London undercover: Unsere Autorin hängte sich in der britischen Metropole an die Fersen eines Paparazzo.
Lady Gaga steigt aus dem Auto. Ihr Gesicht verdeckt sie mit einer Handtasche. Sie ist ungeschminkt. Die Kamera klickt, zweimal, dreimal. Dann sind wir weg.
«Du musst alle erkennen, aber du darfst nie erkannt werden.» Das ist die erste Lektion, die ich lerne. Von Greg Brennan (35), einem der erfolgreichsten Paparazzi in London. Er hat sie alle gehabt. Alle. Egal, welchen Namen ich ihm nenne, er nickt, scrollt durch sein iPhone und zeigt mir ein Foto, das er gemacht hat. In den nächsten fünf Tagen nimmt er mich unter seine Fittiche. Obwohl ich, wie er sagt, völlig ungeeignet wäre für den Job. Rote Locken sind zu auffällig. Ausserdem müsste ich schneller rennen können. Kannst du morgen vielleicht Joggingschuhe anziehen, fragt er und schaut vorwurfsvoll auf meine Stiefel.
Am Samstagabend nehme ich das erste Mal Platz auf Gregs Beifahrersitz. Das Auto riecht nach neuem Leder. Er wechselt sein Fahrzeug mehrmals pro Jahr, um anonym zu bleiben. Er hat auch drei verschiedene Mützen im Kofferraum. Und er ist immer dunkel angezogen. Schwarze Hose, graue Jacke.
Wir fahren durch das Zentrum Londons, erst durch Soho, dann durch Mayfair, Covent Garden, später gehts weiter nach Notting Hill. Ich habe längst die Orientierung verloren, die Kreise, die wir drehen, ergeben für mich absolut keinen Sinn. Wir sind auf der Suche nach Victoria Beckham, erklärt mir Greg. Sie wolle heute ausgehen. (Macht sie aber nicht, wird sich später herausstellen.) Während wir sie suchen, scannen wir, respektive Greg, die Umgebung. Ich verstehe nicht, was ein Hinweis ist und was nicht, ich finde alles und nichts auffällig. Greg deutet auf zwei schwarze Autos. Das seien die Fahrzeuge, in denen Stars rumgefahren werden. Er kennt die Autonummern. Wir halten aber nicht an. Ein Promibild ist nur etwas wert, wenn es dazu eine Geschichte gibt, wenn der Promi zum Beispiel mit einem anderen Promi zusammen weggeht, wenn er sich gerade getrennt hat, eine neue Frisur hat, stark zu- oder abgenommen hat.
Ein paar Prominente bilden eine Ausnahme. Prinz Harry ist so eine. «Der verkauft sich immer», sagt Greg. Seinen verheirateten grossen Bruder, Prinz William, findet die Presse deutlich uninteressanter. Ist der königliche Junggeselle in London – Greg weiss das, immer –, fährt er die Lieblingslokale des Prinzen ab. Fotos der Königsfamilie hat er schon Hunderte, aber er kann nie genug haben. Er will von allen bekannten Menschen ein Foto. Hat er eins, will er ein zweites. Harry ist, wie es scheint, heute Abend nicht unterwegs. Nachdem wir kurz vor Mitternacht in einem marokkanischen Restaurant gegessen haben – ich bin eine schnelle Esserin, aber Greg hat seinen Teller leer, bevor ich den fünften Bissen genommen habe – und noch ein letztes Mal durch Holland Park gefahren sind, wo der Grossteil der Stars wohnt, geben wir um zwei Uhr auf. Wir haben niemanden «gefunden», es wurde nie hektisch, aber die Sucherei hat mich völlig erledigt.
Der nächste Tag verspricht erfolgreicher zu werden: Lady Gaga ist in London. Frühmorgens ist sie gelandet. Am Flughafen auf sie zu warten, wäre sinnlos gewesen. Seit sie vor fünf Jahren auf gigantischen Absätzen gestürzt ist, als sie durch die Ankunftshalle von Heathrow gelaufen ist, zahlt sie jetzt jedes Mal über 4000 Franken, damit sie einen Hinterausgang des Flughafens benutzen darf. Dass sie in der Stadt ist, weiss noch fast niemand. Vor dem Hotel Langham, in dem sich Lady Gaga aufhält, hat es nur einen anderen Paparazzo.
Greg erfuhr gestern Abend, dass sie kommt. Seine Informationen bezieht er aus verschiedenen Quellen. Wie jeder Paparazzo hat er «The Media Eye» abonniert, einen Newsletter, der Tausende von Franken pro Jahr kostet und bekannt gibt, wann sich ein Promi wo aufhalten wird. Viele seiner Berufskollegen würden auch Twitter und Co. durchforsten. Irgendjemand zwitschere immer, wenn er neben einem Star im Restaurant sitzt. Aber dann ist es schon zu spät, findet Greg. Er setzt auf seine direkten Kontakte. Türsteher und Fahrer, aber auch Autogrammjäger und Fans. Dass Lady Gaga in London ist, weiss er von Matt. Der dickliche Typ mit engen, farbigen Kleidern – sieht aus wie ein Teenager, ist aber schon Mitte zwanzig und wie viele grosse Gaga-Fans betont schwul – wartet mit fünf anderen Fans vor dem Hintereingang des Hotels. Wir sitzen dreissig Meter entfernt im Auto. Dass Lady Gaga in London ist, weiss Matt, weil er jeden Schritt der Sängerin online verfolgt. Liest er, dass sie in New York in einen Flieger nach London steigt, telefoniert er die fünf Luxushotels ab, die Stars üblicherweise buchen, er verstellt die Stimme und gibt an, ein wichtiges Paket für sie liefern zu müssen. Erstaunlicherweise hat er damit oft Erfolg. Wenn er weiss, dass sie kommt, informiert er Greg. Die beiden wurden mit den Jahren so etwas wie Freunde, Komplizen. Das gemeinsame Warten, das Austauschen von Kleinstinformationen – «der Fahrer hat das Auto neu parkiert, es steht jetzt zwei Meter weiter vorne!» –, dass man zusammen eine Mission hat, das gibt dem Ganzen eine skurrile Wichtigkeit.
Jedenfalls in ihren Augen. Ich selber komme mir blöd vor, wie ich hinter abgedunkelten Scheiben auf der Lauer sitze. Wir wissen weder, wann sie rauskommt, noch, wohin sie geht. Nach über zwei Stunden geht endlich das Tor auf, ein schwarzer Wagen fährt langsam an den wartenden Fans vorbei. Greg hat keine Zeit mehr rauszuspringen, aber es hätte auch nichts gebracht. Lady Gaga hat sich flach auf den Hintersitz gelegt, damit man sie nicht sehen kann, sagt uns Matt und hechtet keuchend in Gregs Auto. Wir nehmen die Verfolgung auf – und ich verstehe das erste Mal, warum man diesen Job macht. Das Adrenalin schiesst durch meinen Körper, man muss kein Gaga-Fan sein, um das aufregend zu finden.
Greg flucht bei jedem Rotlicht, er stellt Theorien auf, wo sie hinkönnte, und verwirft sie wieder, er zieht hektisch an seiner E-Zigarette, die nur mit Aromawasser gefüllt ist. Dem Nikotin hat er längst abgeschworen. Er redet noch schneller als sonst und schimpft erst über Lady Gaga, die früher, als sie noch nicht so berühmt war, viel netter gewesen sei – einmal habe sie ihn sogar ins Hotelzimmer eingeladen, damit er da Fotos machen könne, weil er am Tag zuvor auf ihre Bitte, er solle sie nicht fotografieren, eingegangen ist. Dann schwärmt er wieder von ihr, nennt sie Good Old Gaga, die die Fotografen immerhin noch mit abgefahrenen Outfits überraschen würde. Sie sei in Wahrheit übrigens gar keine schöne Frau, sagt Greg. Richtig hässlich sei sie, so ohne Make-up. Das sagt er auch über andere weibliche Stars. Adele zum Beispiel, wie die früher ausgesehen habe, er verdreht die Augen, gut, habe sie Gewicht verloren. Er merkt nicht, wie überheblich das klingt, wenn er über die Leute lacht, denen er täglich auflauert.
Der schwarze Wagen hält, wir sind vor einem Tonstudio in einer verlassenen Gegend im Norden Londons. Wir springen aus dem Auto. Zwei Meter sind zwischen Lady Gagas Wagen und dem Hauseingang. Greg steht mit seiner Kamera bereit, er wirkt zufrieden, siegessicher. Matt ist nervös, hat Schweissperlen auf der Stirn. Ob ich ein Handyfoto von ihm und ihr machen könne. Ich nicke. Doch da geht Lady Gaga bereits kommentarlos und mit der Tasche vor dem Gesicht an uns vorbei. Greg drückt trotzdem ab. Matt ist enttäuscht und will vor dem Studioeingang warten. Viele Stunden später wird sie das Studio verlassen, und er wird das Selfie mit ihr machen können. Greg und ich werden dann aber längst weg sein.
Es braucht Glück, Erfahrung und Geduld
Wir fahren nach Covent Garden, passen Nicole Kidman und ihren Mann Keith Urban ab, die an eine Theaterpremiere gehen. Die 48-jährige Schauspielerin ist – ja, auch sie – älter geworden. «Das lässt sich verkaufen», sagt Greg. Er schickt seine Bilder jeden Abend an rund 6000 Fotoredaktoren rund um die Welt. Die Preise werden nicht gross verhandelt, pro Foto kriegt er zwischen 100 und 210 Franken. Finanziell attraktiv sei der Job nur noch in wenigen Fällen. Ein Foto von Prinz Harry, wie er an seinem Geburtstag mit Cressida Bonas, seiner angeblichen Ex-Freundin, aus einer Bar kommt, das zahlt sich aus, das kann für mehrere 10 000 Franken exklusiv verkauft werden. Für das Bild von Prinz William, wie er wenige Abende vor seiner Hochzeit nachts im Battersea Park Fussball spielte, wurde noch mehr bezahlt. Dass er und nicht ein anderer Fotograf dieses Bild geschossen hat, ist eine Mischung aus Glück, Erfahrung und Geduld.
Mir fehlt vor allem Letzteres. Warten wir länger als eine Stunde vor einem Eingang, werde ich unruhig. Eine Stunde sei noch gar nichts, sagt Greg. Er würde aber heute weniger warten als früher, weil er besser Bescheid wisse. Seit zwanzig Jahren ist er im Business. Er sagt mit fast erfrischend ehrlichem Stolz, dass er jeden Wohnsitz und jedes Lieblingsrestaurant kennt. Er weiss, wo die Stars einkaufen, wo sie mit ihren Hunden spazieren und wann sie in die Manicure gehen. Er sei anders, besser, sagt er öfter ganz unbescheiden. Am vierten Abend sind wir trotzdem dort, wo alle Londoner Promifotografen sind: bei den British Fashion Awards.
Menschen, die ich sonst nur aus Filmen oder Zeitschriften kenne, spazieren an mir vorbei. Als der Wagen der Beckhams vorfährt, ruft einer laut «Get that fucker!», und alle stürzen zum Auto. Wie sie, die Kameras an die getönten Scheiben gepresst, ins Auto blitzen, erinnern sie an ein Rudel Hunde, das nur einen einzigen Fressnapf abbekommen hat. Was mir das erste Mal auffällt: Nur Männer machen diesen Job. Vielleicht ist es eine Frage des Testosterons, dass man sich traut, so selbstsicher vor ein Auto zu stehen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Gewiss darf man auch nicht zu lange darüber nachdenken, ob das nun Ehr und Würde verletzt. Die der Stars und auch die eigene. Ich tue das definitiv. Habe ich mich endlich dazu durchgerungen abzudrücken, ist der Promi längst um die Ecke. Auf dem Foto, das ich von Lady Gaga gemacht habe, sieht man knapp ihren Rücken. Mein Bild von Victoria Beckham ist überbelichtet und verschwommen.
Warum sich alle auf den Wagen der Beckhams gestürzt haben, will ich wissen. So wertvoll? Greg schüttelt den Kopf. Die «Paps» hätten das nur gemacht, um die beiden zu nerven. Alle würden die Beckhams hassen. Weil sie so unfreundlich seien. «Sie haben es nicht mehr nötig, nett zu uns zu sein», sagt er bitter. Auch das Ego eines Paparazzo will ganz offensichtlich gestreichelt werden – auch wenn oder gerade weil er immer hinter und nicht vor der Kamera steht. Er will gebraucht werden. Er will, dass die Stars wissen, dass er wichtig ist für ihren Erfolg. Ist der Erfolg aber erst einmal gross genug, wird er unnütz. Das tut weh.
Wir sitzen mit drei Autogrammjägern im «Starbucks». Für Greg sind das wertvolle Informanten, er unterhält sich angeregt mit ihnen. Autogrammjäger sind keine richtigen Fans, sie gehen nur an Promianlässe, stehen stundenlang hinter dem Gitter, um Unterschriften zu holen, die sie dann später im Internet verkaufen. Jetzt müssen sie warten, bis die Show zu Ende ist.
Wir auch. Greg telefoniert kurz mit seinem Sohn Dylan. Sein Ein und Alles, wie er ihn nennt, ist neun Jahre alt. Greg zeigt mir immer wieder stolz Fotos von ihm. Als Greg so alt war wie Dylan, wusste er schon, dass er einmal Fotograf werden möchte – das Wort Paparazzo hasst er, es sei so negativ behaftet. Der kleine Greg schaute zuhause, er wuchs in San Diego, Kalifornien, auf, einen Dokfilm über Ron Galella, den Paparazzi-Papst – und war bleibend beeindruckt. Vor allem auch von den Stars, von Ruhm und Glamour. Mit 19 reiste er durch Europa, machte halt in London und lernte zufällig in einer Bar einen Paparazzo kennen. Dieser nahm ihn mit, als er ein Foto von Prinzessin Diana machte. Greg drückte auch ab. Das war vor 24 Jahren.
Er vermisse die alten Zeiten. Die Zeiten vor dem Internet. Die Zeiten vor den digitalen Fotos. Jeden Morgen fuhr er mit dem Velo durch die Fleet Street – an ihr waren die Redaktionshäuser aller britischen Zeitungen –, er zeigte die Fotos, die er nachts in seiner Dunkelkammer entwickelt hatte, und verkaufte sie. Der Umgang mit den Stars sei damals liebevoller gewesen. Es gab auch viel weniger Paparazzi. Also solche, die das beruflich machen. Dass heute jeder mit einer Handykamera auch ein kleiner Promijäger ist, stört Greg nicht. Die Qualität dieser Bilder sei viel zu schlecht, als dass man sie gross in Magazinen drucken könne. Seine Sorge ist eine andere: Immer öfter werden statt Fotos Videos verlangt. Im Moment knipst er noch, er sei old fashioned, aber klar, wenn die Presse nur noch bewegte Bilder wolle, werde er anfangen zu filmen.
Wen er unbedingt noch fotografieren wolle, will ich wissen. Greg überlegt lange. Da stehe niemand mehr auf seiner Liste. Er habe alle. Wirklich alle. Oft mehrfach. Prinzessin Diana. Die Königin. Drei Päpste. Einen seiner grössten Momente hatte er mit Michael Jackson. Mitten in der Nacht habe er den Anruf einer Zeitung bekommen, Jackson sei gerade im Harrods einkaufen. Er wartete vor dem Eingang, war der einzige Fotograf vor Ort. Irgendwann kam ein Security und bat ihn herein. «Ich war wie gelähmt vor Aufregung.» Er durfte dem King of Pop durch das Warenhaus folgen, machte ein Foto nach dem anderen. Jackson sei sehr nett gewesen, fast schüchtern, zurückhaltend. «Seine Stimme war unglaublich hoch. Er klang wie ein Mädchen», erzählt Greg. Das war das einzige Mal, dass er eingeschüchtert war.
Sonst begegnet er den Stars «auf Augenhöhe», er sei ja kein Fan. Aber er würde sie fair behandeln, habe noch nie Probleme gehabt mit einem Promi. Das sagt er immer und immer wieder. Er hätte auch schon betrunkene Promis in seinem Auto nachhause gefahren, Liam Gallagher zum Beispiel, und als er sah, dass Kate und Pippa nach einer Partynacht fast nicht mehr gehen konnten, hat er bewusst kein Foto gemacht. Die Presse hätte das Foto auch nicht gekauft, schiebt er nach. Die Royals geniessen in Grossbritannien Sonderstatus. Die Paparazzi würden zum Beispiel auch wissen, dass Prinz Harry eigentlich noch mit Cressida zusammen ist und die Trennung nur inszeniert wurde, damit sie ein bisschen Ruhe haben. Das sei auch bei Kate und Will so gewesen, die hätten sich nie wirklich getrennt.
Solche Geschichten erzählt er oft und ungefragt, als wolle er seine Berufsgattung verteidigen. Vielleicht geniesst er aber auch einfach die Aufmerksamkeit. Dass er derjenige ist, der im Mittelpunkt steht, kein Star. Ich glaube ihm, dass er den Prominenten nicht absichtlich das Leben zur Hölle machen will, dass er daraus keine Genugtuung zieht. Ich glaube, dass er sich den Stars so ein bisschen nahe fühlt; die Arbeit in dieser Glitzerwelt, ein Archiv mit Tausenden Promifotos verleihen – auch ihm – einen gewissen Glanz. Dafür die Tage allein im Auto zu verbringen, stundenlang vor Haustüren zu warten, das Handy immer eingeschaltet zu haben, all diese Strapazen nimmt er gern in Kauf. Sie machen seine Arbeit in seinen Augen vermutlich umso wertvoller. Greg würde für nichts auf der Welt einen anderen Job machen wollen. Er ist Jäger und Sammler. Sein Durst ist nie gestillt. Ein gut verkauftes Exklusivfoto gibt ihm kurzzeitig Befriedigung, dann braucht er den nächsten Kick. Den nächsten Klick.
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