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Aufgebrochene Rollenmuster

Aufgebrochene Rollenmuster

  • Text: Sven Broder; Foto: iStock

Sind die heutigen Zeiten für ein Paar besser als damals? Ja, sagt annabelle-Reportagenleiter Sven Broder – aber nicht unbedingt einfacher.

Die Frau und der Mann, sie hatten schon bessere Zeiten. Wobei – von besseren Zeiten zu reden, ist trügerisch. Denn als der Mann noch der Erich war, der morgens zur Arbeit fuhr und abends zurück, fünf Tage die Woche, 252 Tage im Jahr, und die Frau die Erika, die nicht zur Arbeit fuhr, weil ihr Arbeitsplatz zuhause war, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr, da waren die Zeiten wohl einfacher; beide hatten ihre klar definierten Rollen. Er verdiente das Geld, sie kümmerte sich um den Rest. Erich und Erika, sie hielten einander den Rücken frei. Das ging gut, jahrelang. Es war aber, muss man zugeben, auch ein wenig monoton, das Ganze. Eindimensional. Die Aussichten, vor allem für Erika, nicht sonderlich spektakulär. Und wenn man eines Tages mit dem Gesicht zur Wand steht, was nützt einem da ein freier Rücken?

Ja, das Leben mag früher einfacher gewesen sein. Aber einfacher bedeutet nicht unbedingt auch besser.

Heute sind die alten Rollenmuster aufgebrochen, die Wände weg, die Aussichten und Perspektiven – im wahrsten Sinne überwältigend. Erich und vor allem auch Erika können nun im Grunde tun und lassen, was ihnen gefällt. Sie sind frei, begegnen sich auf Augenhöhe. Wohin die gemeinsame Reise geht, ist Verhandlungssache. Doch da fangen die Diskussionen an. Denn wer die freie Wahl hat, muss sich entscheiden. Aber wofür? Uiuiui, denkt sich Erich – und schnallt sich vorsichtshalber schon mal die Scheuklappen um: Gring ache u seckle. Wenns zwischendurch für ein Bier reicht, ist vieles gut. Immerhin. Das sagt er oft: Immerhin – und er meint das ehrlich und durchaus positiv. Denn das Leben ist hart, er weiss das, aber glücklich ist, wer trotzdem lacht.

Gring ache u seckle jedoch, nein, das scheint nicht das Leitmotiv von Erika zu sein. Schliesslich ist sie endlich frei, da will sie nichts verpassen. Und zu verpassen gibt es viel, zu lernen auch, denn Erika wär nicht Erika, wenn sie das, was sie zu tun gedenkt, nicht auch perfekt tun wollte. Also hält sie die Nase in den Wind, sie hört sich um und in sich hinein, sie redet viel, tauscht sich aus, liest sich schlau. Das ist gut und löblich – und weiss Gott beherzter als nüchterner Pragmatismus, Erich weiss das, er bekommt es oft genug zu hören.

Aber es ist auch viel, so wahnsinnig viel, was das Leben bereithält, was man tun könnte. Wollte. Sollte. Müsste. Erika rotiert. Sie dreht am Rad, in dem sie sitzt – und steht doch selber auf der Bremse. Fokussieren!, sagt Erich. Und: Tu das. Oder dann halt jenes. Und vor allem: Nimm dir nicht immer alles so zu Herzen, Erika. Das wäre doch was. Immerhin. – Erika kanns nicht mehr hören. Denn es klingt, als wäre sie das Problem und nicht die Welt, das Leben. Dabei meints Erich doch eigentlich gut mit ihr. Er will nur helfen. Aber Erika will keine Hilfe, keine Lösung. Sie will vor allem Verständnis.

Ja, die Zeiten sind heute mit Bestimmtheit besser. Aber besser heisst eben nicht unbedingt einfacher. Dies zu wissen, hilft nicht wirklich weiter. Aber hey: Wir reden darüber. Immerhin.