren nicht perfekten Körper, offensichtlich bearbeitet. Ist das bei annabelle auch denkbar?
Das würde es bei uns nie geben. Gerade bei Dunham ist das ein Witz. Sie steht für die Unperfektheit und zeigt sich ja in ihrer TV-Serie immer wieder nackt. Und dann liess man ihre Taille schmaler werden, straffte das Décolleté, machte das Kinn spitzer …
Lena Dunham selber fand das nicht schlimm. Ihr gefielen die Bilder. Sie sagte, sie sehe doch gar nicht so anders aus.
Dass man sich selber so gut wie nur möglich darstellen will, ist doch menschlich. Dagegen ist wohl auch eine Lena Dunham nicht gefeit. Und der Zeitgeist fördert das ja auch: Der Optimierungswahn ist allgegenwärtig. Nur schon die Bilder, die wir von uns auf Social-Networks posten, sind alle mit speziellen Filtern aufgenommen und teils bearbeitet.
Die «Brigitte» wollte in dieser ganzen Diskussion einen anderen Weg gehen und zeigte während dreier Jahre nur noch Mode an Frauen aus der Leserschaft. Was hält man bei annabelle davon?
Wir haben uns schon vor langer Zeit entschieden, bei Modebildern nicht die Persönlichkeit, sondern die Kleidung ins Zentrum zu stellen. Wir führen allerdings – neben der bereits erwähnten annabelle-Kampagne – ein paarmal pro Jahr Themenshootings durch, lassen etwa ältere Frauen, beste Freundinnen oder Väter und ihre Söhne die neue Mode zeigen. Dennoch verfolgten wir die Aktion von «Brigitte» interessiert, fanden jedoch, dass sie damals dem Thema nicht ganz gerecht wurde.
Warum?
Weil viele der im Heft gezeigten Frauen dann doch annähernd Modelkriterien erfüllten. Sie hatten einen Superbody und waren gross gewachsen. Dass professionelle Models unerreichbar schön aussehen, damit kann die Leserin umgehen. Wenn aber auch Real People bombastisch aussehen, kann sie das unter Druck setzen und ihr Selbstwertgefühl schmälern.
annabelle-Chefredaktorin Silvia Binggeli über das aktuelle Cover, (Selbst-)Optimierung und das realitätsnahe Streben nach Schönheit.
1.
Schulterpartie abgesoftet …
2.
… engelhaften Ausdruck verstärkt: Die annabelle-Covers 10/15 und 22/14 wurden ganz unterschiedlich stark bearbeitet
3.
Art Director Dieter Röösli