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«Die besten Businessideen kommen beim Blödeln»

Leben

«Die besten Businessideen kommen beim Blödeln»

  • Interview: Miriam Suter; Foto: Catalina Kulczar

Kreativ-Profi Tina Roth Eisenberg lebt seit 18 Jahren in den USA, hat erfolgreich mehrere Unternehmen gegründet und hält regelmässig Vorträge über ihr eigenes Erfolgsrezept. Uns hat die «Swiss Miss» ihre Tipps für Jungunternehmerinnen verraten.

Die Schweizerin Tina Roth Eisenberg lebt und arbeitet in Brooklyn, New York. Es ist keine Seltenheit, dass die Unternehmerin dort auf der Strasse erkannt und angesprochen wird. Das passt zu ihr, denn die gebürtige Appenzellerin hat sich dem amerikanischen Lebensstil angepasst: Sie ist direkt, laut, herzlich. Ich treffe Tina Roth Eisenberg in der Tamedia-Mensa nach ihrem Vortrag an der internen Publizistischen Konferenz, an der die Unternehmerin ihr Erfolgs-Credo vorstellte: «Der beste Weg sich zu beklagen, ist selbst etwas zu kreieren.» 

Tina Roth Eisenberg ist der Internet-Community bestens bekannt als «Swiss Miss». Auf ihrem gleichnamigen Blog sammelt sie Trouvaillen von Spielzeug-Tipps über Weisheiten für den Alltag bis hin zu Designer-Empfehlungen. Heute klicken sich über eine Million Menschen täglich bei Swiss-Miss.com ein. Obwohl Eisenberg Job-Angebote der «New York Times» und des Museums of Modern Art auf dem Tisch hatte, lehnte sie ab. Denn die «Swiss Miss» bevorzugt das unabhängige Arbeiten.

Sie gründete unter anderem «Tattly», eine Firma für Aufklebe-Tattoos, die auch Hipster in der Schweiz lieben und die in über 1200 Geschäften weltweit verkauft werden. Zudem initierte sie die «Creative Mornings»-Reihe, hält Karriere-Vorträge und organisiert Netzwerktreffen für Kreative, die mittlerweile in über 150 Städten auf der ganzen Welt stattfinden. 

annabelle: Wo liegen die grössten Unterschiede in der unternehmerischen Arbeitswelt zwischen der Schweiz und den USA?
Tina Roth Eisenberg: Das kann ich nur aus der Ferne beurteilen, da ich selbst in der Schweiz ja nie ein Unternehmen geführt habe. Aber Freunde von mir, die in der Schweiz ein Start-up auf die Beine stellen wollten, hörten alle wieder auf, weil es zu schwierig war. In Amerika fürchten sich die Menschen nicht davor, dass ihre Idee in die Hose geht: Sie sind wahre Stehaufmännchen. In der Schweiz aber braucht es sehr viel Courage, nach einem Konkurs wieder aufzustehen. Dabei ist es unglaublich wichtig, auch versagen zu dürfen, wenn man ein Unternehmen aufzieht. Und sich das Bewusstsein anzueignen, dass es nicht das Ende deiner Karriere bedeutet, wenn dein Business nicht vom ersten Tag an perfekt funktioniert.

Woher kommen diese Unterschiede?
Ich stelle bei uns Schweizerinnen und Schweizern oft eine «Was denken denn die anderen»-Mentalität fest. Das blockiert einen schon von Anfang an, und das ist schade. Dazu kommt, dass die Amerikanerinnen und Amerikaner karrieretechnisch eine ganz andere Herangehensweise haben. Ein kleines Beispiel: Schon als ich in der Kantonsschule war, hatte ich ständig neue Ideen für Projekte, die ich anreissen wollte. Und ich habe so oft den Satz gehört: «Ach, das klappt sowieso nicht». Dieser Grundpessismismus! Lasst doch die Leute rennen, die eine Idee haben, gerade junge Leute. Ich habe das Gefühl, in der Schweiz ist das auch eine Frage der Reputation: Du willst nicht jemandem helfen, bei dem du nicht weisst, ob er oder sie erfolgreich sein wird. Die Leute hier sind übervorsichtig. In New York erlebe ich das Gegenteil, ich muss mich fast schon dagegen wehren, dass mir die Leute helfen. Diese Offenheit gebe ich gern weiter.

Inwiefern?
Wenn ich auf jemanden stosse, der super ist in dem, was er oder sie tut, dann empfehle ich diese Arbeit weiter. Das funktioniert, weil ich mir einen guten Ruf in der Kreativbranche aufgebaut habe. In New York ist das total normal. Es gibt dazu ein sehr passendes Zitat von Kevin Spacey: «Wenn du es geschafft hast, dann liegt es in deiner Pflicht, viel Zeit dafür zu investieren, dass der Aufzug auch für die anderen wieder nach unten fährt». Das ist wahr: Hätte mein erster Chef mich nach meinem Studium nicht direkt eingestellt und mir diese Chance gegeben, dann wäre ich heute nicht Firmeninhaberin in Amerika. Ich erinnere mich, dass ich ganz am Anfang, als ich in die Stadt kam, in einer Bar mit jemandem ins Gespräch kam und von einer Idee von mir erzählte. Diese Person war begeistert und nahm meine Kontaktdaten auf, um sie einem Bekannten weiterzuleiten, der mir helfen könnte. Das ist der Spirit dieser Stadt: Man hilft einander, man vernetzt sich miteinander, und das führt zu Erfolg.

Haben Sie dafür überhaupt noch Zeit?
Es ist ein Irrglaube, dass solche Dinge viel Zeit beanspruchen. Eine E-Mail mit einer Empfehlung an jemanden zu schicken, dauert fünf Minuten. Der amerikanische Autor und Uniprofessor Adam Grant nennt das den «five minute favour»: Stellen Sie sich mal vor, wir alle würden uns jeden Tag Zeit für zwei solche Fünf-Minuten-Gefallen nehmen. Daraus könnte so viel Gutes entstehen.

Sie blicken auf eine beeindruckende Karriere zurück, die viel Energie, Inspiration und vor allem Durchhaltevermögen braucht. Woher kam der Antrieb dafür?
Eine meiner grössten Inspirationen war meine Tante. Sie war Modedesignerin und Künstlerin und hat mir gezeigt, dass ich eine kreative Karriere schaffen kann. Das war super wichtig für mich. Mein Vater zum Beispiel hat nie daran geglaubt, dass ich als Grafikerin erfolgreich sein werde, dass ich damit genug Geld für meinen Lebensunterhalt verdienen kann. Das war aber keine böse Absicht, als Eltern macht man sich halt einfach Sorgen um seine Kinder. Meine Mutter wiederum führte ein Kleidergeschäft mit 30 Angestellten, was damals unglaublich war: Als Frau warst du zuhause und nicht Geschäftsleiterin. Meine Mutter verliess jeden Morgen um 7 das Haus und kam zwölf Stunden später wieder nach Hause, sie krampfte wie eine Wahnsinnige. Mein Vater war genau so: Er gründete eine Schule für Mac-User und das Magazin «MacIntouch», er liebte seine Arbeit und glaubte daran. Für meine Eltern war Arbeiten nie ein Müssen, sondern ein Wollen. Und das hat mich schon als Kind extrem beeinflusst. Ich hoffe, dass ich das meinen Kindern auch ein bisschen weitergeben kann.

In einem Ihrer Vorträge haben Sie erzählt, dass Ihre heute 11-jährige Tochter zu Ihnen sagte: «Mama, du darfst Tattly nie verkaufen, denn ich will die Firma eines Tages führen».
Genau, mein Sohn sagt dasselbe. Meine Tochter kommt bereits jetzt jeden Dienstagnachmittag ins Büro von Tattly und hilft zum Beispiel beim Versand, das war ihre Idee. Ich finde das sehr herzig. Ich freue mich allerdings darauf, wenn sie ihr erstes Praktikum in einer total langweiligen Bude macht mit hässlichen Büros, und an ihrem ersten Tag wird sie abends heim kommen und sagen: «Mama, die haben keine Schaukel im Büro! Und keine Konfetti und keine Schokolade!»

Was würden Sie heute anders machen?
Ich wünschte, ich wäre mehr gereist, bevor ich Kinder hatte. Aber das sagen wohl alle Eltern. Und ich hätte mehr Firmen gründen sollen vor dem Muttersein. Oder zumindest den grössten Teil der Arbeit schon erledigen. Ein Unternehmen aufziehen und gleichzeitig ein kleines Kind, nicht schlafen, und nochmal schwanger sein, das ist schon heavy.

Und trotzdem ist einer Ihrer Karrieretipps: Haben Sie Kinder.
Ja, das ist definitiv einer meiner grössten Karriere-Katalysatoren. Ich find auch, das ist etwas, das Frauen hören müssen. Ich habe das Gefühl, so viele Frauen haben das Gefühl, sie müssen sich zwischen Kindern und ihrer Karriere entscheiden. Nach jedem meiner Vorträge in Amerika kommen Frauen zu mir und sagen: «Das hat mir sehr geholfen». Natürlich muss man einen Partner haben, der zu gleichen Teilen mithilft und einen unterstützt. Dieses Stigma, mit dem arbeitende Mütter zu kämpfen haben, muss weg. Es geht nämlich schon, wenn man Hilfe hat – und erst recht, wenn man sich Hilfe leisten kann.

Tina Roth Eisenbergs Karrieretipps für Jungunternehmerinnen

  • Etwas, das eigentlich offensichtlich ist, aber oft vernachlässigt wird: Deine Idee muss etwas sein, das dich nicht loslässt. Die Motivation hinter deinem Unternehmen muss sein: «Ich will, dass das existiert in der Welt». Punkt. Denn dann hast du das Feuer zum Weitermachen, wenns schwierig wird. Und vergiss nicht, was deine Grundidee ist; besinn dich immer wieder auf den Ursprung. Denn das ist der Grund, warum deine Idee Erfolg hatte.
  • Werde dir nie untreu.
  • Gründe kein Unternehmen nur fürs Geld. Ich habe alle meine grossen Projekte als Seitenprojekte angefangen, als «Arbeit der Liebe». So ist man viel agiler, viel verspielter. Und auch mutiger.
  • Achte auf deinen Führungsstil. Der sollte auf Vertrauen basieren und auf Leidenschaft: Stell Leute ein, die an das Gleiche glauben wie du. Die dasselbe Feuer im Bauch haben. Und dann: Geh ihnen aus dem Weg, lass sie machen. Vertrau ihnen. Lass sie ausprobieren, lass sie vor allem auch versagen. Wenn deine Angestellten das Gefühl haben, dass sie ein Teil deiner Vision sind, dann leisten sie auch gute Arbeit. Bei Tattly war es so, dass weder ich noch mein Team jemals vorher etwas verkauft hatten, aber ich habe gesagt: «Das finden wir jetzt zusammen raus». Und meine Angestellten sagen immer wieder zu mir: «Tina, wir führen diese Firma zusammen mit dir. Tattly, das sind wir.»
  • Hab Spass! Leute sind so oft so verbissen und haben Angst, dass sie den Job verlieren, wenn sie etwas Falsches sagen. Das bringt nichts. Die besten Ideen kommen beim Blödeln.

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