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«Aufgeben ist keine Option»

Leben

«Aufgeben ist keine Option»

  • Text: Barbara Loop; Foto: Pooneh Ghana

Früher sang Courtney Barnett über Gartenarbeit und Selbstbefriedigung, jetzt gräbt sie tiefer: Ihr neues Album ist das meisterhafte Werk einer Anfängerin in Sachen Gefühle.

Courtney Barnetts Songs kommen beiläufig daher. Aber hat man sie einmal im Ohr, wabern sie einem im Kopf herum, und die Genialität ihrer Zeilen zaubert einem dieses breite Grinsen ins Gesicht, das so schwer zu erklären ist, wenn die Musik nur im Kopf weiterspielt. In ihren Liedern erzählt die australische Sängerin von den Anrufen der besorgten Eltern («Isst du auch? Du hörst dich so dünn an.»). Sie singt über einen Typen namens Lance Jr., dessen Songs sie – «underworked and oversexed» – beim Masturbieren sehr schätzt, und in einem Lied mit dem Titel «Three Packs a Day» über ihre Sucht nach der Instant-Nudelsuppe Mi-Goreng.

Schnell glaubt man, alles zu wissen über diese Frau, glaubt jede einzelne ihrer Neurosen und durchlebten Dramen zu kennen. Nur: Dramatisch tönen diese Geschichten nicht einmal dann, wenn sie wie in «Avant Gardener» von einer Panikattacke handeln, welche die Musikerin befällt, als sie sich an die Gartenarbeit macht, weil sie fürchtet, die Nachbarn würden sonst beim Anblick ihres verwahrlosten Grundstücks ein Meth-Labor in ihrem Haus vermuten. Und dann merkt man plötzlich, dass man eigentlich doch nichts über Courtney Barnett weiss. Nicht, wie sich die Panikattacke wirklich anfühlt, nicht, woher sie eigentlich rührt. Am Ende bleibt einzig die Geschichte von einem heissen Nachmittag, der aus dem Ruder gelaufen ist, weil die Hobby-Gärtnerin, wie sie selber singt, genauso unbegabt im Tief-Einatmen ist wie im Bong-Rauchen. «Sometimes I Sit and Think and Sometimes I Just Sit» hiess das erste Album, das die Sängerin vor drei Jahren nach einem fast beiläufigen Karrierestart mit drei EPs herausgebracht hat. «Manchmal sitze ich da und denke und manchmal sitze ich nur da.» Keine Frage, Courtney Barnett ist die ungeschlagene Meisterin der Lakonie.

Wegen ihrer Scheissegal-Attitüde wird die 30-Jährige schon mal als die neue Patti Smith bezeichnet. Oder als ein Relikt der Neunzigerjahre-Jugend, deren Mantra nicht wie heute «Lean in», sondern «Lean back» lautete und die sich vor allem durch Ambitionslosigkeit ausgezeichnet hatte. Nachlässig gekleidet, unteroptimiert und chronisch pleite: Man nannte sie Slacker. Aber während die Slacker von früher ihre Gefühle heute mit Hilfe von Mindfulness beschwören und Patti Smith noch immer gern mal ihr Publikum bespuckt, waren Emotionen nie Courtney Barnetts Sache. Nein, Barnetts Gemütszustand ist gleichförmig wie das australische Wetter – wenn auch nicht ganz so sonnig. Doch das soll sich nun offenbar ändern. Courtney Barnett – schwarzes Shirt, schwarze Jeans, schwarze Boots und weisse Socken – empfängt die Journalistin in einem Berliner Hotel an der Spree. Noch am Vorabend stand sie mit ihrer Lebenspartnerin Jen Cloher auf der Bühne, in deren Band sie Gitarre spielt und mit der sie das eigene Musiklabel «Milk! Records» betreibt. Heute bewirbt sie ihr neues Album: Härter ist die Instrumentierung, etwas aggressiver der Sound, die früher eher monotone Stimme variiert, tönt mal zerbrechlich und mal wütend. Auch der Titel des Albums «Tell Me How You Really Feel» verspricht eine Art Neuanfang oder aber das Ende jenes wortgewandten Sarkasmus, in den sich Courtney Barnett in der Vergangenheit so gekonnt geflüchtet hatte, wenn es ernst wurde. Ein bisschen fürchtet man, dass nun auch die letzte Galionsfigur der Genügsamkeit dem Selbstoptimierungswahn verfallen ist.

annabelle: Courtney Barnett, die Texte auf Ihrem neuen Album sind ehrlicher, die Songs direkter. Ist «Tell Me How You Really Feel» eine Aufforderung an Sie selbst?
Courtney Barnett: Der Titel ist zweideutig: Einerseits ist der Satz in der englischen Sprache eine stehende Redewendung, mit der man auf einen ungefilterten Gefühlsausbruch ironisch reagiert. Andererseits ist es tatsächlich eine Ansage an mich selbst. Es gibt viele Dinge, denen ich mich früher nicht stellen konnte. Nicht nur in den Songs, sondern auch im Leben. Die Wut und die Traurigkeit waren immer schon da, sie waren immer in meinem Körper. Ich habe sie aber versteckt, habe darüber hinweggeplappert, unter der Oberfläche aber hat es gebrodelt. Die Menschen mögen es nicht, wenn du wütend bist, es macht ihnen Angst.

Woher kommt dieser neue Mut zur Ehrlichkeit?
Ich habe Zeit mit mir selbst verbracht und Menschen kennen gelernt, die gleichzeitig verletzlich und stark sind. Ich bin ja eigentlich gar nicht so wütend, also nicht sieben Tage die Woche. (lacht) Ich bin eher enttäuscht von der Welt und den Menschen. Sie machen mich traurig, und wenn ich traurig bin, werde ich wütend.

Warum sind Sie von der Menschheit enttäuscht?
Wir haben die Umwelt ruiniert und wir bringen uns gegenseitig um. Angesichts der politischen Situation in der Welt sind viele Menschen um mich herum total pessimistisch geworden. Aber aufzugeben ist keine Option. Denn wer aufgibt, sich der Wut und dem Hass hingibt, wird selbst Teil des Bösen.

Wie hält man sich das Böse vom Leib?
Versuche, optimistisch zu sein, wenigstens ein bisschen, das ist besser, als es nicht zu versuchen. Sei nett zu dem Menschen neben dir, ändere die kleinen Dinge.

Hilft Ihnen die Musik dabei?
Absolut, dieses Album ist eine Art Selbsthilfe-Album. Ich habe mich durch meine Gefühle gearbeitet und herausgefunden, dass ich eigentlich eine sehr optimistische Person bin. Man kann traurig sein, während man optimistisch ist. Wenn ich vor tausend Leuten singe und jeder ein bisschen meine Haltung übernimmt, dann ändert das zwar wenig, aber es ändert etwas. Das ist Hoffnung.

Ein Album zu veröffentlichen birgt aber auch das Risiko, auf Ablehnung zu stossen.
Kritik tut zwar weh, was für mich viel schlimmer ist, ist dieses Gefühl der Verletzlichkeit, das sich einstellt, wenn man so offen auftritt und so ehrliche Texte singt. Wirklich gesehen zu werden, das macht Angst.

Wie gehen Sie damit um?
Ich weiss es nicht. Ich versuche, es herauszufinden. Am wichtigsten ist es, mit seinen eigenen Schwächen Frieden zu schliessen, nur so kann man an ihnen arbeiten.

Einer Ihrer Songs heisst «Crippling Self Doubt and a General Lack of Self Confidence». Wie schreibt man Songs mit lähmendem Selbstzweifel und einem generellen Mangel an Selbstvertrauen?
Man schreibt und schreibt und denkt, es töne alles wie Mist. Und dann schreibt man einfach weiter. Schreiben ist nicht immer schlimm, aber oft. Das ist normal.

Courtney Barnett zieht die Schultern hoch. Darüber zu reden, wie sich die Dinge wirklich anfühlen, fällt ihr nicht leicht. Nachfragen verlaufen im Sand, Erkenntnisse gleichen nicht selten Allgemeinplätzen. Das könnte natürlich daran liegen, dass die Dinge, die für uns selbst die Welt bedeuten, oft auch sehr banal sind. Spass macht Courntey Barnetts Platte trotzdem, sehr sogar. «Take Your Broken Heart, Turn It into Art» singt Barnett darauf. Musikalisch hat sich die Selbstbespiegelung gelohnt: Songs wie «I’m Not Your Mother, I’m Not Your Bitch» krachen vor Wut, andere sind zarter, Barnetts Bandbreite ist grösser geworden. Die Lebensweisheiten, mit denen die Sängerin aus der Analyse zurückkehrt, werden die Welt nicht erlösen. Das macht nichts. Im Gegenteil, man ist fast erleichtert, dass die Lösungen aller Probleme einem nicht auf dem Plattenteller serviert wird. Denn an Moralaposteln und Gurus herrscht ja wahrlich kein Mangel. Lieber, als erleuchtet zu werden, möchte man sich ohnehin zu ihr auf die Couch legen, gute Musik hören, sich Geschichten erzählen, den einen oder anderen bösen Witz reissen und feststellen, dass das Leben nicht immer schlimm ist, aber oft. Und dass das absolut normal ist.

Courtney Barnett: Tell Me How You Really Feel