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Atomkrieg: Es ist zwei vor zwölf

Atomkrieg: Es ist zwei vor zwölf

Noch nie war die Gefahr eines Atomkrieges so gross. Ican-Direktorin Beatrice Fihn setzt sich für Abrüstung ein und sagt, was die Schweiz dafür tun könnte.

Beatrice Fihn ist Direktorin von Ican (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons). Sie setzt sich dafür ein, dass der Atomwaffenverbotsvertrag, der letzten Sommer von den Vereinten Nationen in New York verabschiedet wurde, von weiteren Ländern unterschrieben wird. Manche nennen dieses Engagment idealistisch, andere naiv. Wir finden: Es gibt mindestens fünf gute Gründe, um Beatrice Fihn für ihre Arbeit zu applaudieren. Wir haben sie im Rahmen des World Economic Forum (WEF) in Davos getroffen.

1. Die Uhr tickt. 

Seit über siebzig Jahren analysieren Atomforscher die Sicherheitslage auf dieser Welt. Wie sicher wir uns fühlen dürfen, zeigt die Weltuntergangsuhr – die sogenannte Doomsday Clock – an. Erst letzte Woche wurde die Uhr um weitere dreissig Sekunden vorgestellt, sie steht nun auf zwei Minuten vor zwölf – kurz vor dem Knall. «Die Gefahr ist real. Das Risiko, dass Atomwaffen eingesetzt werden, steigt stetig. So lang wir diese Waffen behalten, werden sie auch irgendwann benutzt», sagt Beatrice Fihn. Laut dem neuen Entwurf der US-amerikanischen Atomwaffendoktrin will Präsident Donald Trump zudem Mini-Atomwaffen entwickeln lassen. Einen solchen Plan hatte bereits George W. Bush vor über zehn Jahren – doch er scheiterte am Kongress. Diese Mini-Atomwaffen seien nicht etwa klein, betont Fihn: «Die Hiroshima-Bombe würde nach den heutigen Standards als Waffe mit niedriger Wirkung eingestuft werden.» Bei dieser starben allein durch die Explosion etwa 100 000 Menschen.

2. Die mächtigsten Männer spielen Atommonopoly. 

Im Januar twitterte Donald Trump, ob jemand Kim Jong-Un informieren könne, dass auch er über einen Atomknopf verfüge, den er jederzeit einsetzen könne: «it is a much bigger & more powerful one», war zu lesen. Es ist nicht das erste Mal, dass der amerikanische Präsident wie ein trotziges Kind klingt, das mit dem grössten Bagger im Sandkasten protzen will. Doch dass der mächtigste Mann im Land so offen mit einem Atomkrieg droht, das ist neu und besorgniserregend.

Trump ist nicht der einzige Trotzkopf auf dem Spielplatz. Machthaber Kim Jong-Un hat in den vergangen Monaten Raketen- und Atomtests durchgeführt und auch Russlands Präsident Putin wird nachgesagt, dass er verschiedene Atomraketen getestet haben soll. Beatrice Fihn hat sich mittlerweile daran gewöhnt, dass sie regelmässig von Männern bei den Verhandlungen um ein Verbot von Atomwaffen als besonders emotional und sensibel abgestempelt wird. «Ich bin dann die Frau, die zu emotional reagiert. Die Frage ist doch aber, wer hier zu emotional ist? Wer droht denn mit einem Atomkrieg per Knopfdruck? Eben.» Der von Trump beschriebene Knopf ist übrigens kein Knopf, sondern ein Funktelefon in einem schwarzen Aktenkoffer. Dieser begleitet den Präsidenten auf all seinen Reisen, damit er auch unterwegs den Einsatz der Waffen veranlassen könnte.

3. Hawaii ist keine Ausnahme. 

Mitte Januar wurden die Bewohner von Hawaii per SMS von einem Raketenangriff gewarnt. «Bei mir haben sich Mütter gemeldet, die davon berichteten, dass sie sich entscheiden mussten, welches Kind sie zuerst aus der Schule und dem Kindergarten abholen sollen», sagt Fihn. Die Angst, der die Bewohner ausgesetzt waren, sei schrecklich und betreffe nicht nur Hawaii. «Es heisst, es war ein Fehler, doch es hätte genauso gut auch eine echte Warnung sein können.» Diese ständige Gefahr verschwinde erst, wenn auch die Atomwaffen verschwinden. Und Hiroshima habe uns gezeigt: Eine Atomwaffe betrifft nie nur ein Land, sondern immer die ganze Welt.

4. Auch scheinbar unumstössliche Dinge können sich ändern. 

Ja, momentan scheint das Ziel von Ican, Atomwaffen weltweit zu verbieten, noch weit entfernt. Doch mit dem UN-Vertrag, der letzten Sommer in New York verabschiedet wurde, wurde ein erster, wichtiger Schritt getan. Mittlerweile haben 120 Ländern den Vertrag unterschrieben. «Die Apartheid in Südafrika, das Frauenstimmrecht und zahlreiche Menschenrechte, die heute unsere Demokratie prägen – das sind alles Dinge, die die Gesellschaft für nicht umsetzbar hielt.» Ein Wandel sei möglich – wenn er von der Gesellschaft gefordert werde. Und damit appelliert Fihn auch an die Schweizerinnen und Schweizer, denn die Schweiz hat den Vertrag noch nicht unterschrieben. «Man muss die Politikerinnen und Politiker dazu auffordern, sich zu entscheiden und eine Seite zu wählen. Wollen sie Trump und Co. unterstützen oder nicht?»

5. Jetzt oder nie. 

Im letzten Herbst erhielt Ican den Friedensnobelpreis. Die Tatsache, dass die Doomsday Clock angepasst wurde, dass Trump mit einem Angriff auf Twitter droht oder dass in Hawaii die Bevölkerung um ihr Leben fürchtete, sei angsteinflössend – gleichzeitig aber auch eine Chance, einen wichtigen Diskurs zu führen, sagt Fihn. Lange war die Gefahr eines Atomangriffs nicht mehr so gross – das letzte Mal stand der Zeiger der Doomsday Clock 1953 so kurz vor zwölf – und das muss Folgen haben. «Wir sind auf dem richtigen Weg, wir haben diesen Vertrag und damit ein wichtiges Druckmittel, um den Atommächten zu beweisen, dass die meisten Staaten auf dieser Welt nicht wahllos Zivilisten töten wollen.» Vor wenigen Jahren wäre es noch nicht möglich gewesen, dass sie am World Economic Forum hätte teilnehmen können. «Das ist das Tolle an der Zeit, in der wir leben – wir können mitbestimmen und wir können etwas ändern.»