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Besuch beim Weinpapst Philipp Schwander

Besuch beim Weinpapst Philipp Schwander

  • Text: Stefanie Rigutto; Fotos: Vera Hartmann

Philipp Schwander, Master of Wine, über eine gute Nase und «Schnorris mit Halbwissen». Ausserdem: Fünf exzellente und vor allem bezahlbare Herbstweine, ausgewählt vom Weinpapst persönlich.

“Das Auge trinkt mit”, sagt Philipp Schwander. Er muss es wissen, schliesslich ist er Master of Wine. Ein süffiges Gespräch über hässliche Etiketten, Wasser-Sommeliers und die Besserwisserei der Männer beim Degustieren.

Es ist kein Ort mit heimeligen Holzfässern und Kelleratmosphäre. Philipp Schwanders Weinhandlung in Zürich liegt nur ein paar Hundert Meter von der A3 entfernt. Firlefanz ist nicht sein Ding, der Master of Wine setzt auf nüchternen Industriecharme. Hohe Decke, ein grosser Tisch, darauf etwa zehn verschiedene Weine – das Angebot der Selection Schwander. Einziges Dekorationsstück im Degustationsraum ist ein riesiges Gemälde an der Wand. Schlicht (genial) ist auch sein Konzept: Gute Weine zu günstigen Preisen. Damit hat Philipp Schwander die Schweizer Weinszene in den letzten Jahren aufgemischt. Logisch, dass so einer die Kunst der Selbstinszenierung beherrscht. «Wassertest?», hatte er am Telefon gefragt und sogleich geantwortet: «Klar, warum nicht!» Mit zügigen Schritten kommt Philipp Schwander nun zur Tür herein. Er trägt einen klassischen dunklen Anzug, der seine Körperfülle kaschiert, dazu eine farbige Krawatte. Sein Lachen ist breit, der Händedruck warm und fest.

annabelle: Philipp Schwander, sieben verschiedene Wässer stehen vor Ihnen. Welches spricht Sie am meisten an?
Sicher nicht dieses Bling-Wasser mit den Swarovski-Kristallen. Furchtbar! Was kostet die Flasche? (Schaut sich die Etikette an) 89 Franken, mein Gott! (Studiert weiter die Etikette) Ah, es kommt aus England. Was für ein Quatsch, Wasser aus England in die Schweiz zu transportieren! Ich bin kein Mitglied der Grünen, aber das geht mir zu weit.

Wein wird doch auch auf der ganzen Welt herumgeschifft!
Das kann man nicht vergleichen: Ein australischer Shiraz schmeckt komplett anders als ein Hallauer Beerli. Beim Wein gibt es tausend verschiedene Sorten.

Das würde ein Wasser-Sommelier von seinen Wässerchen ebenso behaupten.
Wasser-Sommelier – das ist dekadent! Natürlich gibt es Unterschiede, aber unterm Strich ist es Wasser. Da muss man mir nicht weismachen, es würden Welten dazwischenliegen. Lassen Sie uns die Wässer probieren!

Gern. Wie degustieren Sie?
Das geht immer sehr schnell. Ich merke sofort, was gut ist! Bei Weinverkostungen habe ich eine Serie häufig dreimal durchdegustiert, wenn die anderen es gerade einmal geschafft haben (er nimmt von jedem Glas einen Schluck Wasser, schmatzt dazu ein bisschen).

Merken Sie einen Unterschied?
Da tun sich neue Welten auf! (Lacht) Nein, Scherz beiseite: alles Wasser.

Wenn man Ihnen ein Henniez in einem Evian-Fläschen servieren würde, würden Sie es merken?
Natürlich nicht! Ich war einst bei einem Gastronomen in St. Gallen, als ihm ein Vertreter eines englischen Mineralwassers sein Produkt aufschwatzen wollte. Als der Mann auf die Toilette ging, haben wir Leitungswasser mit Kohlensäure versetzt und dem Vertreter vorgesetzt. Er schwärmte dauernd davon, wie gut «sein» Wasser sei (lacht).
Sie aber, Sie sollten doch einen Unterschied merken. Sie haben eine Nase wie Jean-Baptiste Grenouille aus «Das Parfum» und stänkerten schon als Baby, wenn Ihre Mutter die Breili nicht genug gewürzt hatte.
Ich bin aufs Degustieren von Wein trainiert. Wenn ich jetzt Crêpes degustieren müsste, müsste ich mich auch erst hineinverkosten. Aber natürlich, es braucht eine gute Nase. Als ich den Master of Wine gemacht habe, gab es einen Kollegen, der sass vor einem südafrikanischen Shiraz und überlegte sich, ob es ein Gamay ist. Ich roch schon von weitem, was es war. Für mich zu kochen, ist übrigens immer noch schwierig, ich habe oft etwas zu nörgeln.

Eine gute Nase kann auch ein Nachteil sein.
Oh ja! Ich bin kein ÖV-Fan – es riecht immer so penetrant in den Zügen und Trams.

Warum trinken Sie drei Monate im Jahr keinen Wein?
Ich bin immer um Wein herum und trinke häufig mittags und abends Wein – da erreicht man, ohne angeheitert zu sein, automatisch Mengen, bei denen der Hausarzt das Nervenflattern kriegt. Es tut mir gut, drei Monate abstinent zu sein. Ich beweise mir zudem, dass es auch ohne geht.

Jeder Weinhändler ein Alkoholiker, heisst es. Wie viel trinken Sie pro Tag?
Darüber äussere ich mich jetzt nicht.

2700 Weinhandlungen gibt es in der Schweiz – trotzdem haben Sie es in kurzer Zeit zu einer der grössten geschafft. Lags an Ihrem Master-of-Wine-Titel?
Das hat sicher geholfen, weil ich dadurch bekannt geworden bin. Aber grundsätzlich hat niemand auf eine neue Weinhandlung gewartet. Wenn die Qualität nicht stimmt, können Sie Master of the Universe sein und bleiben auf Ihrem Wein sitzen.

Sie werben als einzige Weinhandlung damit, ein kleines Sortiment zu haben.
Das Hauptproblem vieler Weinhandlungen ist ein zu grosses Sortiment. Das ist zwar lustig für den Einkäufer, aber Otto Normalverbraucher ist total überfordert. 500 Weine – welchen soll man da auswählen? Die meisten Konsumenten möchten einfach einen guten Wein zu einem günstigen Preis. Je grösser das Sortiment, desto schwieriger die Qualitätskontrolle. Man kann es mit einem Lokal vergleichen, das von thailändischer bis zu Schweizer Küche alles anbietet. Das kann nicht gut gehen.

In Ihrem kleinen Sortiment haben Sie noch nicht einmal grosse Namen.
Richtig. Schauen Sie, einen Mouton-Rothschild 1986 zu verkaufen, ist keine Kunst. Ich könnte Ihnen an einem Nachmittag erklären, wie man zu den grossen Bordeaux-Weinen kommt, das ist keine Hexerei. Deutlich schwieriger ist es, Trouvaillen zu erschwinglichen Preisen zu finden. Wie in der Kunst gibt es viele Winzer, die ausgezeichnete Weine erzeugen, aber absolute Marketingnieten sind und deshalb günstig verkaufen müssen.

Sie sprechen die Etikette an. Wie wichtig ist sie Ihnen?
Sehr wichtig. Das Auge trinkt mit! Wir hatten eben einen Winzer, dem habe ich eine eigene Etikette produziert. Seine sah so scheusslich aus, dass ich mich jedes Mal geärgert habe, wenn ich die Flasche gesehen habe.
Sie selbst sind in Sachen Eigenmarketing ein ziemlicher Fuchs. Man liest dauernd von Ihnen in der Presse, Sie schreiben Kolumnen und verschicken schöne Broschüren …
… die ich übrigens selbst schreibe – das ist sehr wichtig! Es gibt zu viele abgedroschene Marketinggeschichten, die keine persönliche Note haben. Zu Beginn wurde ich ausgelacht, heute versuchen viele Händler, mich zu kopieren. Die Kommunikation beim Weinverkauf ist die halbe Miete, denn Wein ist ein emotionales Produkt. Was hilft es, wenn ich einen köstlichen Wein habe, ihn aber anbiete wie ein billiges Waschmittel?

Die Konkurrenz ist gross.
Ja, es gibt viel zu viele Weinhandlungen. Gerade die Hobbyweinhändler – ich sage immer: Versicherungsvertreter mit Hobby Wein – halten selten lange durch. Bei Banken werden Weinhandlungen von der Kreditwürdigkeit her gleich schlecht eingestuft wie Restaurants.

Sie erhalten pro Woche rund 200 Musterflaschen zugeschickt, unaufgefordert. Probieren Sie die alle?
Oh ja, und gut 95 Prozent davon sind miserabel. Gerade jene aus Italien sind teilweise grauenvoll! Aber dieser Umstand ist mein Glück: Wenn alle Weine gut schmeckten, dann wäre meine Tätigkeit überflüssig.

Gibt es überhaupt gute Weine – oder ist es immer Geschmackssache?
Das nervt mich, wenn einer sagt, es sei alles Geschmackssache. Wenn Profis verkosten, kommen alle zu einem ähnlichen Ergebnis. Werden Cabernet-Sauvignon-Trauben unreif gelesen, ergibt dies nachher im Wein einen grünen, Peperoni-ähnlichen Geschmack. Natürlich existiert vielleicht jemand, dem dieser Peperoni-Wein schmeckt, aber letztlich ist das einfach ein lausiges Produkt.

Wann ist für Sie ein Wein ein guter Wein?
Ich mag komplexe Weine. Wenn er immer gleichförmig schmeckt und einfach nur rot ist, dann ist er mir zu eintönig. Es gibt heute leider zu viele seelenlose, industriell gefertigte Weine, die pampig und langweilig sind. Ein guter Wein entfaltet seine Aromen und entwickelt immer wieder neue Facetten. Aber wissen Sie, was das Schönste ist?

Nein.
Guten Wein kann man nicht auf Knopfdruck produzieren. Wein ist ein Naturprodukt, das Zeit und Sorgfalt erfordert, fast wie die Erziehung eines Kindes! Bei einer Mercedes-S-Klasse kann man die Produktion verdoppeln, es ist immer dasselbe gute Auto. Beim Wein geht das nicht, weil es nicht beliebig gute Reblagen gibt. Ausserdem benötigen die Reben für wirklich grosse Qualität ein gewisses Alter.

Gibt es eigentlich Kopfweh-Wein? Oder ist es nur eine Frage der Menge?
Wird eine gewisse Menge überschritten, gibt es immer einen Kater (lacht). Aber meistens ist Histamin die Ursache für Kopfschmerzen. Einige Weine haben tendenziell höhere Werte, etwa Rioja und Châteauneuf-du-Pape. Vielen ist aber nicht bekannt, dass gewisse Käse- und Wurstsorten häufig ein Vielfaches an Histamin aufweisen, wie wir es im Wein vorfinden.

Wein ist für Sie keine Investition, sondern ein Genussmittel. Wie viel darf man maximal für Wein ausgeben?
Och, keine Ahnung. Mehr als 300, 400 Franken würde ich nie bezahlen – und das ist schon viel zu viel. Im Normalfall überschreite ich selten 50 Franken.
Ihr letzter Wein, was für einer soll das sein?
Ein grosser Burgunder. Die sind grandios. Aber die meisten Burgunder sind eine Katastrophe. Es kommt selten vor, dass ich Beschwerden von Kunden habe, aber wenn, dann ist es meistens wegen eines Burgunders.

Gibt es so etwas wie den Geschmack des Schweizers?
Ja, viele Schweizer stehen auf weiche, runde Weine. Aber das ist nicht nur hierzulande so. Der Trend geht leider immer mehr zu verstecktem Restzucker im Rotwein, das ergibt dann salopp gesagt einen flauschigen Wohlfühlstil. Früher waren die Rotweine säure- und gerbstoffbetonter. Solche Weine langweilen weniger und passen oft auch besser zum Essen.

Was ist falsch daran, wenn sich die Winzer am Massengeschmack orientieren?
Wird es übertrieben, werden mit dem Zucker sehr viele Aromen des Weins zugekleistert. Das ist dann kein Wein mehr, sondern eine pampige Limonade!

Dann keltern Sie doch Ihren eigenen Wein!
Nur das nicht! Ich kann ja nicht einmal einen Nagel gerade einschlagen. Wenn Weinhändler ein eigenes Gut kaufen, geht das oft schief. Es ist die sicherste Methode, ein Vermögen zu pulverisieren.

Das Schlimmste am Weingeschäft, haben Sie einmal gesagt, seien die «Schnorris mit Halbwissen».
Genau! Was sich meine Mitarbeiter manchmal anhören müssen, ist erstaunlich! Da gibt es dann Leute, die wissen alles besser oder sagen über einen Bordeaux: «Ah, ich rieche da eine deutliche Lavendelnote von den Feldern der Provence» und solchen Quatsch.

Gibt es auch weibliche «Wein-Schnorris»?
Es sind schon eher die Herren der Schöpfung, die von ihrem profunden Weinwissen überzeugt sind. Aber natürlich gibt es auch erstaunlich viele Konsumenten, die wirklich etwas von Wein verstehen. Frauen sind häufig offener, sie sagen direkt, wenn sie einen Wein nicht gut finden. Der Mann hat immer das Gefühl, er müsse etwas von Wein verstehen und verzapft dann irgendetwas Seltsames.

Ist Wein trinken vergleichbar mit Kunst verstehen? Sprich, braucht man das Hintergrundwissen, damit man den Wein schätzen kann?
Nein. Man kann einen Wein als guten Wein schätzen, ohne dass man den Winzer oder sein Gut kennt. Aber mehr Erfahrung und Wissen erhöhen den Genuss. Bei der modernen Kunst hingegen hat man teilweise ohne Erläuterungen keine Chance, das Werk zu würdigen.

Warum sieht man Ihr Geschäft im November nie auf den Weinschiffen der Expovina in Zürich?
Zum Glück sind wir nicht darauf angewiesen, obwohl die Expovina sehr gute Aussteller hat. Mir ist die Weinmesse nicht geheuer, weil manche Konsumenten nur hingehen, um sich gratis zu betrinken. Jetzt habe ich aber Hunger! Gehen wir ins Restaurant?

Klar. Sie essen offensichtlich gern. Auch in Ihren Broschüren spielt das Essen, das Ihnen der Winzer auftischt, immer eine Rolle.
Ja, aber ich bevorzuge die einfache, regionale Küche. Ich musste zu oft in überkandidelten Restaurants speisen und muss es immer noch. Es gibt tolle Gourmetlokale, aber nicht selten ist es nur Wischiwuschiwaschi! Ich mag simple Gerichte, bei denen ich vor dem Essen keine Gebrauchsanleitung studieren muss. Ein schöner Braten oder guter Eintopf ist mir lieber als mittelmässige Coquilles St-Jacques an einer Marzipansauce.

Gutes Essen und guter Wein – reicht das zum Glücklichsein?
Es ist viel. Aber es reicht nicht. Freunde sind das Salz des Lebens. Auch der beste Wein ist in schlechter Gesellschaft unbefriedigend.


Philipp Schwander
(44) stieg nach einer Lehre als Textilkaufmann und einem Studium als Betriebsökonom mit 19 in den Weinhandel ein. Er war zwölf Jahre für den Einkauf der Weinhandlung Martel in St. Gallen verantwortlich, danach war er Geschäftsführer des Weinhauses Albert Reichmuth in Zürich. 1996 bestand der gebürtige St. Galler die Prüfung zum Master of Wine, die schwierigste Weinprüfung der Welt. Es gibt 280 Masters of Wine, Philipp Schwander ist der einzige Schweizer. Seit 2003 ist er Inhaber von Selection Schwander in Zürich.
www.selection-schwander.ch

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Klein – aber oho: Philipp Schwanders Weinkeller