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Asha Puthli: Comeback am Festival Le Guess Who?

Asha Puthli: Comeback am Festival Le Guess Who?

  • Text: Melanie Biedermann; Bilder: Gettyimages, Keystone

Sie gehört zu den meist-gesampelten Künstlerinnen im Hip-Hop, und schon Donna Summer und Giorgio Moroder kupferten bei ihr ab. Trotzdem kennt heute kaum noch jemand die Inderin Asha Puthli. Ein Skype-Interview mit einer Veteranin der Popkultur.

«Spirituell bin ich 6000 Jahre alt, geistig 98, emotional fünf, und mein biologisches Alter liegt irgendwo dazwischen.» Auf dieses Zitat stösst man immer wieder, wenn man zu Asha Puthli recherchiert. Es stamme aus einem Interview, das sie 1973 der London Times gegeben habe, sagt die Künstlerin via Skype. Sie erinnert sich genau. Wohl auch, weil sie im Jahr davor den Down Beat Award als «Jazz Vocalist of the Year» gewonnen hatte, für den damals auch Ella Fitzgerald nominiert war, ihr grosses Idol. Zu jener Zeit sahen renommierte Kritiker wie Gary Giddins in Asha Puthli die Zukunft der Popmusik. Die indische Sängerin kombinierte ihre engelsgleiche Stimme mit verwegener Performance. Ihr eklektischer Look, der zu Beginn manchmal aus wenig mehr als bestickten Kissenbezügen bestand – später trug sie auch opulente Haute Couture – rückte sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit von Popkultur-Ikonen wie Andy Warhol oder Manolo Blahnik. Asha Puthlis eigener Ikonen-Status steht jedoch bis heute in der Schwebe. Um zu verstehen warum, muss man zurück zu ihren Wurzeln.

«Warst du schon mal in Mumbai?», fragt Puthli. Die 74-Jährige liegt dabei relaxt auf ihrem Sofa in Palm Beach, Florida, wo sie inzwischen mit ihrem Labrador-Mischling lebt. Sie strahlt Wärme und entspannten Witz aus. Ihre Heimatstadt sei ein Affront für die Sinne, meint sie. «Diese Kakophonie aus Vogelgezwitscher, bellenden Hunden und der allgegenwärtigen Bollywood-Musik.» Im Amalgam all dieser Eindrücke aufzuwachsen sensibilisiere das Gehör, meint Puthli, es werde anpassungsfähiger und offener. Sie selbst hörte als 12-Jährige am liebsten die Jazz- und Pop-Programme auf Voice of America und Radio Ceylon; darin erkannte sie Parallelen zum klassisch-indischen Gesang ihrer Schwester, den sie so liebte.

In der deutschen Musiksendung «Hits à Gogo» trat Asha Puthli 1973 als Stargast auf. 

Später studierte auch Puthli die klassischen indischen Künste und dazu noch Operngesang, doch der Jazz liess sie nicht los. «Er ist natürlich an die afroamerikanische Erfahrung gekoppelt», sagt sie, «aber in Indien fühlte ich mich als Frau ebenfalls einer unterdrückten Gruppe zugehörig». Mit ihrer eigenen Musik wollte sie diese beiden oberflächlich so verschiedenen Kulturen verbinden. Dass ihr das letztendlich gelang, nennt sie heute kosmische Fügung. «Wenn du wirklich an etwas glaubst, präsentiert dir das Universum Möglichkeiten, es auch zu erreichen.» Als Puthli 1965 ihr Studium an der Borado University in Indien abschloss, sah es jedoch erst einmal gar nicht danach aus, dass sie ihre Pläne umsetzen könnte. Das Land zu verlassen war ein Privileg von wenigen. «Reisepässe gab es damals nicht einfach so für jeden», sagt sie. Indische Rupien konnten vor der Wirtschaftsöffnung 1991 nicht gegen ausländische Währungen getauscht werden. Wer dem indischen Patriarchat und dem Standard arrangierter Ehen entgehen wollte, bewarb sich um Stipendien im Ausland. Das tat auch Puthli, doch damals hatten die Universitäten keine Ausschreibungen für Jazz. Dann fand sich plötzlich doch eine Lösung für das Passproblem: Der Chef ihrer Nachbarin bot ihr einen Job als Stewardess bei British Airways an. Als Puthli während eines Stop-overs die Modern-Dance-Pionierin Martha Graham kennenlernte, witterte sie ihre Chance. Graham lud Puthli zum Vortanzen an ihrer Tanzakademie in New York. Ein Jahr später, 1969, begann sie dort ihre Ausbildung. Ein weiteres Jahr später nahm die junge Künstlerin mit der Jazz-Koryphäe Ornette Coleman zwei Songs für dessen inzwischen legendäres Album «Science Fiction» auf; Musikproduzent John Hammond hatte den Kontakt vermittelt, nachdem er in Ved Methas Klassiker «Portrait of India» von einer jungen Jazz-Sängerin namens Asha Puthli gelesen hatte. Bald darauf tauchte ihr Name auf Magazin-Covers auf, wenig später folgten die ersten Filmrollen.

Ihr Erfolg im Westen stiess in ihrer Heimat jedoch auf wenig Gegenliebe. Der Film «Savages» von James Ivory, in dem Puthli 1972 neben Sam Waterstone spielte, wurde in Indien wegen einer Kussszene gesperrt. Trotz dieser schlechten Vorzeichen nahm Puthli die Einladung des Landessenders zu einem TV-Interview an. Als der Moderator Niranjan Jhaveri sie zum Film befragte, wurde sie laut. «Ich verstand einfach nicht, weshalb Indien, das Land, in dem das Kamasutra erfunden wurde, sich derart über einen Filmkuss aufregt. Warum kümmert sich die Regierung stattdessen nicht endlich um öffentliche Toiletten und geht das Armutsproblem im Land an?» Dass Puthli diese Fragen in einer Live-Sendung stellte, war ein Skandal. Die geplanten Wiederholungen wurden gestrichen. Puthli bereut ihren Ausbruch nicht, ist sich jedoch bewusst, dass sie mit ihrem Verhalten ihre Familie beschämte. «Wenn die Ambitionen so gross sind wie bei mir damals, handelt man schnell egoistisch.» Der Konflikt habe das Verhältnis zu ihren Eltern jedoch nicht dauerhaft getrübt, es sei bis zu deren Tod immer ein liebevolles gewesen. «Mein Vater gehörte zu den gütigsten Menschen, die ich kennenlernen durfte.» Er habe sie Geduld gelehrt. «Wer geduldig ist, hat seine Wut im Griff.» Eine wichtige Lektion. Denn zurück in ihrer Wahlheimat USA fand niemand den Mut, in eine Avantgarde-Jazz-Sängerin aus Indien zu investieren. «Die Prioritäten waren damals klar definiert», sagt Puthli. «Am wichtigsten waren die Boybands, dann kamen die männlichen Solo-Künstler, dann Girlbands wie die Supremes, und auf der untersten Stufe standen die weiblichen Solo-Acts.» Verschiedene Labels legten ihr zudem einen Künstlernamen nahe. «Das war nicht rassistisch motiviert, ein indischer Name liess sich zu der Zeit einfach nicht gut vermarkten», meint Puthli und liefert gleich ein Beispiel mit: Ihr Landsmann Farrokh Bulsara schrieb auch nicht unter seinem Namen Pop-Geschichte, sondern als Freddie Mercury. «Freddie war mit seinem frühen Umzug nach England schon immer viel anglisierter als ich; es war die richtige Entscheidung.» Für sie selbst sei ihr Name die Verbindung zu Indien gewesen. Und Puthli ging es nie bloss darum, die Kulturen musikalisch zu einen, sie wollte auch zeigen: «Wir sind ebenso gut wie ihr. Nur wegen meines Namens oder meiner Hautfarbe könnt ihr mich nicht ausschliessen.» In den USA biss sie mit ihren Ambitionen auf Granit, doch in Europa lieferten sich die grossen Labels von EMI bis CBS einen Bieterkrieg um einen Vertrag mit der exotischen Sängerin. CBS London sicherte ihr schliesslich 14 Prozent Tantiemen zu, so viel wie damals sonst nur die Beatles bekamen.

Puthli stand vor dem internationalen Durchbruch. Doch dann wurde sie schwanger und CBS kündigte ihren Vertrag. «1974 gab es noch keinen Mutterschutz.» Und weil sie in England keine Arbeitsbewilligung hatte, schickte man sie nach Deutschland. Dort hatte ihr Album zwar Erfolg, doch die Veröffentlichung zog sich lange hin, und in der Zwischenzeit übenahmen andere Musiker das Ruder: Donna Summer und Giorgio Moroder wurden zu den grossen Stars der Disco-Ära. Insider sind sich einig: Sie müssen ihren Sound bei Puthli abgeschaut haben. Summers Mega-Hit «Love To Love You, Baby» von 1975 erinnert einfach zu sehr an Puthlis psychedelische und hyper-sexualisierte Version von George Harrison Songs «I Dig Love» von 1973. Vieles deutete darauf hin, dass Summer Puthlis Kostüme, die Performance und sogar Puthlis Posen vom TV-Auftritt in der «Starparade» des ZDF abgekupfert hatte. Puthli selbst hält sich mit Vorwürfen zurück. Den Stempel als Disco-Ikone lehnt sie ohnehin ab, weil sie der Überzeugung ist, dass man sich als Künstlerin konstant weiterentwickeln müsse.

Nach ihren Jazz- und Disco-Erfolgen experimentierte sie mit verschiedenen Genres von Rock über Pop bis zu Blues, elektronischer Musik und Fusion, seit den 90ern zählt sie zudem zu den meist-gesampelten Musikern im Hip-Hop. Jede neue Herausforderung habe sie als Künstlerin gestärkt. Vom Jazz habe sie etwa gelernt, was Demokratie in der Musik bedeutet: «Sie gelingt, wenn alle individuell kreativ sind und sich trotzdem aufeinander einlassen.» Der dreiste Klau der beiden Hip-Hop-Grössen P. Diddy und Notorious B.I.G. brachte sie um die Jahrtausendwende dazu, sich zum ersten Mal vor Gericht zu wehren. Die beiden hatten ihren Hit «Space Talk» für den Song «The World Is Filled…» genutzt, ohne sie in den Credits zu erwähnen. «Es war offenbar nicht ihr Fehler, die zuständige Person an der Freigabestelle hatte den falschen Namen angegeben», erzählt Puthli. Doch als sie die Sache im Gespräch klären, wollte, reagierte Sean Combs, der Mann hinter dem Pseudonym P. Diddy, nicht auf ihre Kontaktversuche. Als beide auf derselben Party waren, wollte Puthlis Sohn Jannu dem Hip-Hop-Mogul ein Original überreichen, doch Combs warf ihm die CD vor die Füsse. «Da konnte ich nicht mehr anders», erinnert sich Puthli. «Damals fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben richtig stark, so, als könnte ich mit allem fertig werden.»

Ob sie heute noch vor irgendetwas Angst habe? «Wahrscheinlich vor der Angst selbst, weil sie dir das Selbstvertrauen und den Glauben nimmt», sagt Puthli, «vor grossem Schmerz. Und davor, dass die Menschheit ihr Potenzial nicht ausschöpft.» Puthli hat Spondylitis, eine Entzündung der Wirbelsäule, lehnt jedoch Medikamente ab. Sie wolle sich in Zukunft auf Musik konzentrieren, die «als Abwehrmechanismus» dient. «Ich hatte eine Vision, wie aus Tönen und Stimmen ein Schutzwall entstehen kann.» Puthli hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie sich der Welt nicht recht zugehörig fühlt. Sie sei eine Weltraum-Kadettin, eine Entdeckerin kosmischer Sphären. «Ich glaube nicht, dass ich verrückt bin», sagt sie. Und falls doch, dann sei das auch okay.

Am 10. November steht Asha Puthli am Festival Le Guess Who? im niederländischen Utrecht als Headliner auf der Bühne. Für ihr erstes Live-Konzert seit 2006 hat sie eine internationale und Generationen-übergreifende Band zusammengetrommelt. «Sie wird meine Batterie sein, und das Publikum meine Elektrizität. Wir nennen es die Ageless-Show.»