«Auch Frauen dürfen streng schauen»
- Interview: Helene Aecherli
Der schweizerisch-israelische Künstler Daniel Eisenhut hat sich aufgemacht, hundert Frauen in Führungspositionen zu malen. Dass auf den Bildern keine lächelt, irritiert. Aber das ist gut so.
annabelle: Daniel Eisenhut, Sie hätten zehn Frauen porträtieren können, zwanzig oder fünfzig. Warum gerade hundert?
Daniel Eisenhut: Sehen Sie, im Prinzip hätte auch ein einziges Bild genügt. Aber stellen Sie sich hundert Porträts an einer Wand vor. Hundert! Was wäre das für eine Machtdemonstration.
Machtdemonstration?
Ich will zeigen, wie viele Frauen es in ganz unterschiedlichen Führungspositionen gibt. Sie sind da. Sie sind stark. Sie sind Macherinnen. Es geht dabei um uns alle, als Gesellschaft, nicht nur um die Frauen selbst.
Was meinen Sie damit?
Wir haben noch viel zu wenig Erfahrung mit weiblicher Führung. Das muss sich ändern. Bisher wurde Führung zu 90 Prozent mit Männlichkeit gleichgesetzt. Das bedeutet: Hierarchien, Machtstreben, Optimieren. Auch Frauen imitieren das männliche Führungsprinzip. Doch haben mir viele der Frauen, die ich gemalt habe, erzählt, dass sie erst zu authentischen Führungspersönlichkeiten werden konnten, als sie sich vom männlichen Prinzip lösten und begannen, zu ihrer Weiblichkeit, zu sich als Frau zu stehen.
Führen Frauen denn tatsächlich anders?
Nun, Führung bedeutet doch, eine Vision zu haben, die andere Menschen überzeugt, und einen Raum zu schaffen, der es anderen erlaubt, mitzumachen und aufzusteigen. Ich glaube, das können gerade Frauen besonders gut.
Das heisst nun aber nicht, dass Frauen zwingend die besseren Führungspersönlichkeiten sind.
Natürlich. Es gibt auch herrschsüchtige und verantwortungslose Frauen und solche, die grandios versagen. Aber Frauen sollen versagen dürfen, so wie es auch Männer immer wieder tun, ohne dass sich jemand gross darüber aufregt oder Männer in Führungspositionen grundsätzlich infrage stellt. Das ist Gleichstellung im Guten wie im Schlechten.
Ihr Projekt ist also auch zutiefst feministisch?
So gesehen schon, ja. Dabei war es erst nicht einmal meine Absicht. Ich hatte in vorhergehenden Projekten homosexuelle Männer in Weissrussland porträtiert, danach Flüchtlingskinder in Syrien. Als ich das Projekt «Lipstick Leaders» anging, wollte ich einfach mal etwas Schönes zeigen, mir Erfolg ansehen, keine unterdrückten Menschen mehr abbilden. Dann aber erfuhr ich in den Mails, die ich von angefragten Frauen erhielt, aber auch in Gesprächen mit ihnen von männlichen Kollegen, die Ideen klauen, von Lohnungleichheit, eine erzählte mir gar von sexueller Belästigung in Boardrooms. Und ich dachte: Was läuft denn da? Ich hatte mich doch einfach nur Schönem widmen wollen.
Die Frauen auf Ihren Bildern lächeln nicht, haben fast etwas beklemmend Düsteres. Ein bewusster Akt?
Überhaupt nicht. Bei den ersten Porträts war ich selber überrascht, dass die Frauen so streng aussehen. Das hat mich mit meinen eigenen Vorurteilen konfrontiert. Irgendwie war die fixe Vorstellung in mir drin, dass eine Frau nett sein und freundlich lächeln muss. Denn Frauen und Weiblichkeit sind für mich die Essenz von Schönheit. Ich hatte erwartet, dass ich das auch so spiegle.
Aber dann hat sich Ihre Hand selbstständig gemacht.
Nun, ich male die Frauen so, wie sie im Moment sind. Ich begann aber zu hinterfragen, warum ein strenges Gesicht bei Frauen als etwas Negatives empfunden wird, warum eine Frau auf einem Porträt freundlich aussehen muss. Zumal diese Frauen als Führungskräfte für die Existenz anderer Menschen die Verantwortung haben. Eine der Frauen etwa leitete ein Büro für das UNHCR im Nordirak und war verantwortlich für das Wohlergehen von fast 70 000 Menschen. Ich weiss nicht, was daran lustig und fröhlich sein soll. Anders gefragt: Haben Sie je auf einem Bild oder Gemälde einen Herrscher oder Konzernchef gesehen, der lächelt?
Lassen Sie mich überlegen. Barack Obama vielleicht. Oder Emmanuel Macron.
Okay, in letzter Zeit müssen auch männliche Führungspersönlichkeiten netter aussehen. Denn wir leben in einer Welt, die von Bildern bestimmt wird, die inszeniert sind und nicht zeigen, was ist. Menschen lächeln eigentlich nur sehr selten und auch meist nur dann, wenn sie mit jemandem kommunizieren. Das Strenge ist eher das Normale. Aber das ist schwer zu ertragen. Als ich einmal in Zürich Kinder malte, fröhliche Kinder, bemerkte ich, wie sehr die Eltern Mühe hatten, ihre Kinder anzusehen, weil die so ernst blickten. Dabei waren sie während des Malens einfach in sich gekehrt.
Sie schreiben auf Ihrer Website, dass Sie, abgesehen von ein paar starken Lehrerinnen und Ihrer Grossmutter, nie bewusst mit weiblicher Führung konfrontiert waren – bis zu Ihrem Dienst im israelischen Militär. Was haben Sie da erfahren?
Ich war in einem Trainingslager für weibliche Führungskräfte, machte eine Supervision für Offizierinnen und Unteroffizierinnen. Ich kam von einer sehr männlich geprägten Militärbasis, hatte meinen Kopf rasiert, gab mich extrem tough, war sehr schroff, sehr direkt, habe sehr viel geflucht. Ich ging davon aus, dass dies auch bei Frauen funktionieren würde. Aber da lief gar nichts mehr. Ich konnte ihnen nichts vermitteln, nichts. Sie zeigten mir buchstäblich die Faust, sagten: «So kannst du nicht mit uns reden.» Das war für mich ein Wendepunkt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur meine physische Kraft gekannt. Nun merkte ich, dass ich eine andere Sprache finden, kreativer werden musste. Ich begann, einen weichen Teil in mir zu entdecken.
Wie hat sich Ihre Sprache verändert?
Ich habe aufgehört zu fluchen, habe grundsätzlich viel weniger geredet, sondern begonnen, Fragen zu stellen. Heute kommuniziere ich mit allen Menschen so.
Der Feminismus ist gerade wieder im Aufwind, vor allem junge Frauen setzen sich lautstark für feministische Themen ein. Wie sehen Sie das?
Ich erlebe eher, dass die feministische Bewegung hier in der Schweiz einen schlechten Ruf hat. Eine Frau, die ich porträtierte, sagte mir, sie wolle nicht, dass dieses Projekt in einem feministischen Kontext gezeigt werde. Das hat mich verwundert. Viele Frauen scheinen vergessen zu haben, was ihre Mütter durchgemacht haben, und bagatellisieren deren Kampf. Wenn ich eine Frau in einer Führungsposition wäre, würde ich geradezu auf dem feministischen Standpunkt beharren und erklären: «Das sind meine Vorgängerinnen. Ich stehe auf den Schultern jener Frauen, die mir zum Stimmrecht verholfen haben. Die die Männer dazu gebracht haben, dass ich eine Stelle antreten oder ein Bankkonto eröffnen kann, ohne dass ich dafür eine Unterschrift vom Vater oder Ehemann brauche.» Das war noch bis zu den 70er-Jahren so. Das dürfen wir nicht vergessen.
Warum dieser schlechte Ruf des Feminismus?
Weil in der Schweiz alles, was rebellisch ist, verdächtig ist und schwarzgemalt wird.
Warum?
Wir sind ein Volk von Bauern. Veränderungen gehen sehr langsam, müssen erst getestet werden, ob sie funktionieren, ob sie gut sind für uns. Danach kann es aber schnell gehen. Das ist sehr spezifisch für uns als Stamm, für unsere Gesellschaft. Aber irgendwann werden Frauen hier übernehmen. Sie stellen heute schon die Mehrheit der Hochausgebildeten.
Sie haben bis jetzt Frauen wie Stephanie von Orelli, Chefärztin der Frauenklinik im Triemlispital, die Pfarrerin und Dekanin Cornelia Camichel Bromeis oder die Weinproduzentin Nadine Saxer gemalt. Wie finden Sie diese Frauen?
Durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Ich frage zum Beispiel Leute in meinem Bekanntenkreis, ob sie Frauen in Führungspositionen kennen. Interessanterweise bekomme ich die meisten Tipps nicht von Frauen – sondern von Männern.
Daniel Eisenhut (42) wuchs als Sohn einer israelischen Mutter und eines Schweizer Vaters in einem Kibbuz im Norden Israels auf. 1997 kam er in die Schweiz. Sein Projekt «Lipstick Leaders» ist Work in Progress. Derzeit umfasst seine Porträtsammlung 25 Bilder. lipstick-leaders.com