Für ein Gespräch über Kurt Cobain trifft Autorin Claudia Müller den Künstler Hisko Hulsing, der die verstorbene Musik-Ikone für den Film «Montage of Heck: Kurt Cobain» animiert hat.
Der Regisseur Brett Morgen wusste, dass sein Dokumentarfilm «Montage of Heck: Kurt Cobain» solide war, er mit den geplanten Animationen jedoch etwas riskierte – Szenen, durch die das Werk schwach oder brillant ausfallen konnte. Dann stiess Morgen auf Hisko Hulsing, einen Künstler aus Amsterdam. Morgan sah den Animationsfilm «Junkyard», den Hulsing von A bis Z selbst produziert hatte einschliesslich der Musik (der Film gewann 24 Preise). Daraufhin rief er Hisko Hulsing einfach an.
Claudia Müller: Hisko Hulsing, wie war es für Sie zu hören, dass Sie Kurt Cobain zum Leben erwecken sollen?
HISKO HULSING: Der Regisseur Brett Morgen wollte zuerst nicht, dass man Kurt Cobains Gesicht im Film sieht. Er glaubte, dass es nicht funktionieren würde. Doch mein digitales Modell überzeugte ihn. Allerdings war es sehr schwierig, Kurt Cobain zu zeichnen. Er hatte ein schönes Gesicht, keine echten Merkmale. Als ich dann seine Schwester sah, die ihm ähnlich sieht, hatte ich mehr Anhaltspunkte.
Wie empfanden Sie die Zusammenarbeit mit Brett Morgen?
Als er mich anrief, dachte ich, dass ich mehr Spielraum bei der Umsetzung hätte. Er sendete mir das Script und ich schrieb Kommentare dazu. Das war natürlich nicht so gedacht (lacht – ich auch, weil sein Lachen so ansteckend ist).
Brett Morgen arbeitete sieben Jahre an «Montage of Heck: Kurt Cobain». Die vielen Studios in Hollywood, die er für die geplanten Animationen anfragte, überzeugten ihn nicht. Trotzdem wollte er das vorhandene Audiomaterial in den Film integrieren und mit Animationen lebendig werden lassen. Als er dann den Niederländer Hulsing kontaktierte, freute sich dieser über den Auftrag. Doch als selbstständiger Künstler, der es gewohnt ist, seine Entscheidungen selbst zu treffen, war die Schaffensphase nicht immer einfach: «Die ersten zwei Monate waren schwierig, danach hatte das Team Vertrauen zu mir und es ging besser.»
Der Regisseur zeigte sich in den ersten zwei Wochen mit den Vorschlägen nicht zufrieden, obwohl Hulsing mit den besten seines Fachs zusammenarbeitete. Zur gleichen Zeit übten die Produzenten Druck wegen der Deadlines aus. Amerika wurde wach, wenn Hulsing zu Bett ging. Denn nachts kamen die Anrufe, das Feedback. Mit dem Kopf voller Gedanken fiel es Hisko Hulsing schwer, müde zu werden. «Mein Herz schlug nicht mehr so, wie es sollte.» Der Zeitdruck machte aus dem Einmann-Atelier ein Studio. Hulsing musste Freelancer beauftragen, denn die Zeit war zu knapp, um alles selbst zu zeichnen und zu animieren.
Der Auftrag wurde zum Monsterprojekt, das ihn fast erdrückte. «Eines Nachts sah ich um ein Uhr wieder einen Anruf in Abwesenheit. Ich dachte, ich muss aufhören, sonst kriege ich einen Herzinfarkt.» Er schrieb eine Nachricht als Entwurf, dass er sich vom Auftrag zurückziehe. Versehentlich drückte er auf den falschen Knopf. Versenden. Es war eine Kurzschlussreaktion, die Hulsing, aber auch den Regisseur in Panik versetzte. Am nächsten Tag sass Hulsing wieder in seinem Studio und malte. Nach einem grossen Screening in Amerika war klar: Die Animationen wurden zur Stärke des Films. Das Publikum und die Familie des verstorbenen Musikers Kurt Cobain waren von Hulsings Arbeit begeistert. Täglich malte er eines der insgesamt 55 Ölgemälde und koordinierte die Arbeit der anderen – jeden Tag bis zu 14 Stunden.
Brett Morgen wählte Sie wegen Ihres rauen Stils. Ich fand die Animationen allerdings sehr schön. Was ist mit rau gemeint?
Damit ist der Pinselstrich gemeint, man sieht den Strich, da ist keine Perfektion wie bei computeranimierten Landschaften. Man sieht, dass es von Hand gemalt wurde.
Walt Disneys «Bambi» ist ein Film, den Hisko Hulsing gern als Vorbild nimmt für seine künstlerischen Ausführungen, die es so heute fast nicht mehr gibt. «Natürlich ist «Bambi» ein bisschen kitschig, aber ich sehe eine künstlerische Ambition dahinter, die ich heute in grossen Produktionen nicht mehr finde.» So arbeitete Disney zu Beginn beispielsweise mit Künstlern wie Salvador Dali oder dem Komponisten Igor Strawinsky zusammen. «Heute ist der künstlerische Aspekt verloren gegangen», so Hulsing. Im Mittelpunkt steht die Unterhaltung. So aufwendig wie der sympathische Künstler arbeitet heute fast niemand mehr. Ölbilder werden bei ihm zum Leben erweckt. Trotz der positiven Resonanz ist der Künstler kritisch. Die Gesichter wirken – das findet vor allem sein 11-jähriger Sohn – stärker computeranimiert als noch in seinem letzten Film «Junkyard», für den er sechs Jahre brauchte.
Im aktuellen Dokumentarfilm sieht man in einer der animierten Szenen Kurt Cobain mit ein paar Freunden in Aberdeen, die ein Haus aufsuchen, in dem eine junge Frau lebt. Dem Tonband zufolgen wollte Kurt mit ihr schlafen.
Hatten Sie Fotos für die Szene mit den Teenagern im Haus in Aberdeen?
Nein. Dieses Mädchen hat es wahrscheinlich nie gegeben.
Wirklich?
Wir hatten nur das Tonmaterial von Kurt Cobain. Dieses ist jedoch nicht wörtlich zu verstehen. Ich habe mich mit Aberdeen und seinen Einwohnern auseinandergesetzt. Danach konnte ich aus dem Kopf heraus die Figuren zeichnen.
Jetzt stehen Ihnen alle Türen offen. Sie könnten auch ein eigenes Projekt verfolgen?
Ja, aber ich weiss noch nicht, was ich tun möchte.
Wenn Sie mit einem Projekt starten würden, wäre es dann eher etwas Persönliches?
Der Dokumentarfilm «Montage of Heck» ist so erfolgreich, wie ich es nie erwartet hätte. Darum möchte ich jetzt zuerst schauen, welche Angebote ich erhalte. Aber ich weiss, dass ich tief in meinem Herzen einfach Schönes schaffen will.
Hulsing stellt die Musik an, wir hören ein klassisches Stück des russischen Komponisten Dmitri Shostakovich. Er taucht ab in seine Welt der Bilder, die Musik ist gewaltig. Dann klingelt das Telefon. Sein Sohn ruft an, um ihn zu warnen, dass die Nachbarschaft die Musik hören kann. Die Musik ist eine der vielen Ideen, die Hulsing hat. Seit dem Erfolg mit dem Film über Kurt Cobain bieten sich dem holländischen Künstler viele Möglichkeiten. Er könnte seinen eigenen Feature-Film realisieren oder ein Musikvideo für einen bekannten US-Rapper drehen. Doch diese Vielfalt bereitet ihm auch Kopfzerbrechen – ein Luxusproblem, wie Hulsing findet: «Am liebsten würde ich einfach malen.»
Hisko Hulsing (1971) studierte an der Willem de Kooning Academie in Rotterdam. Seine eigenen Filme («Seventeen» 2004 und «Junkyard» 2012) schrieb und produzierte er selbst. «Junkyard» ging 2013 als bester Animationsfilm ins Rennen für die Oscars und hat bisher 24 Preise gewonnen. Neben seiner Arbeit als Künstler arbeitete er auch immer wieder als Illustrator und entwickelte Storyboards für Werbeunternehmen. Hulsing wohnt zusammen mit der Violistin Carmen Eberz und seinem Sohn Dario (11) in Amsterdam. www.hiskohulsing.com