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Baptiste Giabiconi: Karl Lagerfelds Muse

Baptiste Giabiconi: Karl Lagerfelds Muse

  • Text: Gabriela HerpellFotos: Armin Smailovic

Als Muse von Karl Lagerfeld wurde er berühmt. Heute ist er das bestbezahlte Männermodel der Welt. Nun versucht er sich auch als Sänger. Wir haben den 22-Jährigen an ein Konzert in seiner Heimatstadt Marseille begleitet.

Als Muse von Karl Lagerfeld wurde er berühmt. Heute ist er das bestbezahlte Männermodel der Welt. Nun versucht er sich auch als Sänger. Wir haben den 22-Jährigen an ein Konzert in seiner Heimatstadt Marseille begleitet.

Es ist früher Nachmittag, als Baptiste Giabiconi am Bahnhof von Marseille ankommt, und er hat Hunger. Aber erst sind die Mädchen dran, die hier auf ihn gewartet haben, die Fans. Küsschen rechts, Küsschen links, dann winkt er ein Taxi heran.

In einer Bar am alten Hafen bestellt er einen Burger, bedankt sich artig beim Kellner, als der das Essen bringt, und stürzt sich drauf. Nach zwei Bissen verzieht er das Gesicht, legt das Besteck beiseite, lächelt tapfer. Es ist ein Haar im Essen, und es ist lang, also nicht seins, denn er trägt die Haare kurz mittlerweile. Aber er beschwert sich nicht.

«Baptiste Giabiconi hat überhaupt keine Starallüren», sagt Side Hajjaji, sein Freund, Manager und Produzent. Dabei hätte er Grund genug dazu: Baptiste Giabiconi ist 22 Jahre alt und das zurzeit am besten verdienende Männermodel der Welt. Sein Entdecker, Modeschöpfer Karl Lagerfeld, machte ihn erst zu seinem liebsten Fotomotiv und erklärte ihn dann zu seiner Muse. Natürlich wurde viel über das Verhältnis der beiden spekuliert.

Jetzt möchte Baptiste Giabiconi Musiker werden, Sänger, um es genau zu sagen. Heute Abend wird er, der aus einem Vorort von Marseille stammt, sein erstes Konzert in der Heimatstadt geben. Nervös sei er nicht, sagt er und winkt ab, die Musik ist seine Leidenschaft und Marseille ein Heimspiel, was soll da schiefgehen? Wenn er lächelt, sieht man seine Zahnlücke, wohltuend unperfekt im sonst so ebenmässigen Gesicht. Er ist mittelgross und sehr schmal. Kariertes offenes Hemd, darunter ein schwarzes T-Shirt, an den Jeans baumelt eine dicke silberne Kette der amerikanischen Luxus-Modeschmuck-Linie Chrome Hearts, die bei Stars wie Guns N’ Roses, Brad Pitt und auch Karl Lagerfeld sehr beliebt ist.

«Es ist eine Freude, mit Baptiste zu arbeiten», nimmt Side Hajjaji, der Manager, den Faden wieder auf. Er sagt, Baptiste Giabiconi würde einer neuen Generation Musiker angehören. «Er raucht nicht, er trinkt nicht, er geht nicht nächtelang in Discos und nimmt auch keine Hotelzimmer auseinander.» Side Hajjaji lacht. «Ich glaube», sagt Baptiste Giabiconi dazu, «die Zeiten des überheblichen Rockstars, der es chic fand, mit niemandem zu reden, alle Regeln zu brechen und in Interviews wegzudämmern, sind vorbei.»

Als Kind hat er die Musik genau solcher Stars gehört: Rolling Stones, David Bowie, George Michael. Aber Idole seien das nicht gewesen, sagt er, Idole hatte er nie. Auch keine Poster an den Wänden seines Zimmers, er mochte es lieber streng, nüchtern. Man kann sagen: Ein Träumer war er nicht. Und so ist für ihn auch kein Traum wahr geworden, weil er jetzt erfolgreich modelt und womöglich noch als Popstar durchstartet. Es ist das Resultat seiner Haltung, seiner Arbeitsmoral, seiner Disziplin. «Ich bin immer schon sehr straight gewesen», sagt er. «Wenn ich etwas wirklich wollte, habe ich alles daran gesetzt, es zu bekommen.»

Fünf Kilometer vom Marseiller Flughafen entfernt, also in der Einflugschneise, liegt Saint-Victoret: 6000 Einwohner, zwei Coiffeure, zwei Floristen, zwei Bäcker. In der Bar Le Diplomate am kleinen Platz wetten die Männer auf Pferde und verfolgen die Rennen am Fernseher, der mitten im Laden von der Decke hängt. Zwei Frauen sind unter den Männern. Die eine bringt die Getränke, die andere verkauft Zigaretten und Lottoscheine.

Den Leuten sagt der Name Giabiconi nichts, obwohl die Familie, dem Ursprung nach korsisch, seit mehr als dreissig Jahren hier lebt. Wenn man sie aber fragt, ob sie den jungen Mann kennen, der Modefotos macht, hellen sich ihre Gesichter auf. «Laurent, du wohnst doch neben der Familie des Jungen, der in Paris Model geworden ist. Bei Karl Lagerfeld, du weisst schon», ruft die Zigarettenverkäuferin einem Gast zu. Laurent nickt und sagt, das Restaurant, in dem der Junge seine Lehre gemacht habe, habe gerade wieder aufgemacht. «Le Pavé Mosaïque» auf der Hauptstrasse, nicht zu verfehlen. Ein unansehnlicher Betonklotz mit orangeroter Leuchtreklame.

Entdeckt im Fitnessstudio

Hässlich ist der Ort, in dem Baptiste Giabiconi aufgewachsen ist, nicht. Er hat sogar richtig schöne Flecken: einen Fluss, in dem man fischen kann, verwinkelte Häuser, zugewuchert von Weinreben und Bougainvilleen, ein schickes Rathaus mit imposantem Schlosspark.

Baptiste Giabiconi war ein Nesthäkchen. Als er sich ankündigte, wurde seine Mutter vierzig, hatte zwei Töchter im Teenageralter und eigentlich kein Kind mehr geplant. Sie war nicht glücklich über die Schwangerschaft. Doch ihre Töchter überredeten sie dazu, das Baby zu bekommen. Und kümmerten sich anfangs viel um den kleinen Bruder.

Als der zur Schule kam, gingen die Schwestern jedoch aus dem Haus. Als Baptiste zwölf war, verliess auch noch der Vater seine Familie und kehrte mit einer anderen Frau in seine Heimat, nach Korsika, zurück. Da waren sie plötzlich nur noch zwei. Eine schwierige Situation für den Buben und seine Mutter. «Ich wollte ihr nicht mehr Kummer machen, als sie ohnehin schon hatte», sagt er heute. «Es war ja vor allem für sie eine harte Zeit.»

Baptiste Giabiconi war spindeldürr damals, hatte viele Pickel, einen leichten Silberblick – und die Zahnlücke. Er fühlte sich, wie viele junge Menschen, nicht wohl in seiner Haut. Es seien die Jahre gewesen, sagt er, in denen man beide Eltern gebraucht hätte: «Man ist ja so auf der Suche nach sich selbst.» Der Vater hat ihm gefehlt. Aber das hat ihn stark gemacht. Unabhängig. Reif sogar, «vielleicht». Er lächelt. Die Zahnlücke macht ihm schon lange nichts mehr aus.

Als Baptiste 14 war, ging er von der Schule ab. Er hatte das Gefühl, praktische Arbeit würde ihm eher liegen als die Theorie. Nach zwei Jahren als Kellner im «Pavé Mosaïque» schloss er die Ausbildung zum Gastronomen ab. Und fing an, als Helikoptermonteur zu arbeiten. Zwischen Saint-Victoret und dem Flughafen liegt auf einem riesigen Gelände ein Eurocopter-Werk. 2006 und 2007 stand Baptiste Giabiconi dort am Fliessband, als einer von zwölftausend Beschäftigten. Man habe gut Geld verdienen können, sagt er. Und er sparte auf sein eigenes Restaurant – das war der Plan. Er träumte nicht vom Leben als Popstar, das war überhaupt nicht seine Art. «So einen künstlerischen Beruf ergreift man ja nicht einfach», sagt er und schüttelt den Kopf. «Das kommt einem doch gar nicht in den Sinn, wenn man so lebt wie ich damals.»

Er mochte sein Leben, ging abends zum Sport oder machte mit Freunden Musik, und es war gut so – bis eines Tages jemand im Fitnessstudio auftauchte und meinte, warum gehst du nicht nach Paris und machst Fotos? Du siehst gut aus, versuchs doch einfach. Aus dem schlaksigen, unsicheren Typ war ein hübscher junger Mann geworden. Ja, warum eigentlich nicht, dachte sich Baptiste, 17 Jahre alt war er da. Er kündigte bei Eurocopter mit der Option, ein Jahr später wieder anfangen zu können.

Dann war es wie im Film: Nach neun Monaten kehrte er zurück nach Saint-Victoret, fix und fertig und um einige Illusionen ärmer. Er hatte ein paar Jobs ergattert in Paris, aber es war so schlecht gelaufen, dass er nicht davon leben konnte. Doch nicht lange danach sah Karl Lagerfeld sein Foto in einem Magazin. Sofort wollte er ein Testshooting mit ihm machen. Und so nahm das Schicksal, an das der Katholik Baptiste Giabiconi ganz fest glaubt, seinen Lauf: In den nächsten drei Jahren sah man ihn ständig an der Seite von Karl Lagerfeld, in Magazinen wie «Vogue», «Wallpaper», «Elle», «Harper’s Bazaar» und in Kampagnen für Chanel, Giorgio Armani, Fendi, Karl Lagerfeld.

Am Abend des Konzerts in Marseille steht ein riesiger Strauss mit weissen Orchideen in seiner Garderobe. Immer wenn Baptiste auftritt, schickt Karl Lagerfeld weisse Blumen und einen versiegelten Brief dazu, in dem er ihm in seiner grossen Handschrift Glück wünscht und ihn umarmt: «Bises.» Baptiste Giabiconi liest und schiebt den Brief in den Umschlag zurück. Ein bisschen gerührt ist er schon. Karl Lagerfeld sei sein Mentor. «Er hat mich geführt, er hat mir so viel beigebracht, er weiss alles, er ist besser als jede Schule. Es gibt niemanden, vor dem ich mehr Respekt habe.» Er redet sich in Fahrt: «Karl ist eine faszinierende Persönlichkeit. Er ist sich immer treu geblieben. Uns verbindet eine tiefe Freundschaft, nein – Karl ist Familie für mich.»

Zu Baptistes 20. Geburtstag hatte sich Karl Lagerfeld mit Madame Giabiconi abgesprochen und war als Überraschungsgast nach Saint-Victoret gekommen. Das werde er nie vergessen, sagt Baptiste Giabiconi. Es ist ihm nicht unangenehm, über sein Verhältnis zu Lagerfeld zu sprechen. «Wir telefonieren oft, ich erzähle ihm, was ich mache, er erzählt mir, was er macht», sagt er. «Und er unterstützt mich in allem, auch jetzt mit der Musik.»

Vor dem Auftritt zieht Baptiste Giabiconi sich ungefähr zehnmal um. Am Schluss hat er wieder dieselben Jeans an, in denen er schon den ganzen Tag herumgelaufen ist. Dazu ein ärmelloses Shirt, eine Lederjacke, an jedem Handgelenk mehrere silberne Armbänder, die Schnallen an den schwarzen Stiefeln lässt er offen. «Mit Mütze oder ohne Mütze?», fragt er. Mit Mütze, sagt Side Hajjaji, der Manager. Erst mal. Er kann sie immer noch ausziehen, wenn es ihm zu heiss wird auf der Bühne.

Er ist supernervös mittlerweile. Ständig kontrolliert er sein Handy. Oder tut so, als würde er es kontrollieren, um beschäftigt zu wirken. Im Backstage-Raum sind die Tische gedeckt, es gibt Couscous, Gulasch, Käse, Brot, Wein für die Künstler und die Techniker. Giabiconi schüttelt den Kopf. Er kriegt nichts runter. Seine Bandmitglieder setzen sich hin und essen, seelenruhig. Sie sind nachmittags aus London gekommen. Alle drei – Bassgitarrist Owen Parker, Schlagzeuger Craig Blundell und Gitarristin Dawn Mynott – sind routiniert, haben mit den Pet Shop Boys, Amy Macdonald, Spandau Ballet gespielt. So ein Abend in Marseille verdirbt ihnen nicht den Appetit.

Für Baptiste Giabiconi aber ist dieser Abend ein ganz besonderer: Im Publikum sitzen seine Mutter und seine Schwestern mit ihren Familien. Sogar sein Vater ist gekommen. Er hatte lange keinen Kontakt zu ihm, weil er ihm nicht verzeihen konnte, dass er die Familie verlassen hatte. Und die Mutter hatte den Vater auch nicht mehr sehen wollen.

Als es so weit ist, geht Baptiste doch ohne Mütze auf die Bühne. Es wäre auch zu heiss gewesen. Er arbeitet schwer, geht auf die Knie, reisst sich die Lederjacke vom Leib, reckt seine muskulösen Oberarme in die Luft. Er singt seine neuesten Electro-Glamrock-Songs, die in diesen Tagen auf seinem Erstling «Oxygen» erscheinen: «One Night in Paradise» und «Tomorrow». Und er kämpft, singt aus voller Kraft, um sich zu behaupten gegen die Gitarren und das Schlagzeug. Nur beim Refrain wird er leiser, fast bricht ihm die Stimme, dazu der schmachtende Blick, den man von seinen Fotos kennt. Die Mädchen in den ersten Reihen kreischen vor Begeisterung.

Zu ihnen geht er hin, als er fertig ist, verteilt Küsschen und Autogramme wie am Nachmittag am Bahnhof. «Ich möchte nicht unerreichbar sein. Ich möchte Kontakt haben zu meinen Fans», sagt er und erklärt, dass er ihnen auch auf Facebook antwortet.

Katy Perry? Die Zeit wird zeigen, was daraus wird

Danach ist er ziemlich erschöpft, aber immer noch unruhig. Seine älteste Schwester kommt mit ihrem Sohn hinter die Bühne. Die kräftige blonde Frau mit dem praktischen Kurzhaarschnitt sieht ihrem glutäugigen Bruder gar nicht ähnlich, der Neffe hingegen umso mehr. Sie flüstert dem Bruder etwas ins Ohr, sein Gesicht wird ernst. Das Wiedersehen von Vater und Mutter scheint nicht gut geklappt zu haben. Es lässt sich dann auch keiner von beiden in der Garderobe blicken, wie es abgemacht war.

«Meine Mutter», hat Baptiste Giabiconi vor dem Auftritt gesagt, Zeigefinger und Mittelfinger gespreizt und auf sein Gesicht gerichtet, «das sind meine Augen, voilà.» Wenn er jetzt enttäuscht ist, zeigt er es nicht. Aber fahren möchte er, endlich schlafen. Er übernachtet mit der Band und dem Manager in einem Hotel am alten Hafen. Im Auto ist es lange still. Giabiconi legt den Kopf nach hinten und schliesst die Augen. Nach einer Weile erzählen die Musiker lustige Geschichten von wilden Sessions und langen Nächten.

Baptiste hört zu. Dann sagt er, ganz plötzlich, als müsste er da was richtigstellen: So wie heute sei er nun auch nicht immer. «Ich gehe viel mit Mädchen aus. Ich liebe die Frauen!» Den letzten Satz ruft er fast, als wollte er Gerüchten um seine sexuellen Neigungen ein Ende setzen.

Jetzt oder nie, denkt man da und fragt: Sind Sie nicht gerade frisch verliebt? – «Verliebt? In wen?», fragt er zurück, betont naiv. Und dann: «Meinen Sie etwa Katy?» Er betont ihren Namen auf der zweiten Silbe. «Katy Perry?» Er kichert. Er ist wieder wach. In den letzten Tagen gab es ständig Mutmassungen in den Boulevardblättern über eine Liaison zwischen ihm und der Sängerin. Manchmal dementierte einer von beiden und manchmal auch nicht.

«Katy und ich, das ist eine lange Geschichte», sagt er dann. «Wir kennen uns schon eine Weile und haben uns beim Defilee von Chanel wieder getroffen. Wir haben ein Glas getrunken, und jeder hat von seinen Plänen erzählt. Wir sind Freunde.» Freunde? Das ist alles? Er lächelt amüsiert. «Wir telefonieren», sagt er. «Sie ist toll. Aber es gab keinen Coup de foudre, es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Die Zeit wird zeigen, was daraus wird.» Side Hajjaji, der Manager, kichert. «Gut gespielt.»

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«Ich gehe viel mit Mädchen aus. Ich liebe die Frauen!» Am alten Hafen

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Abends auf der Bühne

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