Die Schweiz ist in der Beliebtheitsskala von Platz 14 auf Platz 31 abgerutscht. Dies das ernüchternde Resultat der neuen Expat-Insider-Studie von Internations, welche die Lebensqualität für Expats in verschiedenen Ländern untersucht. Warum diese Veränderung? Wir trafen vier Expats, um die Gründe dafür genauer anzuschauen.
Kontakte knüpfen
Allein in der Schweiz zählt InterNations, das weltweit grösste Netzwerk für Expats, über 80’000 Mitglieder. Expats sind in der Arbeitswelt fest integriert, haben eine Wohnung, Freunde, eine aktive Freizeitgestaltung. Doch findet ihr Leben oft fern von demjenigen der Schweizer statt. Sie treffen sich unter sich, an Veranstaltungen für Expats, leben in ihrem eigenen Mikrokosmos. Bei der Eingewöhnung ist nicht die Freundlichkeit der Schweizer das Problem. Beispiele von hilfsbereiten Passanten, die beim Koffertragen helfen, werden erwähnt oder auch, wie oft jemandem die Tür aufgehalten wird.
Die Schwierigkeiten liegen einerseits beim Kontakteknüpfen. «Wenn ein erster Kontakt zu Schweizern besteht, dauert es relativ lange, bis sich die Schweizer öffnen», sagt Lena Vollmann aus der Ukraine. Für die 38-jährige Inhaberin einer Reiseagentur dauert es zu lange. «Ich brauche schnell ein soziales Netz. Ich bin nicht bereit, über ein Jahr die ganze Zeit aktiv auf eine Person zuzugehen, nur um immer wieder Absagen für Treffen zu erhalten. Da suche ich mir dann halt andere Freunde», sagt sie. Etwas bestürzt fügt sie an, dass sie trotz Kontaktanzeigen auf Ronorp, wo sie andere Mütter mit Kindern gesucht hat, bisher keine einzige Freundschaft zu einer Schweizerin aufbauen konnte.
Auch Monika Bonkowska, eine 36-jährige Polin, die in der Schweiz eine eigene Sprachschule gegründet hat, hat Mühe, Kontakte zu Schweizern aufzubauen: «Ich will ja nicht sofort die beste Freundin werden, sondern einfach mit neuen Menschen etwas trinken gehen. Ohne diesen Einstieg kann keine Freundschaft entstehen.»
Zu hohe Ansprüche?
Aber brauchen wir Schweizer wirklich länger als andere? Schliesslich entsteht eine Freundschaft nicht sofort – egal, wo sie begründet wird. Für die Expats ist ein Grund dafür der hohe Qualitätsanspruch der Schweizer. «Was ich an der Schweizer Mentalität so schätze, ist die hohe Qualität. Aber gleichzeitig ist das für mich auch ein Nachteil, da die Schweizer auch nur Freundschaften höchster Qualität wollen», sagt Lena Vollmann aus der Ukraine.
Was bedeutet das, Freundschaften höchster Qualität? In den Augen der Expats sind das Freundschaften, die bereits in der Schulzeit oder im Sportverein entstehen und über die Jahre zu unzerreissbaren Verbindungen heranwachsen. Freunde, auf die man sich zu hundert Prozent verlassen kann. Dies bestätigt auch Martina Famos, diplomierte individualpsychologische Beraterin AFI /SGfB. Die Schweizerin hat sich auf die Probleme von Expats spezialisiert. Sie sehe oft selbst, dass «wir Schweizer keine Oberflächlichkeit mögen».
So macht es für die befragten Expats schliesslich den Eindruck, als ob wir Schweizer nicht an neuen Freunden interessiert sind. Monika Bonkowska hat dies selbst erlebt, als eine Schweizer Kollegin zu ihr sagte, sie brauche keine neuen Freunde, denn sie habe ihre ja bereits gefunden. «Ich fand das sehr speziell, denn neue Leute kennen zu lernen, öffnet doch den eigenen Horizont!»
Tipps um Schweizer kennen zu lernen:
• Gute Kennenlern-Orte gäbe es viele, so Martina Famos. Zum Beispiel soll man sich in einem Verein anmelden oder immer wieder die gleichen Orte wie kleine Läden oder Cafés aufsuchen. So kämen die Expats einfacher mit Einheimischen ins Gespräch.
• Zudem sind Vereine ein geeigneter Ort, denn immerhin teilt man bereits eine gemeinsame Leidenschaft.
• Die Expats sollen mit etwas mehr Geduld an die Freundschaftsthematik rangehen. Für Vera Gaskari-Scherrer aus den USA, die als Financial Analyst bei der ABB arbeitet, hat sich der Aufwand gelohnt: «Ich rate allen, geduldig zu sein. Wenn euch die Schweizer interessant finden, werden sie sich irgendwann öffnen und euch in ihren Freundeskreis aufnehmen.»
• Ebenfalls hilft es, wenn neu hinzugezogene Expats einen Willkommensapéro im Wohnhaus oder Quartier veranstalten oder sich aktiv am Quartierfest beteiligen. So findet man schneller Anschluss in der nahen Umgebung.
Vorurteile abschaffen
Oftmals reisen Expats bereits mit Vorurteilen in die Schweiz. Dabei dienen vor allem Internetplattformen für Expats dem Informationsgewinn. Das Problem dabei: Viele Fragen, die dort gestellt werden, beantworten keine Schweizer, sondern andere Expats. Es entsteht ein verzerrtes Bild. Dies hat Monika Bonkowska aus Polen bei sich selbst feststellen müssen: «Bevor ich in die Schweiz zog, hörte ich oft von Expat-Freunden, dass die Schweiz zwar ein sehr schönes Land sei, die Menschen allerdings unfreundlich und arrogant seien.» Sobald sie aber hier war, lernte sie schnell, dass sie falsch lag. Selbstkritisch fügt sie an, dass es ein grosses Problem sei, wenn Expats solche Vorurteile verbreiteten, «das hilft nicht beim Kontakteknüpfen». Um dieses Problem zu verhindern, arbeiten diverse Plattformen wie Internations und Newly Swissed bereits mit mehreren Schweizer Autoren. So können sich die Expats direkt an Schweizer wenden und erhalten eine unverzerrte Antwort.
Tipps zur Vorbereitung:
• Expats sollten sich gut informieren, wer auf den Expat-Foren die Fragen beantwortet. Informationen sollten möglichst direkt von Schweizern kommen. Zudem sind Foren, die mit Schweizern arbeiten, ein guter Einstieg für Expats. Sie können so erste Kontakte zu Schweizern herstellen.
• Neben den erhaltenen Informationsbroschüren wünschen sich Expats Kurse, die quasi eine Bedienungsanleitung für Schweizer sind. Also alles, was zwischen den Zeilen steht und nur von Mensch zu Mensch weitergegeben werden kann. Viele Städte wie Bern und Zürich bieten Einstiegskurse an, diese gehen, so die befragten Expats, aber zu wenig ins Detail.
Sprachbarrieren verhindern
Viele Expats beginnen sofort einen Deutschkurs. Denn ohne örtliche Sprachkenntnisse ist es sehr schwer, überhaupt mit den Menschen in Kontakt zu treten. Schnell gibt es weitere Probleme: Erstens lernen die Expats Hochdeutsch. Und zweitens würden Schweizer oft ins Englische wechseln, sobald sie merken, dass die Expats nicht perfekt Deutsch sprechen. Vanessa Solis, die als Modedesignerin arbeitet, kämpft täglich dagegen an: «Ich habe über ein halbes Jahr intensiv Deutsch gelernt und bin mittlerweile ziemlich gut. Das Problem ist, dass die Leute hier lieber Englisch oder Spanisch mit mir sprechen», sagt die 28-Jährige aus der Dominikanischen Republik.
Tipps, um die Sprache zu lernen:
• Der erste Schritt ist nach wie vor ein Deutschkurs, ohne diesen geht es nicht, sagt Samantha Atia von der Integrationsförderung der Stadt Zürich. Angebote gibt es bei der Stadt selbst, bei vielen Sprachschulen oder über Expat-Organisationen. Ideal sind auch Tandem-Angebote, wo nicht nur der Expat Deutsch lernt, sondern ein Schweizer gleichzeitig die Fremdsprache seines Expat-Partners.
• Expats dürfen die Schweizer ruhig darum bitten, Deutsch zu sprechen, damit sie ihr Niveau verbessern können. Im Gegenzug dazu sollen die Schweizer nicht ins Englische wechseln, wenn ein Expat sich im Deutschen versucht.
• Für die fortgeschrittenen Expats bieten diverse Sprachschulen bereits Schweizerdeutsch-Kurse an.
Mentalitäten verstehen
Schliesslich liegt das Problem manchmal auch an den unterschiedlichen Mentalitäten. Vanessa Solis aus der Dominikanischen Republik, die wegen der Liebe in die Schweiz kam, erzählt amüsiert von ihren Erlebnissen an Konzerten: «Man tanzt hier nicht einfach los. Ich würde mir wünschen, man wäre offener und würde etwas mehr aus sich herauskommen.» Diese Unterschiede führen oft dazu, dass man sein Gegenüber nicht versteht.
Gleichzeitig haben die politischen Diskussionen, wie beispielsweise jene zur Masseneinwanderungsinitiative, einen Einfluss auf das Bild der Schweiz. Vera Gaskari-Scherrer aus den USA findet solche Diskussionen seltsam, denn «die Schweiz hat einen deutschen, italienischen, romanischen und französischen Teil. Sie ist ja eigentlich sehr multikulturell. Und trotzdem hat sie grosse Mühe, sich gegenüber Neuem zu öffnen. Die Angst vieler Schweizer ist es, ihre Identität zu verlieren».
Tipps, um die Mentalität besser zu verstehen:
• Schweizer Schulen sollten eine frühzeitige und intensive Information über verschiedene Kulturen anbieten, wie das beispielsweise in den USA bereits getan wird: Die National Association for Multicultural Education setzt sich dafür ein, Schulkinder verschiedener Kulturen und Mentalitäten an einen Tisch zu bringen, damit multikulturelle Aspekte diskutiert und Erlebnisse ohne zu werten ausgetauscht werden. Dies bekämpft die Angst vor Neuem und schafft gleichzeitig ein grösseres Bewusstsein für die eigene Kultur.
• Expat-Organisationen wie Internations bemühen sich, Veranstaltungen zu organisieren, an denen Schweizer teilnehmen. So kommen die Expats mit Einheimischen in Kontakt, die Kulturen vermischen sich, und es entsteht ein Raum für Diskussionen. Die nächsten Veranstaltungen sind auf internations.org einsehbar. Wöchentlich gibt es Veranstaltungen zu verschiedenen Themen und auch Events für neue Mitglieder.
– Weitere Informationen unter internations.org und newlyswissed.com
1.
Lena kommt ursprünglich aus der Ukraine und hat lange Zeit in Deutschland gelebt bevor sie nach Zürich umgezogen ist. Die 38-Jährige ist Mitbegründerin von ADDventures.Co – einem Startup für Reiseplanung und Ambassador für das InterNations Expat-Netzwerk in Zürich.
2.
Monika ist aus Polen, allerdings fühlt sie sich in Griechenland, wo sie fast zehn Jahre gelebt hat, auch zu Hause. Nach dem Marketing-Studium verbrachte die 36-Jährige zuerst einige Zeit im Tourismus. Nun hat sie in der Schweiz ihre eigene Sprachschule gegründet.
3.
Ursprünglich aus Polen, wuchs Vera in den USA auf. Als eine Person, die ausserhalb des eigenen Landes aufwuchs, glaubt sie daran, dass die Stärke eines Landes in den Unterschieden, nicht den Gemeinsamkeiten der Individuen liegt. Heute lebt sie in Zürich und arbeitet bei der ABB als Financial Analyst.
4.
Die 28-jährige Vanessa stammt aus der Dominikanischen Republik. In die Schweiz kam sie der Liebe wegen. Sie ist Modedesignerin und arbeitet in Bern im Kitchener-Shop.