Zeitgeist
Andrea Strotz betreibt die letzte Schweizer Schirmfabrik: «Wir reparieren jährlich hunderte Exemplare»
- Text: Jana Schibli
- Bild: Stocksy
Auf Regen hat so ziemlich niemand Lust. Ausser Andrea Strotz, Co-CEO der letzten Schweizer Schirmfabrik. Ein Gespräch über Billigstkonkurrenz und den (fehlenden) Sex-Appeal der Parapluies.
annabelle: Andrea Strotz, Sie waren womöglich die einzige Person, die sich über den ziemlich miesen Sommer 2021 gefreut hat. Ist das so?
Andrea Strotz: Ja. Sagen wir es so: Unsere Umsätze widerspiegeln ziemlich genau die Regenmengen. Und die vergangenen Jahre waren viel zu trocken.
Das Schirmgeschäft Ihrer Familie feierte kürzlich sein 170. Jubiläum. Wie überlebt man als Schweizer Firma so lang in einem derart umkämpften Markt?
Einerseits muss man innovativ und neugierig sein und ein gutes Gespür für Trends haben. Andererseits man muss sich auch Dinge trauen, die sich im ersten Moment nicht gleich rechnen. Und für uns ist es ganz wichtig, dass wir unsere eigene Produktion aufrechterhalten. Wir sind die einzige Regenschirmfabrik im Land und deshalb die Einzigen, die den Schirm quasi von A bis Z verstehen.
1851 war ein Schirm noch ein Statussymbol. Doch unterdessen ist er vom Investment-Piece zum Wegwerfprodukt geworden …
Das ist so. Wenn man für acht Franken einen Schirm kauft, dann ist es den meisten eben ziemlich egal, wenn sie ihn verlieren. Wir versuchen diesem Trend mit unserem Reparaturservice entgegenzuwirken. Denn es macht doch schlicht keinen Sinn, bei jedem Regentropfen einen neuen Billigschirm zu kaufen.
Ganz ehrlich: Kommen wirklich Leute zu Ihnen, um ihren Schirm reparieren zu lassen?
Aber ja! Wir reparieren jährlich hunderte Exemplare. Vielfach sind das ältere Modelle – solche, die das Grossmami seit Jahren daheim hat und die ein Loch oder sonst einen Defekt haben.
Sie sind mit Anfang dreissig ins alte Familienunternehmen eingetreten. Warum?
Ich dachte ehrlich gesagt nie, dass ich mal in die Firma meiner Familie einsteigen würde. Ich habe zwar Wirtschaft studiert und meine Abschlussarbeit über die Internationalisierung der Marke Knirps gemacht. Doch wenn man frisch von der Uni kommt, ist der Schirm nicht unbedingt das sexy Produkt, das man sich in seiner eigenen Zukunftsvision vorstellt.
Wie meinen Sie das?
Niemand spricht über den Schirm wie über eine Handtasche. Er widerspiegelt nicht auf dieselbe Art unsere Persönlichkeit. Und er ist sehr technisch.
Trotzdem fanden Sie eines Tages zurück in die Schirmfabrik. Wie kam es so weit?
Zuerst arbeitete ich zehn Jahre in der Konsumgüterbranche im Marketing und im Verkauf. Doch die Arbeit im Grosskonzern war nichts für mich. Ich bin eine Macherin. Ich möchte Dinge anpacken. In unserem Familienunternehmen kann ich vom Stängeli bis zum Verkauf mitwirken.
Und wie war es, plötzlich mit der Familie in der gleichen Firma zusammenzuarbeiten?
Mein Papi (Edgar Strotz, früherer Co-CEO, Anm. d. Red.) und ich hatten schon immer ein enges Verhältnis. Aber ich habe ihn nochmals von einer ganz anderen Seite kennengelernt. (lacht)
Das heisst?
Er ist der klassische Patron. Er hat mit meinem Onkel zusammen die Firma ausgebaut und war es gewohnt, alles selber zu kontrollieren. Ich habe einen etwas anderen Führungsstil und gebe gern Verantwortung an Mitarbeitende ab.
Sie produzieren nur noch einen kleinen Anteil der Strotz-Schirme in der Schweiz, richtig?
Genau, noch etwa zwei bis drei Prozent. Das ist wenig. Viele erschrecken, wenn sie das hören – «das kann ja nicht sein, ihr seid doch die Schweizer Schirmfabrik», sagen sie dann. Doch ein Schirmgestell bekommt man in Europa zum Beispiel gar nicht mehr; auch bei einem Schirm made in Switzerland stammt es aus Fernost. Deshalb ist das Ganze primär noch eine Frage der Qualitätskontrolle: Vor der Coronakrise war ich jeweils drei Mal pro Jahr tageweise bei den Produktionsstätten in China oder Kambodscha, um unsere Ansprüche und sozialen Standards geltend zu machen. Wir arbeiten seit Jahrzehnten mit denselben Produzent: innen und kennen die Leute sehr gut und sehr persönlich. Das ist wichtig als Schweizer KMU.
Gibt es so etwas wie den Lieblingsschirm der Schweizer: innen?
Der schwarze ist klar der Bestseller. Ich bedauere das ein wenig. Schwarz passt einfach zu allem und widerspiegelt insofern auch ein wenig die schweizerische Mentalität, nicht auffallen zu wollen. Ansonsten sind es Schirme mit Karomuster oder Tupfen.
Und wohin gehen die aktuellen Trends?
Unsere Kund:innen möchten am liebsten einen Schirm, der ultraleicht, sturmsicher und gleichzeitig supergünstig ist. Nur gibt es den nicht. Gleichwohl kommen Materialien wie Karbon und Aluminium immer mehr, weil sie leicht und stabil sind. Und im Hinblick auf den Klimawandel sind Schirme mit Stoffen, die gegen UV-Strahlen resistent sind und auch bei Sonnenschein gut funktionieren, sicherlich die Zukunft. Zudem haben wir während der Pandemie tatsächlich festgestellt, dass wir mehr unserer Swiss-made-Schirme verkauft haben, die zwischen 100 und 150 Franken kosten. Schweizer Produkte werden wieder mehr geschätzt.
Als chronische Schirmverliererin möchte ich wissen: Hand aufs Herz, wie viele Schirme sind Ihnen schon abhandengekommen?
Ich muss gestehen: Ich bin schusslig. Ich verliere jedes Jahr zwei bis drei Schirme. Aber ich sitze ja auch quasi an der Quelle.
Andrea Strotz (38) verantwortet als Co-CEO der Schirmfabrik Strotz die Bereiche Verkauf, Marketing und Design sowie die Produktion in Asien.
Die GEWA bei der Bärner Brocki hat auch eine Schirm-Reparatur-Werkstatt. Vielleicht könnt ihr euch mal gegenseitig besuchen.