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Altmeister

Leben

Altmeister

  • Text: Frank Heer; Foto: Getty Images

annabelle-Reporter Frank Heer liebt die Musik. Kein Wunder, dass er sich das Rolling-Stones-Konzert in Zürich nicht entgehen lassen wollte. Was er bekam? Grandiosen Sound und eine Lektion in Sachen Altern. 

Es hatte mich zum Stadion gezogen wie den Gaffer zur Frontalkollision. Vielleicht, weil der Mensch dazu neigt, sein Dasein in einen historischen Zusammenhang zu stellen. Wenn ich schon nicht zugegen war, als Gott das Meer teilte, dann wenigstens an einem Stones-Konzert. Könnte ja sein, dass mich die Kinder einmal fragen. «Papa, wo warst du am 20. September 2017?»

«Pst», machte der Rossschwanz. Er hielt eine Bratwurst in der einen und ein Eintrittsbillett in der anderen Hand.
«Wie viel?», fragte ich.
«160.»
Kröte, dachte ich, und klaubte einen Fünfziger aus dem Portemonnaie: «Wie wärs damit, Amigo?»
«Passt», nickte der Rossschwanz, «kannst du mal halten?»
«No Problemo», antwortete ich und nahm ihm die Wurst ab. Er steckte den Fünfziger ein, wünschte mir einen Guten und löste sich in Luft auf.
«Mistkerl», fauchte ich ihm nach und biss der Wurst den Kopf ab.

Bereits im Tram wölbten sich freche Zungen über prallen Bäuchen und Brüsten. Die Balkone der Häuser rund ums Stadion hatten sich in Logenplätze verwandelt. Kinder hockten in den Ästen und spähten über die Balustrade, Polizisten wippten mit dem Fuss im Takt. Und dann spielte Keith Richards diesen Riff zu «Honky Tonk Women». Die Kameras zoomten in sein zerknittertes Gesicht. Selbst von der Strasse aus konnte man dank Grossleinwand in die tiefsten Tiefen seiner Furchen gucken. Wenn Richards grinst, ziehen sich die Mundwinkel bis über die Ohren.

Ich hatte mal einen Klavierlehrer, Herrn S., der sehr streng war. Er sagte gern: Ohne Fleiss kein Preis. Das Fiese ist ja, dass es stimmt. Einmal googelte ich seinen Namen. Die Suche ergab keine Treffer. Was illustriert, dass es für Fleiss nicht immer einen Preis gibt. Und schon gar keinen Ruhm. Mit etwas Glück bekommen wir im Alter etwas Rente und einen Beitrag von der Krankenkasse ans Hörgerät. C’est la vie!

Alte Männer, die nicht aufhören, Rock’n’Roll zu spielen. Man kann das doof finden, doch es gibt weit Schlimmeres, zum Beispiel schlechte Musik. Die Stones machen vor, wie man respektlos alt wird. Das Konzert war jedenfalls grandios und so lässig hingespielt, dass man sich fragte, ob diese Band jemals besser war? Als sie «Like a rolling Stone» anstimmte, wurde es feierlich unter den Zaungästen vor dem Stadion. Einige schwenkten Feuerzeuge, jemand sagte: So muss es gewesen sein, als Gott das Meer teilte.

Am Ende der Strasse gibt es eine Bar, Sie wissen schon, wo diese Jukebox steht, gleich hinter der Tür. Durch eine Scheibe sieht man die Mechanik und den Plattenteller mit Tonarm. Wenn es zu lang still ist und man das Rülpsen der alten Männer vor ihren Bieren hört, dann schlurft Louis der Barkeeper an den Kasten und drückt C17: «Wild Horses». Louis hat die Stones schon gesehen, als ein Eintrittsbillett noch 50 statt 160 Franken kostete. Wer ihn danach fragt, verpasst garantiert den letzten Bus nachhause.

Vor ein paar Jahren traf ich meinen Klavierlehrer wieder. Herr S. war in die Jahre gekommen. Er spielte an der Eröffnung einer Business-Lounge in einem Business-Hotel vor ein paar Business-Männern mit gelockerten Krawatten und hinaufgerollten Hemdsärmeln. Als Herr S. «(I can’t get no) Satisfaction» von den Stones anstimmte, grölten alle lautstark mit und schwenkten die Cognacgläser. Herr S. grinste wie Keith Richards und haute kräftig in die Tasten, aber irgendwie tat er einem leid. Ich dachte: Ist er das nun, der grosse Preis? Oder hat Herr S. zu wenig geübt?

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