Zeitgeist
«Ich bin nicht mal mir eine Mutter»: Ein Treffen mit Sheila Heti
- Text: Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: Alamy
Sheila Heti verhandelte in ihrem Buch «Mutterschaft» die Frage, ob sie Kinder will – am Ende stand ein klares Nein. Wie sieht sie das vier Jahre später? Chefredaktorin Jacqueline Krause-Blouin hat die Autorin in Connecticut besucht.
Die kanadische Schriftstellerin Sheila Heti ist gewissermassen die Mutter der modernen Mutter-Bücher. Vor rund vier Jahren traf ihr Buch «Mutterschaft» einen Nerv. Schonungslos ehrlich und kompromisslos dokumentierte Heti ihren Prozess, ihre Suche nach einer Antwort: Will ich Mutter werden? Die Antwort der Frau, die sich selbst als «absoluten Familienmenschen» bezeichnet: Nein. Kein Kind. Auf gar keinen Fall. So jedenfalls schliesst sie das letzte Kapitel in «Mutterschaft». Aber wie geht es ihr vier Jahre nach dieser lebensprägenden Entscheidung?
Ich treffe Sheila Heti in Connecticut, genauer im verschlafenen 3000-Seelen-Örtchen Niantic, ungefähr 200 Kilometer von New York entfernt. Sie wohnt in einem weissen Holzhäuschen mit Spitzengardinen. Eine Türglocke gibt es nicht. Dafür lautes Hundegebell, als ich klopfe. Das muss Sheila Hetis Rottweiler sein, von dem ich bereits gelesen habe.
Eingerichtet wie eine strickende, Guetsli backende Oma
Heti öffnet kichernd die Tür, der Rottweiler springt mich an. Ich unterschlage, dass ich Angst vor Hunden habe, um mich nicht gleich unsympathisch zu machen. Wir haben allerdings ein anderes Problem: «Oh, mein Gott. Wir tragen ja fast dasselbe Kleid», ruft Heti, die viel kleiner ist, als ich sie mir vorgestellt habe. «Ich muss mich umziehen, das ist mir zu krass, wenn wir uns so spiegeln.»
Schon ist sie die Treppe hochgehuscht, während ich dem grummelnden Rottweiler gut zurede. «Braves Hundchen.» Anhand der Einrichtung würde man hier keine 45-jährige Intellektuelle aus Toronto erwarten, sondern eine strickende, Guetsli backende Oma, die den ganzen Tag über viel zu laut amerikanische Talkshows schaut. Zu ihrer Verteidigung muss man festhalten: Heti wohnt nur temporär in Connecticut, weil sie an der hiesigen Eliteuniversität Yale unterrichtet.
«So, jetzt geht es mir besser», die Schriftstellerin steht nun in einem Jupe mit Blumenprint und weissem Tanktop vor mir. Sie schlägt vor, dass wir mit dem Hund spazieren gehen. Unterwegs zieht der riesige Rottweiler die zierliche Frau aber dauernd in Richtungen, in die sie nicht gehen möchte. Also verwirft Heti ihren Plan. Der Hund muss zurück ins Haus. Zum Glück. Aber zuerst müssen wir ihn austricksen. Ich muss mich auf die Couch setzen, damit der Hund meint, so Heti, wir würden ebenfalls im Haus bleiben. Das Ablenkungsmanöver dauert ungefähr zehn Minuten, bis wir unter lautem Gejaule endlich rausrennen können. Soll noch mal einer sagen, Hunde seien unkomplizierter als Kinder.
Heti macht allerdings auch draussen keine Anstalten, endlich mit dem Interview beginnen zu wollen. Sie will mir lieber einen Vintage-Laden zeigen, in dem zwei ältere Damen Broschen polieren. «Schauen Sie, das müssen sie unbedingt anprobieren!» – sie streckt mir ein grünes Samtkleid entgegen. Sheila Heti umgibt etwas Zauberhaftes, man möchte ihr unweigerlich gefallen. Selbst dann, wenn sie abgefahrene Sätze sagt wie: «Mein Körper ist eine uralte Kreatur, die nach Zeichen im Universum sucht.» Also probiere ich das Kleid an, obwohl ich bereits weiss, dass es mir nicht gefallen wird, so gar nicht meinem Stil entspricht. «Wow, wunderschön!», ruft Heti als ich zögerlich aus der Kabine trete. Ich kaufe das Kleid nicht.
Ich will ihr gefallen
Dieses Gefühl, ihr gefallen zu wollen, begleitet mich aber weiterhin. Ich sage Dinge wie: «Ich wollte auch nie Mutter sein.» Und tue so, als ob ich mir meiner Rolle gar nicht sicher wäre. Schliesslich soll sie sich ihrer Entscheidung wegen nicht schlecht fühlen. Mir hingegen wird unwohl, als ich merke, was hier gerade passiert. Mit mir. Obwohl ich es – rein rational – besser weiss, geht ein unbewusster Teil von mir offenbar noch immer davon aus, dass man als Frau nicht komplett erfüllt sein kann, wenn man wie Sheila Heti keine Mutter ist. Ich schäme mich dafür. Wir müssen dringend reden. In ihrem Lieblingscafé angekommen bestellt Heti Muffins und Eistee.
annabelle: Sheila Heti, Ihr Buch «Mutterschaft» wurde vor vier Jahren veröffentlicht. Sie haben sich im letzten Kapitel gegen ein Kind entschieden. Wie ging dieser Prozess nach der Veröffentlichung weiter?
Sheila Heti: Das klingt jetzt verrückt, aber in dem Moment, als das Buch veröffentlicht wurde, dachte ich mir: «So. Jetzt kannst du ein Kind machen». Ich habe mir plötzlich vorgestellt, wie ich schwanger auf Lesereise gehe und darüber spreche, warum ich niemals schwanger werden wollte.
Aber Sie waren sich doch so sicher.
Ja, aber ich hatte die ganze Sache analytisch so durchdacht, dass ich danach eine andere Beziehung zum Thema bekam. Eine Beziehung, die nicht emotional war, sondern rein intellektuell. Ich hatte mich aktiv befreit von all diesen unbewussten Gefühlen, die uns die Gesellschaft bei dieser Frage aufdrängt – und von meinen Hormonen. Ich fühlte mich zum ersten Mal frei genug, eine bewusste Entscheidung zu treffen.
Eine zu hundert Prozent selbstbestimmte Entscheidung?
Genau. An diesem Punkt kommt es fast nicht mehr darauf an, wie man sich entscheidet. Ich war mir plötzlich sicher, dass ich als Mutter und als Nichtmutter glücklich sein kann. Es spielte keine Rolle mehr. Hauptsache, man ist frei. Und vorher spielte nur das Kinderbekommen eine Rolle. Nun, dieser Prozess hat vier Jahre meines Lebens in Anspruch genommen, aber ich bin eben jemand, der lieber über Dinge nachdenkt, als sie zu tun.
Und heute, hadern Sie noch ab und zu?
Nein, ich habe gemerkt: Ich will wirklich kein Kind. Einzig während der Pandemie hatte ich einen kurzen Rückfall, aber das war nur, weil mein Leben plötzlich stillstand und ich das Gefühl hatte, jetzt wäre es schön, ein Baby zu bekommen. Als ich mein Leben zurückhatte, war ich sehr froh, dass ich keine verrückte Entscheidung getroffen hatte! (lacht)
Wenn man Sie googelt, kommt als erstes Resultat: «Hat Sheila Heti ein Kind?»
Ich weiss. Und danach kommt: «Wie sieht Miles aus?»
«Ich bin jemand, der lieber über Dinge nachdenkt, als sie zu tun»
Miles, so heisst der männliche Protagonist in Ihrem Buch.
… der natürlich total erfunden ist und überhaupt nicht mein richtiger Freund. (zwinkert mir zu) Wollen Sie ein Foto sehen? (lacht und kramt ihr Handy aus der Jackentasche) Hier ist er ein Teenager und so sieht er jetzt aus. (Sie zeigt ein Foto eines schwarz gekleideten, etwas gealterten Beatnik-Hipsters.) Wir sind schon 13 Jahre ein Paar. Wenn ich mit jemand anderem zusammen wäre, hätte ich vielleicht viele Kinder bekommen. Aber für uns als Paar passt es so.
Erinnern Sie sich an das erste Mal, als Sie aktiv den Wunsch verspürten, Mutter zu werden?
Ja, zu Beginn dieser Beziehung. Aber das war mehr instinktiv, ich war einfach so verliebt und wollte alles von und mit dieser Person. Auch ein Kind. Aber das war mehr so eine romantische Überreaktion.
Haben Sie als Kind «Familie» gespielt?
Nein, ich habe das gehasst. Ich habe immer nur gespielt, dass ich eine Lehrerin bin, die anderen etwas beibringt.
Sie waren sich bereits als Kind sicher, dass eine Frau nur entweder ihre Arbeit oder ihr Kind lieben kann. Woher kam das?
Von meiner Mutter. Ich habe ihre Leidenschaft für ihre Arbeit fehlinterpretiert. In meiner Wahrnehmung brannte sie für ihre Arbeit und interessierte sich nicht sonderlich für uns Kinder. Jetzt weiss ich, dass ein Mensch viele Dinge gleichzeitig lieben kann. Es war nur bei meiner Mutter nicht so. (hält inne und beginnt sich am Bein zu kratzen) Juckt es Sie auch so?
Ja, was zur Hölle ist das?
(Wir kratzen uns beide an den Beinen.) Keine Ahnung, Hilfe!
Stimmt es nicht ein wenig traurig, dass Sie sich schon als Kind sicher waren, nie Kinder zu wollen – und Sie trotzdem das Gefühl hatten, dass Sie dem nachgehen, sich erklären müssen?
Ich wusste, dass ich anders war, aber ich wusste nicht, warum. Ich musste es anderen Menschen erklären, damit ich es mir selbst erklären konnte. Vom Druck der Gesellschaft und der ewigen Fragerei nach den Fortpflanzungsplänen von Frauen ganz zu schweigen. Aber ich glaube, dass sich das unterdessen bereits verändert. Ich bin mir nicht sicher, wie sehr sich eine 25-Jährige heute noch rechtfertigen muss, wenn sie keine Kinder will.
Sie schreiben, dass es gar nicht nur schlecht sei, die Träume der Mutter zu leben. Leben Sie den Traum Ihrer Mutter, indem Sie ein kinderfreies Leben leben?
Nein. (denkt lang nach und fängt wieder an, sich am Bein zu kratzen) Aber ich glaube, meine Mutter lebte die Träume ihrer Mutter, meiner Grossmutter. Sie zog von Ungarn nach Kanada und widmete sich dort ihrer erfolgreichen Karriere als Ärztin. Ich glaube, sie hat das nie bereut.
Bereuen Sie etwas in Ihrem Leben?
Nein. Nur in Bezug auf Onlineshopping.
Nachdem Sie diesen Entscheidungsprozess so intensiv durchgemacht haben: Worauf sollte man eher vertrauen, auf den Körper oder auf den Kopf?
Körper und Kopf machen unterschiedliche Fehler. Man sollte beiden nicht trauen. Was wäre für Sie denn leichter zu ertragen: Die Fehler des Körpers oder diejenigen des Kopfes?
Die Fehler des Körpers, weil ich die Schuld dann nicht mir, sondern den biochemischen Prozessen in meinem Körper geben könnte.
Stimmt. Wenn der Kopf den Fehler begeht, dann fühlt man sich stärker verantwortlich. Mir persönlich ist das lieber. Ich möchte Verantwortung für mein Tun übernehmen. Seit ich hier in Connecticut bin, wollte ich jeden Tag Yoga machen. Ich habe es genau einmal in zwei Wochen geschafft. Ist das nun ein Fehler des Körpers oder des Kopfes?
Des Kopfes, weil Sie sich nicht genug motivieren können.
Aber der Körper war doch faul! Oder motiviert der Kopf den Körper nicht genug? – Aber ja, stimmt, der Kopf ist schuld!
Ich glaube, der Kopf hat mehr Macht über den Körper als umgekehrt. Wenn Sie zum Beispiel in einer festen Beziehung sind und sich in jemand anderen verlieben und einen Seitensprung begehen, dann ist das doch kein Vergehen des Körpers, sondern des Kopfes. Schliesslich haben Sie sich aktiv dafür entschieden.
Das Bedürfnis kommt aber vom Körper aus. Doch der Körper macht keine Fehler, weil er keine Moral kennt. Es gibt also nur Vergehen des Kopfes.
Es gab einen Moment in Ihrem Leben, in dem Ihr Körper das Bedürfnis äusserte, sich fortzupflanzen.
Ja, aber dann hat sich mein Kopf eingeschaltet und gesagt: Moment mal, was genau würde das denn bedeuten? Ich hätte einfach keine Freude daran, mich um ein Kind zu kümmern. Es steckt Freude darin, ein Kind lieben zu dürfen. Aber sich um eines zu kümmern, tagein, tagaus? Das ist einfach nur Arbeit. Früher war es eine körperliche Entscheidung, Kinder zu haben, heute ist es eine reine Kopf-Entscheidung. Wobei: Früher, und damit meine ich vor der Erfindung der Pille, hatte man als Frau auch gar nicht die Möglichkeit, sich gegen ein Kind zu entscheiden. Obwohl ich die Entwicklung natürlich begrüsse, ist es auch irgendwie einfacher, wenn man sich gar nicht entscheiden muss.
Glauben Sie, dass Sie sich vielleicht für ein Kind entschieden hätten, hätten Sie nicht so viel Erfüllung in Ihrem Beruf gefunden?
Schwer zu sagen, aber da ich schon als Kind sicher war, dass ich nie Mutter sein wollte, glaube ich, dass es nichts mit meinem Beruf zu tun hatte. Ich weiss nur, dass ich gern Erwachsenenspiele spiele. Und mit einem Kind spielt man nun mal Kinderspiele.
Was sind denn Erwachsenenspiele?
Bücher schreiben, Gespräche, Sex.
Haben Sie je darüber nachgedacht, welche Art von Mutter Sie hätten sein wollen?
Ich glaube, ich wäre wie mein Vater geworden. Mein Vater hat mich bemuttert. Er hatte nicht viele Regeln, hat mich vor allem gelobt. Sein Hauptanliegen war, dass ich glücklich bin.
In Ihrem neuen Roman «Pure Color» unterteilen Sie die Menschen in drei Gruppen: Vögel, die sich vor allem für sich selbst interessieren, Fische, die sich für die Gesellschaft interessieren, und Bären, die sich für ihr direktes Umfeld interessieren. War Ihr Vater ein Bär?
Ja. (lacht)
«Ich hätte einfach keine Freude daran, mich um ein Kind zu kümmern»
Was glauben Sie: Hat der Bär, der Fisch oder der Vogel die besten Mutterqualitäten?
Der Bär wäre die offensichtlichste Antwort, aber er kann einen auch mit seiner Liebe erdrücken. Der Vogel ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt und der Fisch zu sehr mit der Gesellschaft. Andererseits würde der Fisch gewiss kein narzisstisches Kind aufziehen.
Sie haben mal gesagt, dass Sie bestimmt sterben würden, wenn Sie ein Kind hätten.
(Lacht) Ja! Ich brauche einfach so viel Ruhe und Platz für meine Gedanken und Gefühle. Ich bin schnell überstimuliert. Ich glaube, ein Kind zu haben, wäre so, als könnte ich nachts nicht mehr träumen. Ich würde wohl irgendwie schlafen, aber der ganze Zauber wäre weg. Zumindest ein Teil von mir würde sterben und ich würde mich selbst vermissen. Aber ich kenne auch Künstler:innen, die durch die Elternschaft gar nichts verloren, sondern nur gewonnen haben. Aber bei mir wäre es nicht so gewesen, davon bin ich überzeugt.
Sie haben auch gesagt, dass Sie Ihr Kind bestimmt verlassen würden, wenn Sie denn eins hätten.
Das klingt furchtbar, wenn Sie das so sagen. Aber ja.
In «Mutterschaft» reden Sie sich ein, dass Sie gar keine Mutter sein könnten, weil Sie einfach schlecht darin wären. Warum entmutigen Sie sich selbst so sehr?
Ich wollte, dass sich andere Frauen aufgefangen fühlen, falls sie auch solche Gedanken haben.
Wir kennen vor allem das Narrativ der unglücklichen Nichtmutter, bei der es leider nicht geklappt hat. Für mich sind Sie das Musterbeispiel der glücklichen Nichtmutter, einer Frau, die sich aktiv und stolz für das Leben ohne Nachwuchs entschieden hat. Wie fühlt sich das für Sie an?
Das wusste ich nicht. (lacht) Aber das ist gut. Ich bin ein glücklicher Mensch und ich empfinde keinen Mangel. Also freue ich mich, dass ich für andere ein Vorbild sein darf.
Fühlen Sie sich manchmal überlegen? So als hätten Sie die Falle umgangen?
Nein, weil es nicht für alle eine Falle ist. Und ich fühle mich niemandem überlegen. Vielleicht wäre ich auch als Mutter glücklich geworden, das kann ich nicht wissen. Ich weiss nur, dass ich jetzt glücklich bin.
Gibt es denn positive Vorbilder der Nichtmutter?
Ja, vielleicht Virginia Woolf oder Oprah Winfrey. Frauen, die der Welt so viel gegeben haben, dass man ihnen verzeiht, dass sie ihre biologische Pflicht nicht erfüllt haben. (lacht)
Sie haben mal gesagt: Egal wie sich eine Frau entscheidet, Kind oder kein Kind, beide Entscheidungen ruinieren ihren Ruf. Wie meinen Sie das?
Nun, in dem Moment, in dem jemand erfährt, dass du Mutter oder Nichtmutter bist, ändert sich die Art und Weise, wie du angesehen wirst. Es gibt als Frau keine neutrale Position. Du bist immer Mutter oder Nichtmutter. Das ist bei Männern anders. Sie sind einfach Mann. Elternschaft ist nicht so zentral für ihre Identität.
Eins der hartnäckigsten Vorurteile gegenüber Nichtmüttern ist, dass sie selbstbezogen seien.
Ich bin bestimmt auch selbstbezogen.
Aber ist es nicht noch viel selbstbezogener, wenn man sich unbedingt fortpflanzen möchte, weil man sich selbst so toll findet?
Juckt es Sie auch immer noch? (lacht)
Sind Sie irgendwem eine Mutter? Sich selbst vielleicht?
Also wenn ich mir selbst eine Mutter wäre, wäre ich wirklich eine miserable. Ich lasse mich zum Beispiel rauchen und viel zu viel Geld für Kleidung ausgeben (lacht). Nein, ich bin niemandem eine Mutter. Nicht mal mir selbst.
Es liegt Scham auf allen Lebensmodellen: Mutter zu werden, nicht Mutter zu werden, nur Mutter zu sein, erwerbstätige Mutter zu sein …
… zu viele Kinder zu haben, nur ein Kind zu haben …
Gibt es denn keine «schamfreie» Position als Frau?
Doch, die, für die man sich selbst entscheidet. Scham kommt von aussen. Und sie kommt von innen. Aber wenn sie innen keinen Platz findet, dann kann die Scham von aussen dir nichts anhaben. Ich kenne übrigens nur Männer, die ehrlich sagen, ich wünschte, ich hätte keine Kinder gehabt. Das hat zu mir noch nie eine Frau gesagt. Da frage ich mich – empfinden Frauen anders oder schämen sie sich zu sehr, so etwas zuzugeben?
Sie stellen die These auf, dass viele Frauen Mutter werden, um geliebt zu werden. Weil Muttersein die ultimative Märtyrer:innen-Rolle ist: Man gibt alles auf, um zu lieben. Und erhofft sich, dafür selber geliebt zu werden.
Ja, ich glaube, daran ist mehrheitlich die Gesellschaft schuld. Mädchen wird schon früh eingetrichtert, dass sie sich um andere kümmern, dass sie helfen müssen, damit sie gemocht werden.
Wie würde die Welt aussehen, wenn Männer die Babies bekämen?
Ich glaube, das Kinderbekommen würde als wichtiger angesehen und es würden mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt, um den Männern nach der Geburt zu helfen. Und Abtreibungen wären überall legal, selbst hier in den USA. (verdreht die Augen)
In der Sprache wird das Nichtmuttersein als Mangel dargestellt: kinderlos. Man könnte ja auch kinderfrei sagen?
Ja klar, aber das ist doch auch lächerlich, nicht? Kinderfrei klingt so nach nackt auf der Strasse tanzenden Freiheitsköniginnen! (lacht) Schöner wäre es doch, wenn man diese Definitionen fallenlassen könnte. Mir ist es ein Anliegen, diesen Graben zwischen Frauen mit und Frauen ohne Kind zu überwinden.
Aber die Unterscheidung ist nun mal da, es ist ja fast so, als ob man einer Partei angehört: der Mutterpartei oder der Nichtmutterpartei.
Aber es wäre doch viel interessanter, wenn Mütter auch mal sagen würden, ich möchte als Nichtmutter identifiziert werden oder umgekehrt. Man kann doch in seiner tiefsten Seele eine Nichtmutter sein und trotzdem ein Kind haben.
Was können wir tun, um diesen Graben zu überwinden?
Wir müssen demütiger sein. Wir müssen aufhören, unsere Entscheidungen, die wir getroffen haben, als die einzig richtigen zu verteidigen. Wenn man sich weniger über seine Entscheidungen definiert, ist man auch weniger absolut und grosszügiger anderen Lebensentscheidungen gegenüber. Ich mag es, wenn Menschen eine fluide Identität haben.
Was halten Sie von den perfekten Moms of Instagram?
Die haben auch einen Mangel an Demut, und mir ist da viel zu viel Eitelkeit. Ich habe Instagram schon länger gelöscht, weil es mir mehr genommen als gegeben hat.
«Man kann auch Nichtmutter sein und trotzdem ein Kind haben»
Gab es Momente der Trauer, des Abschiednehmens in der Entscheidung, keine Kinder zu bekommen?
Nicht für mich. Ich glaube, das passiert nur bei Frauen, die wirklich Kinder wollten und bei denen es nicht geklappt hat. Dann gibt es Trauer um das nicht gelebte Leben, Trauer um das ungeborene Kind.
Sie benutzen im Buch den Begriff «biologisch gescheitert». Was bedeutet das?
Gesellschaftlich betrachtet ist eine cis-Frau biologisch gescheitert, wenn sie sich nicht fortpflanzt.
Und ein Mann?
Der ist auch biologisch gescheitert, wenn er sich nicht fortpflanzt.
Aber wenn man ein Kind hat, vergrössert man den CO2-Ausstoss und trägt so zur Zerstörung der Erde bei.
Und man kreiert weitere Konsument: innen. Natürlich! Man kann auch sagen, dass man biologisch scheitert, wenn man ein Kind in die Welt setzt. Zumindest wenn man das Ganze aus der Perspektive der Erde betrachtet.
Angenommen, Sie würden eine Fortsetzung von «Mutterschaft» schreiben – wie würde die Geschichte wohl weitergehen?
Wessen Geschichte?
Na, die von Ihrer Protagonistin und Miles.
Ach so, die! (lacht) Sie würde nach Niantic ziehen und Ihnen ein Interview in einem Café geben, weil es natürlich eine total fiktive Protagonistin ist, die überhaupt nicht auf mir basiert!
Sie haben geschrieben, dass man nicht glücklich werden kann, solang man sein Schicksal verfolgt.
Schicksal bedeutet ja, einen Weg zu gehen, den man sich selbst nicht ausgesucht hat. Und ich habe das Gefühl, dass es eigentlich immer tragisch endet, wenn das der Fall ist.
Wie weiss man denn, ob man gerade seinem Schicksal folgt?
Das kann man nicht wissen. Genauso wenig, wie man wissen kann, ob es das Schicksal überhaupt gibt, wahrscheinlich gibt es kein Schicksal.
Glauben Sie denn, dass Sie gerade Ihrem Schicksal folgen?
Ja.
“… Marie Curie oder Oprah Winfrey. Frauen, die der Welt so viel gegeben haben, dass man ihnen verzeiht, dass sie ihre biologische Pflicht nicht erfüllt haben.”
Bei allem Respekt: Marie Curie hatte zwei Töchter! Sie nicht nur ungefragt, sondern auch noch falsch als Testimonial zu benutzen, und darauf zu vertrauen, dass die Lesrer:innen das schon nicht wissen werden, halte ich für krass übergriffig und eigenen Publikum gegenüber für respektlos.
Jede Frau sollte selbstverständlich ihre persönlichen Lebensentscheidungen treffen dürfen, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Wenn Frau Heti das Bedürfnis hat, sich für ihre persönliche Enstscheidung auf welchen Ebenen auch immer ausführlich zu erklären, gerne. Dass sie zwei sehr bekannte Frauen als Gewährsfrauen für die Richtigkeit und Relevanz ihrer privaten Lebensentscheidung zu benötigen scheint, zeigt jedoch leider, dass sie dem “ich hab doch bloß gemacht, was die andern auch tun”-Muster der Rechtfertigung selber noch nicht entwachsen ist.
Hier liegt nämlich das eigentliche Problem: Hat je ein bekannter Mann sich öffentlich dafür gerechtfertigt, keine Kinder gezeugt zu habent? Mir ist jedenfalls kein Beispiel dafür bekannt. Sowas fällt nur uns Frauen ein, gut konditioniert wie wir immer noch sind. Und die einzig selbstbestimmte Antwort auf diese Konditionierung heißt meines Erachtens: “Einfach gar ned ignorieren.” Nur darüber lässt sich eben kein Buch schreiben…
Liebe Kati, vielen Dank für den Kommentar und den Hinweis. Wir haben den Fehler korrigiert. Herzliche Grüsse, Sandra
Der Artikel ist viel zu lang und dreht sich im Kreis. Dieselben Fragen werden zu oft gestellt und sehr wenig varierend beantwortet. Straffung hätte gut getan