Warum Alice Hasters, die Autorin des Bestsellers «Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen – aber wissen sollten», nur verhaltene Hoffnung in die «Black Lives Matter»-Bewegung setzt.
Der Spruch ist nicht neu. Er wird bereits seit 2013 auf den Strassen von Protestlern geschrien: Black Lives Matter. Doch jetzt rufen ihn so viele wie nie zuvor. Weltweit. Nicht nur in den USA spricht man von Protesten in neuem Ausmass. Der Tod des Afroamerikaners George Floyd war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ein Video, das zeigte, wie ein weisser Polizist ihn umbrachte, ganz ruhig, fast neun Minuten lang.
Floyd ist der aktuellste Fall aus einer traurig langen Liste von schwarzen Menschen, die durch rassistische Übergriffe unter anderem von der Polizei starben – auch die Proteste gegen rassistische Polizeigewalt sind nicht neu. Doch nun haben sich so viele Menschen der Widerstandsbewegung angeschlossen, dass sie unübersehbar geworden ist.
Wie viele Menschen das Thema Rassismus gerade beschäftigt, sah man besonders am #blackouttuesday. An einem Dienstag posteten weltweit Millionen Menschen auf Instagram eine schwarze Kachel unter dem Motto: «The show must be paused» – einen Tag lang sollte es keine Unterhaltung, keine Ablenkung von dem geben, was gerade wirklich wichtig ist: dem Kampf gegen Rassismus. Die Resonanz war riesig und unter den Beteiligten fanden sich viele, die vorher nie öffentlich über Rassismus gesprochen haben.
Viele schauen skeptisch und zwiegespalten auf diese grosse Welle der Solidarität, vor allem diejenigen, die von Rassismus betroffen sind. Denn dass die Botschaft der Widerstandsbewegung die Massen erreicht, bringt auch eine Kommerzialisierung mit sich. Antirassismus wird zum Trend. Ein Trend ist an sich nichts Schlechtes, aber das heisst leider auch: schon geht es nicht mehr nur um Gleichberechtigung, sondern um Profit.
Die ersten T-Shirt-Shops bieten neben nichtssagenden Sprüchen wie «Filtered coffee, not people» jetzt auch Shirts an, auf denen «Black Lives Matter» oder «I can’t breathe» steht, die letzten Worte Floyds. Unternehmen sind vermehrt daran interessiert, mit der Bewegung ihre Produkte zu vermarkten. Die Gefahr besteht, dass die Botschaft dadurch aufgeweicht, gar vergessen wird. Die Forderungen der «Black Lives Matter»-Bewegung könnten zum Modestatement verkommen. Schnell könnte verdrängt werden, dass es nicht nur darum geht, cool auf Instagram auszusehen, sondern um Leben und Tod für schwarze Menschen.
In der Vergangenheit sind Versuche von Unternehmen, solche Bewegungen für sich zu nutzen, schiefgegangen. Zum Beispiel, als Pepsi eine Werbung mit Kendall Jenner veröffentlichte, die suggerierte, es brauche nur eine Dose Cola, um die Spannungen zwischen Protestierenden und der Polizei aufzulösen. Die Empörung war so gross, dass die Werbung wieder zurückgezogen wurde. Es folgte eine Entschuldigung.
Es bleibt zu hoffen, dass dieser Moment eben kein flüchtiger Trend ist, sondern nachhaltige Veränderung bedeutet. Man kann nicht verdrängen, dass sich auf einmal etwas anders anfühlt als die Jahre zuvor. Dass es einen Effekt hat, wenn die ganze Instagram-Timeline auf einmal schwarz ist und anschliessend am Wochenende überall auf der Welt öffentliche Plätze mit Zehntausenden Menschen gefüllt sind, die «Black Lives Matter» rufen. Es macht einen Unterschied. Aber zu oft wurde man im Lauf der Geschichte enttäuscht, um jetzt vollkommen euphorisiert zu sein.
Denn schon lang versteht der breite Teil der Gesellschaft, dass Rassismus etwas Schlechtes ist. Schon lang ist es in Gesetzen verankert, dass Rassismus strafbar ist, und mittlerweile gelten Menschenrechte tatsächlich für alle, nicht mehr nur für weisse Männer. Die Frage bleibt aber offen, inwiefern Menschen auch verstehen, was Rassismus mit ihnen selbst zu tun hat. Und dass Rassismus und Polizeigewalt nicht ein Problem der USA sind, sondern ein weltweites.
Insbesondere weisse Menschen müssen verstehen, dass sie durch ihr Weisssein bevorteilt werden. Sei es bei der Job- oder der Wohnungssuche – oder eben: bei Polizeikontrollen. Dass sie nicht nur verstehen müssen, was für einen Unterschied es macht, von Rassismus betroffen zu sein, sondern auch was es bedeutet, nicht von Rassismus betroffen zu sein. Diese Erkenntnisse müssen Veränderungen anstossen. Zum einen im Alltag, indem man beispielsweise keine rassistischen Witze des Onkels unkommentiert stehen lässt, sondern den Mund aufmacht. Zum anderen, dass man sich mit den grossen, schwierigen Fragen beschäftigt: Wie sieht eine gleichberechtigte Gesellschaft aus und wie kommen wir dahin? Eine Antwort darauf zu finden, ist nicht leicht und auch nicht so «instagrammable» wie eine schwarze Kachel. Doch dringend notwendig.
Buchtipp: Alice Hasters: Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen – aber wissen sollten. Hanserblau-Verlag, Berlin 2019, 208 Seiten, ca. 28 Fr.