Als ich erfuhr, dass ich schwanger bin, wusste ich: Jetzt sind die olympischen Spiele für mich definitiv gestorben.
Der Geburtstermin fiel genau auf die Qualifikation, Ende Mai. Ich habe bereits viermal an den World Surfing Games teilgenommen, mehrere Landestitel gewonnen. Die Olympischen Spiele, das wäre aber schon noch mal eine andere Nummer gewesen. Durch Covid-19 verschiebt sich die Austragung der Spiele in Tokio zwar um ein Jahr, ich denke aber kaum, dass ich bis dahin schon wieder in Topform sein werde.
Olympia war nicht der erste Gedanke, der in mir auf kam, als ich im letzten Spätsommer den positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt. Der erste war: Was für ein Glück! Mein Partner und ich hatten zwar bereits über Kinder gesprochen, aber geplant war das so definitiv nicht.
Kurz darauf sah ich zum ersten Mal das Herzchen des Jungen schlagen, der in mir wuchs. Diese Ultraschall-Untersuchung in der Bretagne, woher mein Partner stammt, war einer der schönsten Momente in meinem Leben – der jedoch jäh endete. Als die Hebamme das Gerät ablegte, sagte sie, dass ich nun nicht mehr trainieren dürfe.
Ich habe vor fünf Jahren meinen fixen Job als Gymilehrerin in Luzern aufgegeben, meine Wohnung gekündigt. Seither gibt das Surfen den Takt meines Lebens vor. Ich trainiere täglich, lebe aus zwei Koffern, bin manchmal allein, manchmal zusammen mit meinem Partner im Reisebüssli unterwegs. Ausserdem drehe ich Filme darüber. Das alles sollte nun vorbei sein?
In mir regte sich Widerstand. Surfen ist, anders als Mannschaftssport, Velofahren oder Reiten, ein schonender Sport. Darum wird er auch von vielen Leuten bis ins hohe Alter ausgeübt. Als Profi falle ich – wenn überhaupt – nicht auf den Bauch, sondern auf den Rücken oder die Seite. Und ich falle im Wasser weich.
Infos zu finden, wie ich mich in der Schwangerschaft verhalten soll, war schwierig. Es gibt keine wissenschaftliche Literatur und nur wenige Vorbilder. Was daran liegen mag, dass Surfen noch immer sehr männlich geprägt ist.
Gespräche mit anderen Surferinnen und die Kurzdoku «Introducing the Super Stoked Surf Mamas of Pleasure Point», die ich bei meiner Recherche fand, machten mir aber Mut. Die fünf kalifornischen Frauen, darunter eine dreifache Weltmeisterin, surfen auch schwanger weiter – achten aber immer darauf, wie es ihrem Körper dabei geht. Sie nahm ich mir zum Vorbild.
Joggen und Hüpfen gab ich früh auf. Ich lernte zu akzeptieren, dass es Tage gab, an denen ich mich weder nach Spazieren noch nach Stretching fühlte. An anderen Tagen konnte ich jedoch sogar ein leichtes Training mit dem Longboard absolvieren, das Shortboard gab ich früh auf. Auf das lange Brett muss ich mich beim Paddeln nicht so fix drauf legen, sondern kann mich auf Knie und Brust abstützen, eine Art Brüggli machen – wahnsinnig anstrengend, aber man gewöhnt sich dran.
Dem Kleinen schien es zu gefallen, wenn ich im Wasser war. Er schlief jedes Mal ein. Ich surfte, bis Covid-19 in Europa ausbrach.
Dass sich mein Körper mit der Schwangerschaft so eigenmächtig veränderte, war für mich ungewohnt – und liess einige Einnahmequellen wegfallen. Lifestyle-Shootings, mit denen ich einen Teil meines Lebensunterhalts verdiene, wurden abgesagt oder Kunden haben sich einfach nicht mehr gemeldet. Ich habe nun mal kein Sixpack mehr.
Sportlerinnen haben es in der Schwangerschaft und später als Mütter oft schwer. Es bleibt nicht viel Zeit fürs Training, Sponsoren verlangen jedoch, dass man schnell wieder in Topform ist.
Wie es bei mir weitergehen wird, weiss ich noch nicht. Einer meiner langjährigen, hoch geschätzten Hauptsponsoren, Corona-Bier, hat momentan andere Probleme. Ich könnte mir auch vorstellen, wieder als Lehrerin zu arbeiten.
Einen Schritt Richtung Sesshaftigkeit haben wir mit einer kleinen Mietwohnung in Luzern bereits gemacht. Denn zwei Koffer reichen wohl für ein Leben mit Baby nicht mehr aus. Das Reisebüssli behalten wir aber auf jeden Fall.
Mittlerweile ist Alena Ehrenbolds Sohn zur Welt gekommen.